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Coronavirus Droht Event-Anbietern bald das Aus?

Als Tourismusregion ist die Oberharz-Stadt von der Corona-Krise besonders betroffen. Vereinzelt droht die Insolvenz.

Von Karoline Klimek 15.05.2020, 11:44

Oberharz-Stadt l Einmal mit einem Panzer über die Piste rollen. Nachts im Wald schlafen und sich als Überlebensexperte beweisen. Mit dem Kopf voran über die Rappbodetalsperre fliegen. Oder in eine Welt voller Indianer und Cowboys eintauchen: Es sind ausgefallene Ideen, die neben der idyllischen Natur Touristen in die Oberharz-Stadt locken. Mit Übernachtungen, Eintrittskarten und Restaurantbesuchen bringen sie Geld in eine Region, die darauf finanziell angewiesen ist. Durch die Corona-Krise stehen diese Attraktionen still. Manche vielleicht für immer.

Mit Segway, Megazipline, Wallrunning, Gigaswing und Hängebrücke steht der Name Harzdrenalin für ausgefallene Events. Das lockt jährlich tausende Erlebnishungrige von Nah und Fern nach Rübeland. Für den steigenden Besucherandrang sollte nach jahrelangem Rechtsstreit 2020 sogar der Parkplatz erweitert werden. Doch aktuell ist hier jeder einzelne Platz frei.

„Wir haben seit März keine Einnahmen. Das ist bei 30 Angestellten sehr hart“, gibt Stefan Berke, einer der beiden Geschäftsführer von Harz-drenalin, zu. Schließlich machen die Gehälter ein Drittel der laufenden Kosten aus. Das Unternehmen habe Kurzarbeit angemeldet, stocke derzeit zusätzlich auf. „Wir können das aber auch nicht ewig machen. Wenn das hier noch länger als bis Mitte Juni läuft, dann müssen wir reagieren und einigen Leuten kündigen.“

Um das zu vermeiden, arbeite die Firmenleitung an einer schnellen Wiedereröffnung, habe Hygienekonzepte entworfen und Anträge bei den zuständigen Ämtern gestellt. „Das Problem ist, dass Anbieter wie wir nirgends direkt erwähnt werden. Es wird nicht über die Tourismusbranche geredet, sondern nur über die Gastronomie und Hotellerie“, gibt er zu bedenken.

Und das Warten sei wie ein Lauf gegen die Zeit. Das meiste Geld verdiene Harzdrenalin zwischen April und Oktober. „Das ist die Zeit, in der wir uns das Futter anfressen, um den Winter zu überleben“, erklärt der Geschäftsführer. „Wenn wir spätestens Ende Mai wieder öffnen können, könnten wir mit einem blauen Auge davonkommen. Dann schreiben wir ein Nulljahr“, schätzt Stefan Berke ein. „Wenn es aber nochmal so lang geht, dann wäre das für uns existenzbedrohend.“

Neben der schnellen Öffnung hoffe er aber auch auf weitere Lockerungen. „Wenn das Land die Reisebeschränkungen nicht aufhebt, dann ist die ganze Verordnung für uns sinnfrei. Von dem kleinen Prozentteil, der aus Sachsen-Anhalt kommt, könnten wir nicht überleben“, betont Stefan Berke. „Das geht allen so in der Tourismusbranche. Wir brauchen alle auch die Gäste aus den anderen Bundesländern.“

Laut ihm kommen die Buchungsabsagen minütlich rein. Und das sogar bis in den September rein. Das liege, so Berke, zum einen an der Unsicherheit der Leute, zum anderen aber auch an den fehlenden finanziellen Mitteln im Zuge der Krise. „Ich glaube, dass der richtige Einschlag erst noch kommt. Nur wenn es der Wirtschaft gut geht, geben die Leute ihr Geld für ihre Freizeit aus“, prognostiziert er.

Diese Meinung teilt auch Mario Tänzer, der in Benneckenstein zum Panzerfahren einlädt. Auch wenn er mit der Unterstützung seiner Familie noch das Ostdeutsche Fahrzeug- und Technikmuseum betreibt, seien die Ausfahrten mit schwerem Geschütz seine Haupteinnahmequelle. „Unsere teuerste Fahrt kostet 299 Euro. Wer jetzt in Kurzarbeit ist oder als Selbstständiger weniger verdient, verschenkt nicht einen so teuren Gutschein“, schätzt er ein. Deshalb ist er sich sicher: „Nach der Krise ist vor der Krise. Ich hoffe, dass hier entsprechende Hilfsprogramme nachgelegt werden.“

