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Verein der Pflegeeltern Wernigerode / Kerstin Prautzsch: Egal wie lange – wir geben den Kindern Liebe und Geborgenheit

Von Ivonne Sielaff 21.10.2010, 06:17

95 Mädchen und Jungen im Altkreis Wernigerode leben derzeit in Pflegefamilien, weil sie von ihren leiblichen Eltern vernachlässigt oder misshandelt wurden. Keine leichte Aufgabe für die Ersatzfamilien. Jugendamt und Pflegeelternverein stehen ihnen zur Seite. Und: Es werden weitere Pflegeeltern gesucht.

Wernigerode. "Ich möchte ein Brot kaufen", sagt Leonie (5) und schaut in ihre Geldbörse. Die zweijährige Chiara kichert. Ihre Schwester Jamie (4) streckt die Hand aus und fordert: "Sieben Euro, bitte." Wenn die drei kleinen Mädchen Kaufmannsladen spielen, wirken sie wie ganz normale, fröhliche Kinder. Sind sie aber nicht. Leonie, Chiara und Jamie leben nicht bei ihren leiblichen Eltern, sondern in Pflegefamilien – wie derzeit 95 andere Mädchen und Jungen im Altkreis Wernigerode.

"Pflegekinder sind Kinder auf Zeit", sagt Kerstin Prautzsch. "Aber, ob sie nun eine Woche, einen Monat oder Jahre bei uns sind – wir geben ihnen Liebe und Geborgenheit." Vor elf Jahren hat sich die Wernigeröderin entschieden, Pflegekinder bei sich aufzunehmen. "Damals war ich bereits Mutter von zwei Jungen, der Wunsch nach einem weiteren Kind erfüllte sich nicht. Und wir hatten noch so viel Liebe zu geben." Ganz ähnlich war es bei Ines Frellstedt. Die Drübeckerin ist seit einem Jahr Pflegemutti der Geschwister Chiara und Jamie. "Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, mich immer wieder gefragt, ob ein fremdes Kind in unsere Familie passt, ob es von den Geschwistern akzeptiert wird, ob wir emotional dazu in der Lage sind."

"Wenn irgendwo ein Kind Hilfe braucht, sind wir da"

Für ein Pflegekind zu sorgen, ist keine leichte Aufgabe. "Wer sich für dafür entscheidet, übernimmt eine große Verantwortung", weiß Ingrid Köhler vom Pflegekinderdienst des Jugendamtes. Die Mädchen und Jungen stammen meist aus sogenannten Problemfamilien, wurden stark vernachlässigt, misshandelt oder sogar missbraucht. Oftmals sind es auch junge Eltern, die wegen persönlicher Probleme einfach mit der Erziehung überfordert sind. Selbstverständlich seien Pflegefamilien immer der letzte Weg – "wenn alle anderen Hilfsangebote von unserer Seite nicht gefruchtet haben", versichert Ingrid Köhler. Was ihr besonderen Kummer bereitet, ist die Tatsache, dass es immer häufiger sehr junge Kinder sind, die in Pflege gegeben werden müssen. Die Kleinen, aber auch die etwas Älteren leiden dann oft unter großen Verlustängsten, sind durch die seelischen Verletzungen emotional gestört.

"Das kann eine Pflegefamilie schon durcheinanderwirbeln", sagt Manuela Müller. "Dafür muss man bereit sein. Und zwar nicht nur man selber, sondern auch der Ehepartner und die eigenen Kinder." Die Oberharzerin kümmert sich seit elf Jahren um ein Pflegekind und ist außerdem, wie auch Kerstin Prautzsch, Bereitschaftspflegemutti. "Wenn irgendwo ein Mädchen oder ein Junge unsere Hilfe braucht, sind wir rund um die Uhr für das Jugendamt erreichbar", so Manuela Müller. Sogar nachts. Deshalb hält sie stets ein Zimmer für ein Kind in Not bereit. "Wichtig ist, dass es dann erst mal zur Ruhe kommt. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass man ein verstörtes kleines Wesen bei sich aufnimmt."

"Man nimmt ein verstörtes kleines Wesen bei sich auf"

Manuela Müller, Kerstin Prautzsch und Ines Frellstedt kennen sich über den Verein der Pflegeeltern Wernigerode. "Wir sind rund 50 Familien, denen das Wohl und die Entwicklung ihrer Pflegekinder am Herzen liegt", erläutert Kerstin Prautzsch. Außenstehende würden oft nicht verstehen, warum die Kinder so schwierig sind und sich so anders verhalten, sagt Ines Frellstedt. "Andere Pflegeeltern schon. Deshalb fühle ich mich im Verein aufgefangen." Gemeinsame Aktionen mit den Kindern, Weiterbildungen und vor allem der Austausch untereinander sowie der gute Kontakt zu den Mitarbeitern des Jugendamtes sind den Mitgliedern wichtig.

Kinder auf Zeit – bedeutet in vielen Fällen auch, irgendwann wieder Abschied zu nehmen. "Wenn es die leiblichen Eltern schaffen, ihr Leben wieder in geordnete Bahnen zu bringen, ist es das Natürlichste auf der Welt, dass die Kinder in ihre Familien zurückkehren", sagt Kerstin Prautzsch, die zwei Pflegetöchter betreut. Der Abschied sei immer traurig. Schließlich sind Bindungen aufgebaut worden. "Aber damit müssen wir eben rechnen." Ihr größter Wunsch ist es, dass ihre Schützlinge später ein eigenständiges, glückliches Leben führen und selber Kinder großziehen. "Wenn uns das gelingt, dann hat es sich gelohnt, Pflegeeltern zu sein."