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Telefonseelsorge Ein Anruf gegen die Einsamkeit

In Wernigerode engagieren sich zehn Ehrenamtliche bei der Telefonseelsorge. Sie tun vor allem eins: Sie hören zu.

Von Ivonne Sielaff 21.12.2016, 00:01

Wernigerode l Ein Telefon und ein kleines Notizbuch – mehr braucht Silvia Fuchs nicht, um Trost zu spenden. Seit 15 Jahren greift die 59-Jährige regelmäßig zum Hörer – auch in der Weihnachtszeit. Sie ist eine von zehn Ehrenamtlichen bei der Telefonseelsorge Wernigerode. „Ich hatte schon immer eine soziale Ader, habe mich für Psychologie interessiert“, sagt sie. Es sei ihr ein Bedürfnis, Menschen zu helfen, die sich nicht selbst helfen können. „Ich will das geben, was ich gut kann: zuhören.

Auch Hannelore Weiß war auf der Suche nach einer Betätigung, als sie vor drei Jahren in der Volksstimme auf die Telefonseelsorge stieß. „Das ist was für mich“, habe die 62-Jährige damals gedacht.

Die Telefonseelsorge ist auf ihr Netz von Helfern angewiesen. „Wir können jedoch nicht jeden nehmen“, sagt Andreas Krov-Raak, der die Einsätze der Ehrenamtlichen in Dessau, Wittenberg und Wernigerode organisiert. „Man muss gewisse Voraussetzungen mitbringen.“ Dazu zählen Neugier, Einfühlungsvermögen und ein gewisses Maß an psychischer Stabilität.

Bevor die Helfer am Telefon sitzen, müssen sie 140 Ausbildungsstunden absolvieren. „Techniken der Gesprächsführung und Biografiearbeit“, erläutert Krov-Raak. „Wie bin ich zu der Person geworden, die ich bin?“ Nur wenn man sich selbst kenne, sei man in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen. Nach der Ausbildung verpflichten sich die Ehrenamtlichen, zwei Jahre lang zwölf Stunden im Monat Dienst zu leisten. „Die meisten bleiben länger.“ Wie Ralf Bergmann. Der 50-jährige Wernigeröder hat zwei Jahre hinter sich. Noch gut kann er sich an seinen ersten Einsatz erinnern. „Ich war nicht aufgeregt. Aber ich hatte Respekt.“ Es sei etwas völlig anderes, wenn man auf Arbeit angerufen werde. „Wenn ich den Hörer hier abhebe, weiß ich nicht, was mich erwartet“, so Bergmann.

Es seien vor allem einsame Menschen, die sich an die Telefonseelsorger wenden. „Leute, die niemanden haben, die uns als Familienersatz sehen“, sagt Andreas Krov-Raak. Es gebe etliche Menschen, die Hilfe suchen – im vergangenen Jahr 21.000 in den Dienststellen Dessau, Wittenberg, Wernigerode. Deren Probleme seien vielfältig – Depression, Selbstmordgedanken, psychische Erkrankungen, Partnerschaft, Gewalt, Missbrauch, Sexualität, Armut, politische Themen.

Vor allem die Nachtdienste seien herausfordernd. „Wenn es dunkler wird, werden auch die Themen dunkler“, sagt Ralf Bergmann. „In der Nacht plagen einen die Krisen, lassen einen nicht schlafen“, so der Seelsorger.

Das kann Hannelore Weiß bestätigen. Noch gut erinnert sie sich an den Anruf einer jungen Frau. „Sie hat sich geritzt, war kurz davor, sich wieder zu verletzen.“ Nebenan im Schlafzimmer habe der sechsjährige Sohn geschlafen. „Wir haben uns lange unterhalten. Irgendwann habe ich das Gespräch auf ihr Kind gelenkt.“ Am Ende habe die junge Mutter gesagt, sie würde sich jetzt zu ihrem Sohn ins Bett legen. „Das war schön. Für diesen Moment konnte ich ihr helfen.“

Silvia Fuchs ist der Anruf eines kleinen Jungen im Gedächtnis geblieben. „Es war gegen 2 Uhr nachts, der Junge war sieben oder acht Jahre alt und mit seiner jüngeren Schwester allein.“ Die Mutter sei nicht da gewesen. „Der Kleine wusste nicht, wo sie ist, wann sie wieder kommt. Zu essen hatten die Geschwister nur einen Schokoriegel.“ Zum Abschied habe der Junge gesagt: „Sie sind eine ganz liebe Frau, weil Sie mitten in der Nacht mit mir sprechen.“ Das habe sie sehr berührt, erinnert sich Silvia Fuchs.

Viele Gespräche würden nachhallen. „Aber wenn ich das Büro nach meinem Dienst verlasse, schließe ich damit ab“, sagt Hannelore Weiß. Dabei helfe ihr, sich Stichpunkte über die Anrufe in ihr Notizbuch zu machen. „Wenn ich fertig bin, bin ich bereit für etwas Neues.“ Es sei wichtig, dass es einen Ort gebe, an dem die Gespräche bleiben, um sie nicht mit nach Hause zu nehmen, sagt Krov-Raak. Darüber hinaus helfe die regelmäßige Aufarbeitung mit den Ehrenamtlichen.

Ob ihm die Arbeit bei der Telefonseelsorge auch selbst etwas gebe? „Die Bestätigung, Gutes zu tun, anderen zu helfen“, sagt Ralf Bergmann. „Wenn ich nach einem Dienst nach Hause komme und meine Frau umarme, weiß ich zu schätzen, wie gut es mir eigentlich geht, wie zufrieden ich sein kann. Und das ist eine wichtige Erkenntnis.“

Die Telefonseelsorge arbeitet anonym. Deshalb wurden die Namen der Helfer verändert. Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr unter (0800) 1 11 01 11 / 222 zu erreichen, darüber hinaus im Internet unter www.telefonseelsorge.de.