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Ungewöhnlicher Einsatz beim Silstedter Abwasserverband Eimer vermisst: Taucher wühlt im Klärschlamm

Von Ivonne Sielaff 29.09.2012, 03:19

Um einen verlorengegangenen Eimer zu bergen, taucht ein Fachmann in die Silstedter Kläranlage ab. Ein Einblick in die Welt der Wasseraufbereitung - mit der Erkenntnis: Abwasser ist interessant.

Wernigerode/Silstedt l "Rohre, ich sehe Tausende von Rohren." Die Stimme von Michael Lorenzo klingt blechern über das Funkgerät. Kein Wunder - der Taucher befindet sich in knapp fünf Metern Tiefe. Michael Lorenzo beobachtet keine Fische. Er taucht auch nicht aus sportlichem Ehrgeiz. Er ist Unterwasserexperte für Kläranlagen. Und sein Arbeitsplatz ist für anderthalb Stunden das Nachklärbecken des Trink- und Abwasserzweckverbandes Bode/Holtemme in Silstedt.

"Von Zeit zu Zeit müssen wir die Räumschilder, die den Schlamm durchs Becken schieben, kontrollieren lassen", erklärt Bodo Leßmann, Fachbereichsleiter für Abwasserentsorgung. Außerdem sei Bauarbeitern kürzlich bei der Sanierung des Beckenkopfes ein Eimer ins Wasser gefallen. Der muss raus. "Das Wasser dafür abzulassen - immerhin gut 4000Kubikmeter - würde mehrere Monate dauern", so der Fachmann. "Wir müssten ringsherum extra den Grundwasserspiegel absenken." Das sei zeitaufwendig und teuer. "Da ist es einfacher, Profitaucher zu beauftragen."

"Die Taucher wissen, wie Kläranlage funktioniert"

Mit zwei Kollegen ist Michael Lorenzo in den Harz gefahren. Für eine Hamburger Tauchfirma ist er in ganz Deutschland unterwegs. "Das Gute ist, ich muss den Tauchern vorher nicht erst erklären, wie eine Kläranlage funktioniert", so Leßmann. Sie wüssten ganz genau, was sie erwartet, wie die Geräte unter Wasser aussehen.

"Einen Eimer soll ich finden", tönt Lorenzos Stimme durchs Funkgerät. "Einen Eimer - als ob das so einfach wäre." 38Meter Durchmesser misst das Klärbecken. Die Sicht ist schlecht. Dicker Schlamm erschwert die Suche. Der Taucher selbst kann sich nur mühsam fortbewegen. Anzug, Gewichte, Helm und Luftflasche wiegen noch einmal 40Kilogramm.

"Ich habe was." Der Profitaucher ist fündig geworden. Kurz darauf befördert er Metallteile und Betonbrocken an die Wasseroberfläche. "Die sind wohl auch bei den Bauarbeiten ins Becken gefallen", vermutet Bodo Leßmann.

Die Sanierung sei längst notwendig gewesen, so der Abwasserexperte, der seit 1969 in dem Silstedter Unternehmen arbeitet. Seit 1995 ist das Nachklärbecken mit zwei weiteren in Betrieb. Die Maschinen laufen rund um die Uhr. "8760 Stunden im Jahr, in Schaltjahren sogar 8784 Stunden", sagt Leßmann. Und das 17 Jahre lang. Bis zu fünf Millionen KubikmeterSchmutzwasser durchlaufen die Kläranlage im Jahr. "In unserer Anlage landet alles, was in Wernigerode, Ilsenburg und dem Oberharz durch die Abflüsse der Badewannen, Waschbecken und Toiletten fließt."

Bodo Leßmann liebt seine Arbeit. "Wissen Sie, Abwasser ist interessanter als Trinkwasser. Wasch- und Putzmittel haben sich im Laufe der Jahre verändert." Und so ändere sich auch das Abwasser. "Wir wissen nie, was bei uns reinkommt. Aber das gesäuberte Wasser verlässt unsere Anlage immer in der gleichen Qualität."

Dicke grünlich-gelbe Blasen steigen im Wasser auf und verraten, wo genau sich der Taucher gerade befindet. Meter für Meter tastet er sich am Beckenrand voran. Schlammbrocken werden an die Oberfläche gespült - und mit ihnen auch der gesuchte Eimer. "Sieh mal einer an", sagt Bodo Leßmann. "Sogar die Nägel sind noch drin."

"Bei uns landet, was durch die Abflüsse fließt"

Für Michael Lorenzo und seine Kollegen ist die Arbeit in Silstedt erledigt. Für sie geht es zurück nach Hamburg. Leßmann und seine Mitarbeiter stehen vor einer neuen Aufgabe. Die Überprüfung hat ergeben, dass die Räumschilder erneuert werden müssen. "Wir werden nun entscheiden, was wir machen. Entweder wir lassen das Wasser ab, oder wir bestellen wieder einen Profitaucher."