Forschungs- und Erlebniszentrum eröffnet - Älteste Jagdwaffen der Menschheit werden gezeigt Paläon: Steinzeit im futuristischen Prachtbau
Schöningen. An der Landstraße zwischen Hötensleben und Schöningen ist nach anderthalbjähriger Bauzeit in dieser Woche das "paläon" eröffnet worden. Seit Dienstag ist das Forschungs- und Erlebniszentrum am Rand des Tagebaus auch für Besucher zugänglich.
Die etwa 300.000 Jahre alten fünf Holzspeere hinter Sicherheitsglas vor dunklem Hintergrund der "Speerekapelle" sehen eigentlich nicht so spektakulär aus, wie sie es für die Wissenschaft bei der Forschung über Lebewesen vergangener Zeitalter tatsächlich sind. Man nennt diese Forschung Paläontologie, von der der Name des Forschungs- und Erlebniszentrums Schöninger Speere "paläon" abgeleitet wurde. Seit Dienstag ist das futuristisch anmutende Gebäude mit seinem interessanten Inhalt für die Öffentlichkeit zugänglich.
Insgesamt sechs Speere sowie eine Lanze und mehrere Speerspitzen wurden im Braunkohlentagebau 1994 von Dr. Hartmut Thieme gefunden. Sie zählten zu den zehn wertvollsten Funden in der Welt überhaupt, erklärte Dr. Stefan Winghart, Präsident des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, bei der Eröffnung am Montag. Wertvoll deshalb, weil diese ältesten erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit und die ebenfalls gefundenen Knochen erlegter Wildpferde beweisen, dass der Urmensch bereits damals unerwartete Fähigkeiten besaß, so etwa planendes Handeln, Kommunikationsvermögen, technologische Fertigkeiten, ausgefeilte Jagdstrategien und ein komplexes Sozialgefüge. Das Bild vom Homo heidelbergensis musste daraufhin grundlegend revidiert werden.
Das paläon, keinen Kilometer von Hötensleben entfernt, erlaubt dazu vielfältige und spannende Einsichten. Zum Beispiel mit dem 30 Meter langen Wandbild des Berliner Künstlers Misha Shenbrot, das Szenen aus der Altsteinzeit darstellt und einen Überblick über Flora und Fauna in Warm- und Kaltzeiten, also zwischen Eiswelt und Dschungel, liefert. In die Wand integriert sind ausgewählte Objekte, kleine Vitrinen und Monitore.
In der Mitte des Ausstellungsraumes begegnen dem Besucher die Hauptakteure: Das Pferd als imposante Skulptur vom Berliner Künstler Stephan Hüsch und der lebensecht erscheinende Homo heidelbergensis mit einem Pferdeschädel in der Hand.
Wie uns die Steinzeit noch in den Knochen steckt
In einem 250-Grad-Kino werden die Besucher dann in die dramatische Jagdszenerie am Schöninger See hineingezogen. Sie setzen sich mit einer Jägergruppe ans Lagerfeuer und erleben mit ihr die aufreibende Jagd. Der Film ist emotionaler Höhepunkt der Ausstellungsführung.
"Entdecke den UrMensch in dir!" lautet das Motto, mit dem der Besucher buchstäblich einen Spiegel vorgehalten bekommt und erfährt, warum die Altsteinzeit ihm immer noch "in den Knochen steckt". Das paläon verbindet deshalb das spannende Erlebnis Urgeschichte mit aktueller Forschung. Vor der Besichtigung der Außenanlagen und der Ausgrabungen werden die Besucher im Forschungsbereich aufgefordert, selbst aktiv zu werden.
Direkt neben dem professionellen Labor liegt das Besucherlabor. Hier darf jeder selbst Versuche durchführen, am Mikroskop Pflanzenreste bestimmen oder Tierknochen untersuchen. "Das paläon ist ein Ort, an dem wir schon Kinder für die Wissenschaft begeistern können", sagte dazu Prof. Dr. Thomas Terberger vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege. Das Forschungs- und Erlebniszentrum ist als außerschulischer Lernort vom Kultusministerium anerkannt worden.
Nicht zuletzt ist das von Züricher Architekten entworfene Gebäude selbst außergewöhnlich. Wie gegeneinander verschobene Erdschichten erhebt es sich über das flache Umland. Die Außenhaut wirkt wie ein überdimensionaler Spiegel, der die ihn umschließende Landschaft und den Himmel reflektiert und somit eins wird mit seiner Umgebung. Was hier einmal ein Park werden soll, sieht jetzt noch recht karg aus, aber die vielfältige Bepflanzung, die zum großen Teil von Schöninger Schülern vorgenommen wurde, muss sich erst noch entwickeln.
Dimension des "paläon" ist nicht unumstritten
Das Forschungs- und Erlebniszentrum Schöninger Speere hat mit Errichtung und Ausstellung 15 Millionen Euro gekostet. Die Investition ist nicht unumstritten, Kritiker bezweifeln, dass die kalkulierten 70.000 Besucher jährlich kommen werden. Dr. Wolf-Michael Schmid, Vorsitzender des Fördervereins "Schöninger Speere - Erbe der Menschheit", zeigt sich optimistisch und meint: "Ich glaube, es könnten aber auch mehr werden."
Zu den 450 geladenen Gästen, darunter auch der Visionär für das "paläon", Prof. Harald Meller, "Vater" der Himmelsscheibe von Nebra, zählte bei der Eröffnung am Montag auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Er bezeichnete die 15 Millionen Euro, mit denen das Land den Bau des paläons finanziert hat, als gute Investition in die Zukunft: "Es ist ein einzigartiges Projekt, Niedersachsen entwickelt sich immer mehr zu einer Schatzkammer für Archäologen. Ich bin fasziniert von dem Gedanken, dass genau hier vor so langer Zeit unsere Vorfahren gejagt und gelebt haben. Es ist eine Sensation, wenn 300.000 Jahre alte Spuren der Menschen gefunden werden."
Schöningens Bürgermeister Henry Bäsecke sieht in der Errichtung der Forschungs- und Begegnungsstätte einen wichtigen Schritt im Strukturwandel nach dem Bergbau, der 2017 zu Ende geht, hin zum Tourismus: "Wir sind auch vernetzt mit anderen touristisch interessanten Orten, wie zum Beispiel unserer Partnerstadt Oschersleben oder Magdeburg", so Bäsecke. Das "paläon" entwickle demnach Entfaltungskraft nicht nur allein für die Elmstadt, sondern für die gesamte Region beiderseits der Landesgrenze.