Erschwerend hinzu komme, dass er aktuell kein Geld verdienen könne. Denn während die Ausstellungsräume wieder öffnen dürfen, ist das Panzerfahren weiterhin verboten. „Auf dem Panzer kann man den Mindestabstand nicht einhalten. Der Fahrlehrer sitzt je nach Panzermodell neben der Luke des Fahrers oder direkt dahinter in einer weiteren Luke. Von dort erzählt er demjenigen, was er machen muss. Das geht nicht von weiter weg“, zeigt er das Grundproblem auf. „Fahrschulen dürfen aber auch arbeiten, Ballonfahrten auf engem Raum angeboten werden. Jetzt hoffe ich, dass ich unter diesem Aspekt die Fahrten unter Auflagen wieder anbieten kann.“ Angefragt habe er bei der zuständigen Behörde am Mittwoch. Jetzt müsse er abwarten.

Wertvolle Wochen im saisonalen Outdoor-Geschäft habe er bereits verloren. „Wir sind normalerweise ein Vierteljahr vorher gut ausgebucht. Ende Juni bekommt fast niemand mehr einen Termin für die laufende Saison“, erzählt Mario Tänzer. „Mit den jüngsten Lockerungen kommen auch wieder vermehrt Nachfragen für spätere Termine. Aber wenn derjenige aus einem anderen Bundesland kommt, muss ich ihm derzeit noch absagen, weil die Einreise nicht erlaubt ist.“

Dabei kommen die Kunden aus ganz Deutschland. „Es gibt nicht so viele Möglichkeiten, einmal Panzer zu fahren. Es kommen vielleicht 15 Prozent unserer Kunden aus Sachsen-Anhalt. Der Rest reist aus Dortmund, Rostock, Hannover oder München an“, erklärt der Unternehmer. „Um die Kurve zu bekommen, sollten jetzt mehr Lockerungen kommen. Sonst muss ich überlegen, wie die Zukunft aussehen soll“, wird Mario Tänzer nachdenklich. „Ich habe Angst, dass wir es nicht schaffen, einen Winterpuffer für meine Angestellten und meine Familie anzulegen.“

Die Krise stelle ihn vor ungewohnte Herausforderungen. „Wir kalkulieren Regentage mit ein, bei denen wir die Fahrten absagen müssen oder an denen weniger Besucher zu Veranstaltungen aufs Gelände kommen. Wir rechnen mit Krankheitsfällen. Aber dass mal ein Shutdown kommt, damit haben wir nicht gerechnet“, gibt er zu.

Prinzipiell auf das Schlimmste vorbereitet ist René Golz allemal. Schließlich ist der Inhaber der Survivaltours in Benneckenstein Überlebensexperte und gibt in Workshops sein Wissen weiter. Dennoch muss auch er jetzt ums Überleben kämpfen. „Meine Kurse waren bis Mitte des Sommers sehr gut gefüllt. Normalerweise wären im Frühjahr die Anmeldungen für die Zeit danach gekommen. Aber die Leute trauen sich im Moment nicht. Die Bestellungen sind komplett zusammengebrochen“, erzählt René Golz.

Aufgrund des Kontaktverbots konnte er seine Kurse acht Wochen lang nicht mehr anbieten. „Ich habe Soforthilfe beantragt, und die ist tatsächlich schon im April gekommen. Aber es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, verrät er. Die Unterstützung helfe zwar, habe aber einen entscheidenden Haken. „Von dem Geld, das ich für drei Monate bekomme, darf ich nur die laufenden Grundkosten bezahlen, beispielsweise die Pacht und die Versicherung. Da ist aber kein Gehalt, kein Lohn mit drin.“ Doch zum Sozialamt wolle er nicht gehen.

Jetzt sowieso nicht, denn mit den Lockerungen kommt das Aufatmen. „Ich gehe davon aus, dass wir überrannt werden, wenn die Leute sich wieder frei bewegen dürfen. Bei vielen hat es sicher ‚Klick‘ gemacht. Ich glaube, wir bekommen einen Boom. Das hoffe ich auch“, sagt der Survivalexperte.

Immerhin dürfe er jetzt bereits mit vier statt der üblichen acht Teilnehmer in den Wald, um sein Überlebenstraining anzubieten. Doch Anmeldungen habe er aktuell noch nicht. „Ich versuche gerade, die ausgefallenen Kurse von April und Mai umzubuchen, um dadurch den Juni und Juli vollzubekommen“, erzählt er.

