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Coronavirus Plädoyer für einen freien Brocken

Oliver Junk, Präsident des Harzklubs mit über 12.000 Mitgliedern in 86 Zweigvereinen, im Interview über Grenzkontrollen für Wanderer:

Von Julia Bruns 15.05.2020, 11:41

Goslar/Wernigerode l Oliver Junk ist Goslars Oberbürgermeister und Präsident des Harzklubs mit über 12.000 Mitgliedern in 86 Zweigvereinen. Der Christdemokrat kritisiert die Einschränkungen durch die fünfte Verordnung aus Sachsen-Anhalt und fordert im Gespräch mit Volksstimme-Journalistin Julia Bruns freie Grenzen und einen freien Brocken.

Volksstimme: Herr Junk, vor drei Jahrzehnten verlief quer durch den Harz die innerdeutsche Grenze. Für die Niedersachsen, aber auch für die Menschen im damaligen Osten, war der Brocken unerreichbar. Nun dürfen Menschen aus Niedersachsen aufgrund der aktuellen Verordnung aus Sachsen-Anhalt nicht in Sachsen-Anhalt wandern gehen. Wie empfinden Sie den Weg, den die Landesregierung in Magdeburg eingeschlagen hat?
Oliver Junk:
Ich halte das für ein ganz schwieriges Zeichen, wenn einzelne Länder ihre Gebiete absperren. Und ich kritisiere deutlich, dass die Länderchefs nicht zu gemeinsam abgestimmten Lösungen in dieser Corona-Krise kommen. Ich habe den Naturraum und die Tourismusdestination Harz bisher nicht so interpretiert wie die Landesregierung in Magdeburg: Dieser Baum gehört diesem Land und der Teil vom Brocken gehört jenem Land. Eine Region, ein Harz! Ich habe persönlich die Menschen aus Goslar gerade während der Krisenzeit stets ermutigt: Nutzt diesen Harz, verteilt euch, es gibt so viele schöne Wege und tolle Ecken. Das ist doch für uns alle der beste Schutz! Und es ist eine ganz wunderbare Therapie in solchen Zeiten, zu sporteln und sich draußen an der frischen Luft zu bewegen. Wir leben in einer Gegend, in der es doch eigentlich nur gut ist, wenn sich die Menschen in der ganzen Region verteilen. Dass die Landesregierung aus Magdeburg nun den Niedersachsen untersagt, nach Sachsen-Anhalt zu gehen, ist eine ganz schwierige Situation.

Wie interpretieren Sie das?
Gegenfrage: Ist Sachsen-Anhalt wirklich so bevölkerungsreich, dass es ein Problem wird, wenn an einem Sonntag zwei Menschen mit dem Rad von Eckertal nach Stapelburg fahren? Ich habe das Gefühl, man will die Nachbarn in Niedersachsen ein bisschen ärgern.

Wen betreffen denn die Einschränkungen?
Die Touristen sind ja noch nicht da. Und die Einheimischen haben sich gefreut, dass der Harz so viel wunderbare Erholungsmöglichkeiten bietet. Denken Sie allein daran, wie viele Eltern mit ihren Kindern in diesen schulfreien Zeiten die Stempelstellen ablaufen. Und natürlich ärgern sich Menschen, wenn an den Grenzen abkassiert wird. Im Eckertal stehen Ordnungshüter und holen sie von ihren Fahrrädern. Kann das richtig sein? Sind das wirklich Kriminelle?

Sie sind Präsident des Harzklubs. Wie reagieren die Wanderer in den 86 Zweigvereinen auf diesen Eingriff?
Gerade aus den Harzklub-Reihen sind Mitglieder an mich herangetreten und haben gesagt: ‚Ich halte das für eine riesige Schweinerei, sorgen Sie mal dafür, dass das abgestellt wird!‘ Besonders, dass die Landesregierung Ordnungsbehörden und Ordnungshüter an die Grenzen stellt und Wanderer beim Grenzübertritt mit Bußgeldern mit bis zu 400 Euro belegt werden, hat für eine massive Verärgerung gesorgt. Da wird nicht freundlich aufgeklärt, sondern direkt abkassiert. Es ist zum einen politisch ein schwieriges Zeichen und zum anderen im Kampf gegen das Coronavirus auch sachlich nur schwer nachvollziehbar, frei zugänglichen Raum, wo sich Menschen verteilen und bewegen können, abzuriegeln. Es könnte ja unter Umständen einen Sinn ergeben, dass die Leute nicht in die Ferienhäuser zu Freizeitzwecken aus anderen Bundesländern einreisen sollen. Aber diese Regelung so auszulegen, dass Menschen aus einer Region nicht die Grenzen überqueren dürfen, halte ich für ganz schwierig.

Sie fordern die Landesregierungen in einer Pressemitteilung des Harzklubs dazu auf, einheitliche Regelungen für den gesamten Harz zu schaffen. Ungeachtet Ihres Schreibens ist das grenzüberschreitende Wandern in Richtung Sachsen-Anhalt in der am Dienstag aktualisierten Verordnung weiterhin verboten. Gab es denn irgendwelche Reaktionen aus Magdeburg?
Ich habe am Donnerstagmorgen eine E-Mail aus Magdeburg gelesen, da schreibt man mir lediglich: ‚Jedoch muss ich Ihnen mitteilen, dass Reisen aus touristischen oder Freizeitgründen bis auf Weiteres untersagt bleiben.‘

Sonst nichts? Kein Anruf? Gespräche mit Ihren Amtskollegen in Ilsenburg oder Wernigerode?
Keine weiteren Reaktionen. Nur eine ganze Menge Reaktionen – und dafür bin ich dankbar – von Bürgerinnen und Bürgern, die es toll finden, dass sich der Harzklub dafür einsetzt, dass die Grenzen wieder geöffnet werden.

Was schlagen Sie vor?
Man könnte doch mit einem ergänzenden Satz in der Verordnung regeln, dass tatsächlich Unterschiede gemacht werden zwischen Touristen aus Niedersachsen, die Hotels und Ferienhäuser in Sachsen-Anhalt für einen langfristigen Urlaub belegen wollen und Wanderfreunden aus dem Landkreis Goslar und dem südlichen Niedersachsen, die als „Tagestouristen“ auf den Brocken wandern wollen. Ich möchte mal so fragen: Ist eine Radtour aus Goslar auf den Brocken wirklich eine „Reise aus touristischen oder Freizeitgründen“?

Was erwarten Sie jetzt ganz konkret von der Landesregierung in Magdeburg?
Freier Brocken, freie Grenzen. Ich erwarte und bitte darum, dass die Verordnung kurzfristig, das heißt zum Wochenende, geändert wird.

Der Brocken war vor langer Zeit einmal der Sehnsuchtsberg der Deutschen. Ist er das jetzt wieder?
Wer hätte das gedacht, dass wir das noch einmal erleben müssen. Wir haben die Schilder ‚Halt! Hier Grenze!‘ Gott sei Dank vor langer Zeit abgebaut. Sachsen-Anhalts Landesregierung zeigt mit dieser Maßnahme leider null Solidarität und Kameradschaft gegenüber den anderen Ländern in dieser Krise.