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Artenschutz Oberharzer Mufflons vor dem Aus

Seit mehr als 100 Jahren leben sie im Oberharz, einst sogar zu Tausenden. Doch von den Mufflons müssen sich Wanderer verabschieden

Von Holger Manigk 24.04.2019, 01:01

Stiege l Einst haben sie zu einer Harz-Wanderung gehört wie der Wald und das Plätschern der Gebirgsbäche. Nun droht das Muffelwild im Oberharz ganz von der Bildfläche zu verschwinden. „Es ist eine Frage von zwei, drei Jahren, bis die Tiere bei uns nur noch in Gehegen wie im Wildpark Christianental zu sehen sind“, sagt Frank Lüddecke. Der Vorstandschef der Jägerschaft Wernigerode gibt der letzten Mufflon-Population der Region – dabei handele es sich um rund 20 Tiere bei Stiege – kaum noch Überlebenschancen. Etwas besser sehe es für eine größere Gruppe im Selketal aus.
Verantwortlich macht der Jäger für den rasanten Rückgang der Wildschaf-Bestände die Ausbreitung des Luchses in den Harzer Wäldern. „Wenn der Wolf in der Region auch wieder Fuß fasst, werden weitere Arten aussterben“, vermutet Lüddecke. „Wir akzeptieren die beiden Beutegreifer. Doch wie viel davon verträgt der Harz?“
Naturschützer argumentieren, bei den Mufflons handele es sich um eine eingeschleppte Art, sogenannte Neozoen. 1906 hatten Förster auf Betreiben eines Hamburger Großkaufmanns knapp 30 der ursprünglich auf Korsika und Sardinien beheimateten Schafe im Harz ausgewildert. Mangels natürlicher Feinde – der vermutlich letzte Wolf wurde 1798, der letzte Luchs 1817 geschossen – verbreiteten sich die Tiere ungehindert.
Noch bis vor wenigen Jahren streiften sie zu Tausenden durch die Region. „Damit hatten sie sich in der heimischen Tierwelt etabliert, waren ein Magnet für Wanderer und Besucher“, so Lüddecke. Auf die Rückkehr der beiden großen Raubtiere seien die Mufflons nicht vorbereitet, daher „leichte Beute“.
Schuld sei das „eigenartige Fluchtverhalten“ der Hornträger, erläutert Holger Piegert. Wie der Kreisjägermeister und anerkannte Mufflon-Experte sagt, liegen den Wildschafen kurze Sprints im Blut. „Erblicken sie einen Feind, rennen sie über Strecken von rund 50 Metern, bleiben dann stehen und drehen sich um.“
Diese Art des Selbstschutzes funktioniere auf den felsigen Mittelmeerinseln, von denen das Muffelwild ursprünglich stammt, aber nicht auf den eher sanften Hängen des Harzes. „Evolution ist eine Sache von Jahrtausenden, unsere Population – einst die bedeutendste in ganz Ostdeutschland – wird bald verschwunden sein“, fürchtet Piegert.
Chancen, zu überleben, sieht er für die Mufflons am ehesten in den steilen Wänden des Bodetals. „Dort kommt der Wolf nicht hin, aber vor dem Luchs sind die Schafe dort nicht sicher.“ Die Katzen rissen meist Lämmer, die hundeartigen Räuber könnten im Rudel dagegen sogar ausgewachsene Widder erlegen. Er kenne außer dem Ostharz kein Gebiet weltweit, in dem Wildschafe und Luchse zusammen leben. „Das gibt es in der Form weder in Amerika noch in Asien“, so Piegert.
„Wir verstehen uns ebenfalls als Naturschützer“, sagt Lüddecke. Er fordert im Namen der Jäger „Kompromisse und wissenschaftliche Betreuung für alle Tiere“. Sonst sehe er für weitere Arten – wie den Harzer Nationalvogel, den Auerhahn, sowie seine Verwandten, das Hasel- und das Rackelhuhn – ebenfalls schwarz. „Doch für den Wolf geben wir Unsummen aus, während andere Arten einfach geopfert werden.“