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Suchtberatung Alkohol: Suchtmittel Nummer eins

Seit etwa fünf Jahren berät Stefanie Jarawka zu Suchtproblemen in der Beratunsstelle des DRK in Wanzleben. Häufigstes Problem: Alkohol.

Von Josephine Schlüer 22.11.2020, 23:01

Wanzleben l „Wir beschäftigen uns mit jedweder Art von Süchten, sowohl suchtmittelbezogene als auch die Verhaltenssüchte“, sagt Stefanie Jarawka von der Wanzleber Suchtberatungsstelle des DRK Kreisverbandes Börde. Verhaltenssüchte seien beispielsweise Essstörungen, Kaufsucht oder Glücksspiel.„Jedes Mittel, das den Geist, die Wahrnehmung und das Denken beeinflusst, kann potentiell zu einem Suchtmittel werden“, betont die 39-Jährige. Es komme immer darauf an, in welchen Maßen und in welcher Regelmäßigkeit diese Mittel konsumiert werden.

Während im Lockdown zwischen Mai und Juni hauptsächlich telefonisch beraten wurde, sei die Nachfrage nach einer Beratung anschließend gestiegen. Anreize zu vermehrtem Alkohol- oder Drogenonsum hätten sich erhöht, etwa durch einen Bruch in der Alltagsstruktur nach Kurzarbeit oder Arbeitsverlust, oder durch Einsamkeit wegen verminderter sozialer Kontaktmöglichkeiten, schätzt Jarawka ein. Die meisten Klienten der Suchtberaterin hätten ein Problem mit Alkohol. „Alkohol ist Suchtmittel Nummer eins, vor allem hier im Landkreis“, sagt die 39-Jährige, die zuvor in einer Magdeburger Beratungsstelle tätig war. „Dort waren die Süchte nach illegalen Drogen sehr viel weiter verbreitet“, weiß Jarawaka.

Bei den Klienten mit Alkoholproblemen handele es sich vorwiegend um Männer der Altersklasse 50 Plus, die seit Jahrzehnten trinken und jetzt die Auswirkungen des erhöhten Konsums an sich bemerken. Dieses Phänomen sei geschichtlich bedingt, „weil in der DDR einfach anders mit dem Thema Alkohol umgegangen wurde“, so Jarawka. Heute sei man sehr viel sensibler und wisse um die Folgeschäden. Etwa 70 Prozent der Klienten in der Wanzleber Beratungsstelle würden sich wegen Alkohol beraten lassen, Tendenz abnehmend. „Vor vier Jahren waren es noch etwa 80 Prozent“, so die Beraterin. Dementsprechend sei der Anteil von Konsumenten illegaler Drogen stark gestiegen.

Jetzt würden auch vermehrt jüngere Menschen die Beratungsstelle aufsuchen, die am häufigsten Cannabis konsumieren, aber beispielsweise auch Methamphetamin oder Kokain, so Jarawka. Auffällig zugenommen habe ein polyvalentes Muster, also der Mischkonsum verschiedener Drogen mit unterschiedlichen Wirkungen. „Viele Klienten wollen aktiv den Zustand des Körpers beeinflussen.“ Dabei gehe es nicht einzig um den Rausch, sondern auch um die Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit. So werde beispielsweise Methamphetamin oder Kokain konsumiert, „um morgens in die Gänge zu kommen und leistungsfähig für den Tag zu sein“, sagt Jarawka. Und wer dann abends wieder „runterkommen will“, betäube sich mit Cannabis und/oder Alkohol um schlafen zu können, beschreibt die Suchtberaterin typische Muster.

Als Ursache für den steigenden Mischkonsum sieht Jarawka einen erhöhten Leistungsdruck in der Gesellschaft. „Größere Anforderungen im Beruf, in der Schule. Man möchte für die Familie, für Freunde da sein und sich noch möglichst positiv in den sozialen Medien darstellen“, beschreibt sie die Aufgaben, denen ihre Klienten gerecht werden wollen. „Das ist aber nur ein Grund neben vielen anderen Möglichkeiten“, sagt Stefanie Jarawka.

Um herauszufinden, wer suchtgefährdet ist, wird in der Beratung geklärt, ob ein Drang zum Konsum besteht. Auch eine Toleranzentwicklung könne auf eine Abhängigkeit hinweisen. „Der- oder diejenige braucht also immer mehr von einer Substanz um die gleiche Wirkung zu erzielen“, erklärt Stefanie Jarawka. Sie versucht zudem zu ermitteln ob schon einmal bei längerem Verzicht Entzugserscheinungen bei Klienten aufgetreten sind, wie beispielsweise Nervosität, Gereiztheit, Schweißausbrüche. Ein weiteres deutliches Zeichen für eine Abhängigkeit sei der Kontrollverlust, „also wenn man einfach nicht aufhören kann nachdem man angefangen hat“, so Jarawka weiter.

Als Merkmal einer Sucht benennt sie außerdem das Fortsetzen des Konsums trotz eingetretener schädlicher Folgen. „Wenn beispielsweise bereits gesundheitliche Schäden diagnostiziert wurden, sich die Frau getrennt, man den Job verloren oder schon ein Strafverfahren am Hals hat und trotzdem weiter trinkt, zieht, raucht“. sagt Jarawka. Zudem sei ein Zeichen für eine Abhängigkeit, wenn jemand aufgrund seines Konsums seinen Alltag vernachlässigt, beispielsweise Termine nicht mehr regelmäßig wahrnimmt oder nicht mehr aktiv am Familienleben teilnimmt. „Je mehr dieser Anzeichen zutreffen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Abhängigkeit“, sagt Jarawka.

„Unsere Rolle als Beratungsstelle ist neben Freunden und Familie der erste Ansprechpartner zu sein“, sagt Stefanie Jarawka, die Soziologie und Psychologie studiert sowie eine zusätzliche Ausbildung zur systemischen Beraterin absolviert hat. Der Auftrag der Beratungsstelle laute, mit dem Patienten zu überlegen, was er oder sie sich denn für die Lösung des jeweiligen Problems vorstellen kann. „Das läuft als Dialog.“ Eine Sucht ist eine chronische Erkrankung, die Betroffene ein Leben lang begleite. „Man kann sie aber in den Griff bekommen und gut damit leben“, sagt die Beraterin. Der Schritt sich einzugestehen, dass man ein Problem hat, sei dabei der wichtigste, aber auch der schwierigste Schritt.

2019 wurden in den Beratungsstellen des DRK Kreisverbandes Börde 328 Menschen in den Geschäftsstellen Oscherleben und Wanzleben beraten. Die Zahlen seien laut Jarawka über die Jahre hinweg etwa gleichbleibend. Sie rechnet jedoch mit einer hohen Dunkelziffer von Menschen, die trotz schädlicher Folgen mit ihren Süchten weiter leben. „Ich kann wirklich nur jedem Betroffenen raten sich Hilfe zu suchen“, so Jarawka. Alle Informationen von Klienten müssen von der Beratungsstelle vertraulich behandelt werden. Auf Wunsch sind auch anonyme Treffen möglich. Die Suchtberaterin: „Es passiert hier nichts schlimmes. Wir reden nur und versuchen Lösungen zu finden.“