Prinzipiell sei er optimistisch. „Ich bin guter Hoffnung, denn meine Frau und ich haben schon mal eine Krise überstanden. Wir haben 16 Jahre lang in Spanien gelebt. 2008 ist dort die Finanzkrise ausgebrochen und wir haben Haus und Hof verloren“, blickt er zurück. „Ich gehe da also ein bisschen lockerer ran, weil wir das schon mal erlebt haben. Die Angst, alles zu verlieren, ist dennoch da.“ Denn eine zweite Welle sei nicht ausgeschlossen.

Existenzangst ist es auch, die derzeit in der Westernstadt Pullman City in Hasselfelde umgeht. Die Umsatzverluste seien enorm. „Wir haben drei Standbeine, aus denen wir Einnahmen erzielen. Das sind Eintritt, Hotellerie und Gastronomie. Aber das eine klappt nicht ohne das andere“, erklärt Alex Remy vom Management. „Theoretisch hätten wir alle Shops bei uns auf dem Gelände schon aufmachen können, aber der Harz ist ja leer.“

Zudem habe er von Museen und touristischen Anbietern aus der Region, die bereits unter Auflagen öffnen dürfen, keine positiven Rückmeldungen aus der Branche bekommen. Die Besucherzahlen seien verhalten, die kostendeckenden Einnahmen blieben aus. „Wir reden schon lange nicht mehr von Gewinnbringung im Jahr 2020, sondern nur noch von Schadensbegrenzung“, meint er.

Geschäftsführer Wolfgang Hagenberger geht ins Detail: „Wir haben massive Einbrüche. Alles, was geplant war, müssen wir mindestens für die nächsten vier Wochen stornieren. Das heißt, sämtliche Einnahmen aus den Übernachtungen – und wir waren ausgebucht – müssen wir zurückbezahlen. Das wird an unserer Existenz nagen.“

Denn die laufenden Kosten seien hoch. Die Tiere müssen versorgt, festangestellte Mitarbeiter bezahlt, Versicherungen und Strom beglichen werden. Über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) habe er einen Kredit in Höhe einer halben Million Euro zur Deckung der Kosten bekommen. Die sei bereits „verbrannt“, wie er sagt.

„Wenn bis Mitte Juni keine Aussicht auf eine normale Öffnung ist, gehe ich in Insolvenz“, zeigt er sich wenig optimistisch. „Dann gibt es eine Attraktion weniger. Und das wird eine nach der anderen mit runterreißen, weil wir ein Leuchtturm im Harz sind. Wir holen 250 000 Menschen durch unser Engagement und unsere Werbung in den Harz. Wenn es uns nicht mehr gibt, wird es viele andere auch nicht mehr geben“, ist sich der Geschäftsführer der Westernstadt Pullman City sicher.

Jetzt hoffe er auf die Vorreiterrolle Sachsen-Anhalts. Denn unter den derzeitigen Bedingungen könne er trotz der aktuellsten Lockerungen für Gastronomie und Hotellerie nicht wirtschaften. Das Hauptproblem sei die Abstandsregelung, die wiederum eine Einschränkung der Besucherzahlen mit sich ziehen würde.

„Wir haben einen Tagesdurchlauf von 500 bis 1000 Besuchern. Das können wir nicht begrenzen und sagen, wir lassen nur 300 Leute rein. Das ist alles Quatsch“, macht Wolfgang Hagenberger seinem Ärger Luft. „Meine Tages­unkosten liegen bei 10 000 Euro. Wenn ich die nicht erreichen kann plus einen Gewinn, der uns möglicherweise über den nächsten Winter bringt, brauche ich nicht aufmachen. Bei uns ist Ende Oktober Schluss. Dann haben wir 100 Tiere zu füttern und 25 Angestellte zu bezahlen. Wir brauchen eine halbe Million Euro auf dem Konto, von der wir bis ins nächste Frühjahr zehren könne.“ Doch selbst die bei der Investitionsbank beantragte Sofort-Hilfe sei noch nicht ausgezahlt worden.

„Solange keine großen Lockerungen kommen, sehe ich schwarz für die gesamte Fremdenverkehrs- und Tourismuswirtschaft. Die Politik muss jetzt Farbe bekennen“, fordert er.

„Wir sind ein gesunder Betrieb gewesen, ein Vorzeigebetrieb mit guten Zahlen. Und jetzt soll ich mich hoch verschulden? Ich bin 60 Jahre alt und sehe nicht ein, dass ich nochmal von vorne anfange“, betont Wolfgang Hagenberger. Und bestätigt noch einmal: „Wenn es in diesem Land keine Aussicht gibt, dass wir bald wieder vernünftig weiterarbeiten können, dann sperren wir zu.“