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Coronavirus Gemischte Gefühle bei Händlern im Harz

In Wernigerode durften Geschäfte mit einer Verkaufsfläche bis zu 800 Quadratmetern öffnen. In die Freude der Händler mischt sich Skepsis.

Von Katrin Schröder 21.04.2020, 03:00

Wernigerode l Menschen, die durch die Breite Straße flanieren, von Schaufenster zu Schaufenster bummeln und mit einem Eis in der Hand am Nico eine Pause einlegen: Das gab es schon lange nicht mehr in Wernigerode. In der Fußgängerzone hat die Mehrzahl der Geschäfte jetzt wieder geöffnet. In der Wernigeröder Innenstadt liegt die Mehrzahl der Geschäfte in puncto Verkaufsfläche unter den 800 Quadratmetern, die vom Bund und den Ländern als Höchstgrenze festgelegt wurden. Und während andere Bundesländer wie das benachbarte Niedersachsen zulassen, dass Geschäfte ihre Verkaufsfläche durch Absperrung von Teilbereichen verkleinern, gibt es in Sachsen-Anhalt keinerlei Abweichungen von den Buchstaben des Beschlusses. „Wir haben 1:1 umgesetzt, was in dem Kompromiss stand“, sagt Ute Albersmann, Sprecherin des Landessozialministeriums, auf Volksstimme-Nachfrage.

Grundlage dafür ist die Baunutzungsverordnung, die Geschäfte und Märkte mit mehr als 800 Quadratmetern Fläche als großflächig bezeichnet. „Es besteht die Gefahr, dass große Märkte und Möbelhäuser auch große Menschenmengen anziehen, die es aufgrund der Pandemie zu verhindern gilt“, so Ute Albersmann. Bisher hätten die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer diese Einschätzung geteilt und Eilanträge gegen Verordnungen, die der in Sachsen-Anhalt ähneln, zurückgewiesen. Ob es dabei bleibe, würden die kommenden zwei Wochen zeigen – so lange sei die aktuelle Regelung gültig.

Die meisten Geschäfte in der Wernigeröder Innenstadt erfüllen die Voraussetzungen und sind kleiner als 800 Quadratmeter. Mit 750 Quadratmetern Fläche liegt die „Bastelkiste“ in der Burgstraße unter dem Limit, berichtet Inhaberin Ina Kruschel. Das Bastelgeschäft war am Montag sehr gut besucht – und gefragt war vor allem Stoff. „Alle Welt will jetzt Masken nähen“, sagt Ina Kruschel. Sie selbst und ihre Mitarbeiter nähen ebenfalls Mund-Nasen-Bedeckungen, die sie bereits in den vergangenen Wochen verkauft haben. Am Nachmittag ist der Maskenvorrat, der am Wochenende in langen Schichten angefertigt worden war, bereits über den Ladentisch gegangen.

Die Kunden werden in einer Laufrichtung durch den Laden geführt, können sich am Eingang die Hände desinfizieren und sollen einen Korb nehmen, damit ihre Zahl kontrollierbar bleibt. 18 Körbe stehen am Eingang bereit – dabei könnten bis zu 75 Kunden gleichzeitig den Laden besuchen, nämlich eine Person pro zehn Quadratmeter. „Das kommt aber praktisch nie vor“, so Ina Kruschel.

Dass die Ladeninhaber die Auflagen einhalten, wurde am Montag kontrolliert. Wer dabei für was zuständig ist, war am Montag auf Behördenebene offenbar noch nicht restlos geklärt. „Aktuell kontrollieren sowohl drei Teams des Kreisordnungsamtes als auch die kommunalen Ordnungsämter die Geschäfte im Kreisgebiet auf die Einhaltung der Eindämmungsverordnung“, hieß es am Montagnachmittag aus der Pressestelle der Kreisverwaltung. So kam es, dass die Kontrolleure beider Behörden kurz nacheinander den Läden in der Innenstadt ihren Besuch abstatteten.

Zwei Modegeschäfte mussten daraufhin wieder ihre Türen schließen – weil die Verkaufsfläche zu groß ist und eine Abtrennung von Teilflächen nicht genehmigt wurde. Die Filialleitungen hielten sich mit Stellungnahmen zurück. Man sei davon ausgegangen, öffnen zu dürfen, akzeptiere aber die Vorgaben, hieß es. Ähnlich verhielt es sich in zwei Modegeschäften in den Halberstädter Rathauspassagen, die ebenfalls nach dem Besuch der Ordnungsämter von Stadt und Landkreis wieder schließen mussten – auch hier war die Verkaufsfläche zu groß. Dass die Filialleitung aus den zwei Etagen eines Geschäftes zwei eigene Einheiten bilden wollte, sei nicht hinnehmbar.

Dass sie ihre kleineren Geschäfte wieder öffnen konnten, freut die Händler. Der erste Kunde, den Dietmar Hanisch begrüßte, sagte, dass er unbedingt neue Schuhe brauche. „Er sagte, dass er in den vergangenen Wochen so viel gewandert sei“, berichtet der Inhaber des Sportgeschäfts Intersport Hanisch in der Breiten Straße mit einem Lächeln.Mit 600 Quadratmetern Verkaufsfläche sei sein Laden problemlos unter dem Limit. Die Mitarbeiter tragen Masken und haben im Kassenbereich die einzuhaltenden Abstände mit Plastikkegeln und Klebestreifen auf dem Boden markiert. Die Vorgaben des Infektionsschutzes könnten in größeren Geschäften aber ebenso gut eingehalten werden, sagt Hanisch. „Das ist die gleiche Problematik.“

Theoretisch dürfte er 60 Kunden gleichzeitig in seinen Laden lassen. Dass so viele Menschen gleichzeitig hineinwollten, sei aber höchst selten.

Insgesamt sei das Geschäft am Montag eher „verhalten“ angelaufen, schätzt der Wernigeröder ein. „Es ist ein guter Schritt, wieder da zu sein, aber damit sind die Probleme noch nicht ausgestanden.“ Es sei deutlich zu spüren, dass die Urlauber fehlen, die sonst die Wernigeröder Innenstadt bevölkern. Erst wenn der Tourismus wieder in Gang komme, werde sich auch der Einzelhandel in der Stadt erholen. „Wir brauchen die Gaststätten- und Cafébetreiber genauso wie die Hotels und Ferienwohnungen.“

Dem stimmt Horst Hoberg zu. „Uns fehlt derzeit eine große Zahl von Kunden“, weiß der Vorsitzende der Wernigeröder Kaufmannsgilde. Dass die Einheimischen dies ausgleichen könnten, bezweifelt er – wer in Kurzarbeit sei, überlege genau, ob er Einkäufe nicht noch aufschieben könne.

Was die Größe der zulässigen Verkaufsfläche angeht, gehe er mit den Vorgaben der Politik konform. „Man sollte dankbar sein, dass eine leichte Lockerung erfolgt ist.“ Jedoch sei die Lage in größeren Geschäften vor Ort weniger problematisch als in Großstädten – und sie könnten kleine Läden mitziehen, weil sie Kunden locken.

„In Kleinstädten wie Wernigerode geht es darum, dem Onlinehandel die Stirn zu bieten.“ Man habe zudem Supermärkte nicht gezwungen, Abteilungen abzusperren, in denen keine Lebensmittel verkauft werden. „Ingesamt hat man vielleicht den Gürtel etwas sehr scharf angezogen.“