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Anschlussgebühr Mehr als 4000 Wernigeröder müssen zahlen

Über 4000 Grundstückseigentümer in Wernigerode müssen für einen alten Anschluss an ein marodes Klärwerk zahlen. Eine Hoffnung bleibt ihnen.

Von Regina Urbat 12.04.2019, 01:01

Wernigerode l „Ungemach flattert ins Haus“, so titelte die Volksstimme am 15. November 2015. In dem Beitrag erläuterte Nikolai Witte als Geschäftsführer des Wasser- und Abwasserverbandes Holtemme-Bode (WAHB), warum etwa 4200 Grundstückseigentümer in Wernigerode nach fast 25 Jahren plötzlich für eine „Altlast“ zur Kasse gebeten werden.
Gleichzeitig empfahl Witte den Betroffenen, gegen den vom Verband verschickten Gebührenbescheid – das Ungemach – Widerspruch einzulegen und die Aussetzung einer Vollstreckung zu beantragen. Quasi, den geforderten Geldbetrag für den ehemaligen Anschluss an das alte Klärwerk in der Schmatzfelder Straße, das 1995 abgerissen wurde, noch zurückzuhalten. Der WAHB wollte gerichtlich klären lassen, ob er die Eigentümer für einen sogenannten besonderen Herstellungsbeitrag (HBII) wirklich zur Kasse bitte muss.
Nun, fast vier Jahre später, „muss er leider“, sagt Witte und macht kein Hehl daraus, dass es zähneknirschend erfolgt. Der Grund: Der Abwasserverband hat vor dem Oberverwaltungsgericht in Magdeburg seinen Prozess verloren. Im Urteil wird die Erhebung des HBII als rechtsgültig erachtet. Auswirkungen hat das konkret für die Eigentümer von Privat- und Firmengrundstücken in der Kernstadt Wernigerode, die am Stichtag 15. Juni 1991 an die alte Kläranlage angeschlossen waren. Für sie wird nun „ein Prozedere fortgesetzt, auf das ich und die Mitglieder der Verbandsversammlung gern verzichten wollten“, sagt Witte.
Bei der Entscheidung, diese Alt-Anschlüsse im Verbandsgebiet Holtemme-Bode nicht mit Beiträgen zu belasten, habe man sich an der Rechtsprechung orientiert. Demnach seien bei der Erhebung des HBII Provisorien ausgeschlossen. Für den Juristen Witte ist die Mitte der 1930er Jahre gebaute Kläranlage wegen ihres desolaten Zustands solch ein Provisorium gewesen. „Immerhin wurde bereits 1991 entschieden, in Silstedt eine neue Verbandskläranlage zu bauen. Das völlig überlastete Klärwerk in der Stadt Wernigerode irgendwie weiter zu nutzen, kam nicht infrage.“
Der Status Provisorium wurde dem WAHB 2008 sogar vom Verwaltungsgericht in Magdeburg bescheinigt, jedoch 2015 in einem Eilverfahren von derselben Instanz wieder zurückgenommen. Unabhängig davon sei mit der seit 1994 für den Abwasserverband gültigen Beitragssatzung eine reguläre Anschluss-Gebühr von den Betroffenen „nicht mehr einziehbar gewesen“, fügt Nikolai Witte hinzu. Die offenen Alt-Anschlussfälle seien bereits 1992 abgeschlossen gewesen.
Was nun? Der WAHB verschickte Ende 2015 die HBII-Bescheide mit der eingangs erwähnten Empfehlung und entschied sich für eine Musterklage vor der höheren Instanz. Das Oberverwaltungsgericht in Magdeburg sollte prüfen, ob der Verband verpflichtet ist, eine Satzung zur Erhebung des HBII zu erlassen. Zu dieser sogenannten Ersatzvornahme wurde er nämlich 2015 von der Kommunalaufsicht der Kreisverwaltung gezwungen.
Obwohl das Oberverwaltungsgericht nun in der alten Kläranlage auch „kein Provisorium“ sieht und der WAHB zur Satzungsänderung verpflichtet ist, um die betroffenen Grundstückseigentümer zur Zahlung zu zwingen, besteht noch ein „Fünkchen Hoffnung“, sagt Torsten Graf. Der Rechtsanwalt ist Vorstandsvorsitzender des Vereins Haus & Grund Wernigerode und teilt die Rechtsauffassung des WAHB.
Außerdem habe Haus & Grund schon 2017 beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. „Mit der Anpassung des Kommunalabgabengesetzes Ende 2014 hat der Landesgesetzgeber in Magdeburg unberechtigt eine Möglichkeit geschaffen, dass noch Beiträge aus historischen Zeiten erhoben werden können“, begründet Graf. Für diese Beitragsforderungen sei nämlich bereits bis Ende 1996 eine Verjährung eingetreten. „Nun, mit der willkürlichen per Gesetz festgelegten Stichtagsregelung 15. Juni 1991, können Eigentümer für Alt-Anschlüsse noch nach 24,5 Jahren zur Kasse gebeten werden“, hadert der Rechtsanwalt. Er erwarte wie schon im Land Brandenburg ein „klarstellendes Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts“. In Brandenburg habe das Gericht bei einer ähnlichen Sachlage zugunsten der Eigentümer entschieden.
Aus diesem Grund und aus einem zweiten, sollten die Betroffenen zwar den HBII bezahlen, „aber an ihrem Widerspruch festhalten“, sind sich Graf und Witte einig. Neben der Verfassungsbeschwerde werde die Stadt Wernigerode ein Musterverfahren mit dem WAHB führen. Anhand von zwei oder drei städtischen Grundstücken soll geprüft werden, ob die „Altlast“-Forderung des Verbandes rechtens ist. Solange die gerichtlichen Verfahren laufen, liegen die eingezahlten Beiträge beim WAHB auf Eis und werden bei Erfolg „vom Verband gern zurückerstattet“, versichert Witte.