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Coronavirus Harzer Gastronomen in der Krise

Leere Stühle auf dem Wernigeröder Markt: Gastronomen und Hoteliers wollen am Freitag auf ihre schwierige Situation aufmerksam machen.

Von Ivonne Sielaff 24.04.2020, 03:00

Harzkreis l Die Türen sind verschlossen. Küchen und Gasträume verwaist. Während Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmeter Verkaufsfläche wieder öffnen dürfen, gilt für die Restaurants in Sachsen-Anhalt immer noch Schließzeit. Wie lange noch, weiß im Moment keiner zu sagen. Für viele Gastronomen im Harzkreis geht das Betriebsverbot inzwischen nicht mehr nur an die nervlichen, sondern vor allem an die finanziellen Grenzen.

„Die Schließung unseres Restaurants bedeutet für uns finanziellen Schmerz und Ungewissheit“, sagt Jonas Dreher. Er ist einer der drei Geschäftsführer des „Mampfy“ in der Wernigeröder Burgstraße. Nachdem das Lokal mit Festsaal Ende 2018 eröffnet wurde, wäre „nach all den Investitionen im ersten Geschäftsjahr jetzt genau der Zeitpunkt gewesen, solide Umsätze zu fahren“. Doch die Corona-Krise macht den Unternehmern einen Strich durch die Rechnung.

Soforthilfe vom Land sei beantragt und genehmigt worden, die Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt. „Es sind zwei wichtige Schritte der Politik, aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein zu den laufenden Kosten und fehlenden Umsätzen“, so Dreher.

Im „Mampfy“ versucht man daher, mit einem Lieferservice und mobilen Verkaufsständen wenigstens ein bisschen gegenzusteuern. „Mit Erfolg, unsere Stammgäste nutzen diese Möglichkeit.“ Die Umsätze der Verkaufsstände seien aber noch nicht beständig. Insgesamt seien die Einnahmen im Vergleich zum normalen Betrieb viel zu gering. „Sie verschaffen uns aber in der Summe mehr Zeit“, so der Gastronom. Denn ohne die neuen Absatzwege müsste das Unternehmen in wenigen Monaten Insolvenz anmelden. „Im übertragenen Sinne fühlt sich die aktuelle Lage für uns an, als würde man mit Blei am Körper versuchen zu schwimmen, ohne dabei die Distanz zu kennen.“

„Bis auf weiteres geschlossen“, steht auf dem Zettel an der Tür des Benzingeröder Lindenhofs. Die Dorfgaststätte wird seit drei Jahren von Mareike und Ronny Wartenberg geführt – mit viel Liebe und Hingabe. „Wir haben von Anfang an gekämpft“, sagt Ronny Wartenberg. Eine viertel Million Euro sei in den Gasthof mit Pensionszimmern investiert worden, berichtet das Paar. „Wenn wir die Krise nicht überstehen, ist nicht nur unsere Arbeit weg, sondern auch unser Zuhause“, befürchtet der Gastronom. „Die Rechnungen flattern rein, unsere Reserven gehen nach und nach flöten, und der nächste Winter kommt.“

Seit dem 20. März habe der „Lindenhof“ geschlossen. In den Tagen davor seien alle Familienfeiern gecancelt, alle Reservierungen abgesagt worden. „Da haben wir von uns aus zugemacht“, sagt Mareike Wartenberg. Auch die nächsten Buchungen für die Pensionszimmer habe sie stornieren müssen. Touristische Beherbergungen sind bis auf Weiteres verboten. Die Soforthilfe vom Land sei beantragt. „Auf die Antwort warten wir immer noch“, so Ronny Wartenberg. Ein Liefer- und Abholservice sei für sie nicht effektiv. „Wir sind hier auf dem Dorf. Das ist eine Nummer für sich.“ Der Aufwand lohne sich nicht. „Uns bleibt im Moment nichts anderes übrig, als zu warten, bis wir endlich wieder arbeiten dürfen.“

Im „Ziegenkopf“ riecht es nach frischer Farbe. „Wir nutzen die Zeit, um ein bisschen zu renovieren“, sagt Ulf Kruft, der Eigentümer der Ausflugsgaststätte zwischen Blankenburg und Hüttenrode. „Wir haben im September 20-jähriges Betriebsjubiläum. Eine Feier wird das sicher nicht.“

Er und sein Team seien krisenerprobt, berichtet Kruft. 2017 habe das Gasthaus mit Ferienzimmern eine siebenmonatige Durststrecke gehabt, weil die Straße wegen Bauarbeiten gesperrt war. „Unsere Stammgäste sind damals jedes Wochenende zu uns gekommen, um hier Mittag zu essen. Sie wollten uns so über Wasser halten.“ Auf die Stammgäste setzt Kruft auch nach der Corona-Krise. „Sie haben versprochen, dass sie gleich wieder kommen, wenn wir öffnen dürfen.“

Bis dahin heiße es: durchhalten. „Unser wichtigstes Wochenende ist nun mal Ostern. Da hatten wir zu. Dann kommt der Mai-Feiertag – auch zu.“ Wenn die Einnahmen von Himmelfahrt und Pfingsten auch wegfallen, „ist das ein Mercedes S-Klasse, der flöten geht“. In diesen Wochen würde die Gastrobranche sonst für den Rest des Jahres vorarbeiten. „Uns geht also quasi das Einkommen für ein Jahr flöten.“

