Ingrid Warweg arbeitet seit 30 Jahren als Heilerzieherin in der Matthias-Claudius-Haus-Stiftung Wohnheim aus der Schmuddelecke geholt
Seit 30 Jahren prägt Ingrid Warweg das Matthias-Claudius-Haus. 1982 übernahm sie mit ihrem damaligen Mann Christoph die Einrichtung und holte sie aus der Schmuddelecke der Verwahranstalten. Heute arbeitet die 56-Jährige im Wohnbereich.
Oschersleben (mmt) l Als Ingrid Warweg die vergangenen drei Jahrzehnte im Volksstimme-Gespräch Revue passieren lässt, schaut sie oft schweigend aus dem Fenster. Manchmal lächelt sie, dann zieht sie die Stirn in nachdenkliche Falten. "Wir waren die jungen Wilden", sagt sie. Mit "wir" meint sie sich und ihren damaligen Mann Christoph. 1982 kommt das Paar - beide sind noch keine 25 Jahre alt und auch noch nicht verheiratet - in das Matthias-Claudius-Haus. Die beiden Heilerziehungspfleger haben sich entschlossen, das Wohnheim zu leiten. 42 behinderte Männer wohnen auf dem Gelände in der Hermann-Krebs-Straße. Die Werkstandstandorte gibt es noch nicht.
Insgesamt waren die Zustände damals unzumutbar. Ein Bild hat sich ganz besonders in Ingrid Warwegs Kopf festgebrannt. "Als wir ankamen, stand eine kleine Gruppe Männer auf dem Hof", erzählt sie. "Sie fragten uns voller Hoffnung: Seid ihr die Neuen? Wie lange bleibt ihr? Bleibt ihr für immer und ewig?".
"Das ganze Heim war ein Pflegefall"
Diese erste Begegnung mit den Bewohnern ist für die zierliche Frau mit dem blonden Pferdeschwanz heute noch sehr nah. "Das ganze Heim war ein Pflegefall. Wir haben uns geschworen, das alte Matthias-Claudius-Haus umzukrempeln", sagt die gebürtige Thüringerin.
Doch die damals jüngsten Heimleiter der Kirchenprovinz ecken an. Die erste Zeit ist eine Zeit voller Auseinandersetzungen. Ingrid Warweg erinnert sich. "Wir haben ein starkes Protestverhalten an den Tag gelegt. Es war ein bisschen wie eine Revolution." Und mit einem Augenzwinkern fügt sie hinzu. "Irgendwie waren wir schon eine Zumutung." Revoltiert haben die Warwegs vor allem gegen die Zustände in der Verwahranstalt und das starre, kirchliche Verhalten. "Wir wollten das Heim öffnen und ein Zuhause schaffen." Das ehrgeizige Vorhaben gelingt. Die Warwegs beenden mit ihren Mitstreitern das "Inseldasein" der Bewohner. Einige von ihnen leben heute noch im Matthias-Claudius-Haus. "Wir haben erst einmal die Bedürfnisse jedes Einzelnen entwickelt, sind spazieren gegangen und haben die Medikamente auf ein verträgliches Maß herabgesetzt."
Die Warwegs wollen keine Hierarchien mehr. Sie wollen das Leben in einer Kommune. 1983 heiraten sie. Ingrid Warweg, die drei Kinder hat und sich selbst als "praktizierende Christin" sieht, unterrichtet von 1984 bis 1991 auch Rehabilitationspädagogik im Wolmirstedter Bodelschwingh-Haus. Sie bildet gute Leute aus und akquiriert sie für Oschersleben. Sie hält über Jahre auch Kontakte zu den Neinstedter Anstalten, wo sie selbst ausgebildet wurde. Auch von dort kommen Pädagogen und Visionäre in die Bodestadt. Gemeinsam wird der therapeutische Arbeitsbereich entwickelt und schnell vergrößert. Die heutige Werkstatt für behinderte Menschen entsteht. Das Matthias-Claudius-Haus wächst erfolgreich.
"Ich denke, ich mache einfach so weiter"
Im Frühjahr 2000 endet für die Warwegs der Weg. Der heutige Geschäftsführer Michael Lange übernimmt. Und Ingrid Warweg? Sie und ihr Mann gehen fortan getrennte Lebenswege. Er verlässt Oschersleben, sie bleibt und definiert sich neu. Sie arbeitet immer noch im Wohnbereich, ist stellvertretende Vorsitzende der Mitarbeitervertretung und engagiert sich in der Arbeitsrechtlichen Kommission der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands. "Es hat eine ganz wertvolle Bedeutung, an dieser Stelle so lange gewirkt zu haben", sagt sie. "Ich denke, ich mache einfach so weiter."