Natürlich habe er in der Vergangenheit Rücklagen aufgebaut. „Doch die sind eigentlich für die Altersvorsorge gedacht.“ Die vom Land in Aussicht gestellte Soforthilfe sei aus seiner Sicht ein zweischneidiges Schwert. „Davon können Mieten und Pachten bezahlt werden, aber keine Löhne und auch nicht der eigene Lebensunterhalt“, so Kruft. „Eigentümern bringt das gar nichts.“

Seit dem 18. März ist der Zapfhahn in Tommi‘s Pub dicht. „Wir mussten als erstes schließen, weil wir unter Bars und Kneipen fallen und kein Speisenangebot haben“, sagt Inhaber Thomas Fessel. Seit 29 Jahren betreibt der Wernigeröder seine Kneipe nahe des Marktplatzes, hat sich damit einen Lebenstraum erfüllt. „Solche Schwierigkeiten hatten wir noch nie“, sagt Fessel. „So langsam habe ich Existenzängste. Es kommt ja nichts rein.“

Er habe Soforthilfe beantragt. „Eine Woche später war das Geld da. Das war wirklich Glück.“ Aus dem Schneider sei er mit der Finanzspritze des Landes natürlich nicht. „Ich darf es nicht für meinen Lebensunterhalt verwenden. Aber wovon soll ich als Selbstständiger leben?“ Was dem Kneiper am meisten zusetzt, ist die Ungewissheit. „Wir wissen nicht, wie lange das noch geht.“ Kaputt machen lassen wolle er sich seinen Lebenstraum allerdings nicht. Deshalb überlege er, ob er einen Liquiditätskredit beantragt. „Ich will ja wieder aufmachen.“

Am Eingang zum Restaurant „Am Sommerbad“ in Halberstadt hängt ein Zettel, der darum bittet Abstand zu halten. Denn ganz verwaist ist die traditionsreiche Gaststätte nicht. „Wir bieten einen Bestellservice an, die Gäste holen sich ihr Essen hier bei uns ab“, sagt Gastronom Chris Schöne. Gemeinsam mit seinem Bruder Patrick, der als Koch die Fäden in der Küche in der Hand hält, versucht der Halberstädter, die extrem schwierige Situation zu meistern.

„Wir haben seit sechs Wochen zu, keine Gäste im Restaurant, keine Gäste in den Zimmern“, so Schöne. Die Betriebskosten liefen trotzdem auf. „Ich kann ja schlecht die Versicherungsprämie halbieren, weil keine Gäste kommen“, sagt Chris Schöne. Aber langsam werde die Lage prekär. „Wir alle, Hotel-und Pensionsbetreiber, Gastwirte und Veranstaltungsmanager, haben zum Großteil mit 100 Prozent Umsatzverlust zu kämpfen. Und ob wir am 4. Mai wieder öffnen dürfen und zu welchen Bedingungen, das ist völlig unklar“, so Schöne. Damit sei eine Planung unmöglich – was sich auf die Lieferanten auswirke. Auch denen fehlten die Einnahmen, manche lieferten nur noch gegen Barzahlung. „Aber es gibt viel Solidarität und Verständnis für unsere Lage“, sagt Schöne, „es gibt keine Mahnungen oder ähnliches, wenn wir zurzeit die eine oder andere Rechnung nicht begleichen können“. Besonders schmerzlich sei, dass er seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken und zwei gar entlassen musste. „Aber alle wissen, sobald es weitergeht, sind sie wieder mit an Bord.“

Sowohl in Tommi‘s Pub, als auch im Benzingeröder „Lindenhof“, im Blankenburger „Ziegenkopf“ und im „Mampfy“ hofft man ebenso wie im Halberstädter „Sommerbad“ nun auf eine baldige Öffnung. „Wir erwarten von der Politik einen klaren Fahrplan für die Wiedereröffnung unserer Betriebe“, sagt Jonas Dreher. Zudem fordert er die Einführung von sieben Prozent Mehrwertsteuer für das Gastgewerbe, die Aufstockung der Zuschüsse für alle Unternehmen sowie die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und die Einführung dieser Hilfe für die Azubis.

Am  Freitag, 24. April, wollen Gastronomen und Hoteliers in Wernigerode ihren Forderungen Ausdruck verleihen und sich in einem stillen Protest auf dem Marktplatz zusammenfinden. Nach Angaben von Organisator Michael Wiecker ist geplant, von 11 bis 13 Uhr symbolisch 100 unbesetzte Stühle im Zwei-Meter-Abstand aufzustellen.

Auch in Halberstadt wollen Gastronomie und Hotellerie mit leeren Stühlen vor dem Rathaus protestieren, aber anders als in Wernigerode nicht heute. „Wir haben uns am Montag erst zum Mitmachen entschlossen, die Vorbereitungszeit ist zu kurz“, begründet Chris Schöne die Verschiebung auf den 1. Mai von 11 bis 13 Uhr. „Es geht ja darum, dass keine Gäste kommen dürfen, deshalb ist das Symbol des leeren Stuhls so wichtig“, sagt er. Um die betroffenen Unternehmen zu präsentieren, soll ein Banner mit allen Firmenlogos hinter den Stühlen hängen.