Gefährlicher Weg Erst Laichen, dann Leichen?
Wernigerodes erster Krötentunnel führt zu einem Parkplatz. Lauert dort der sichere Tod auf die Tiere?
Wernigerode l „Das ist doch ein Schildbürgerstreich.“ Wolfgang Kabelitz aus Wernigerode kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn er an das Bauprojekt im Langen Stieg denkt. „Ich war erschrocken, als ich den Krötentunnel gesehen habe“, erzählt er. Auf einem Spaziergang in Hasserode sei ihm die Unterführung aufgefallen. Für ihn ist es schleierhaft, wie man einen Amphibiendurchlass bauen kann, der direkt auf einem Parkplatz endet.
Fakt ist: Jedes Jahr im Frühling machen sich Kröten und andere Amphibien von den Gärten am Hasseröder Ferienpark auf zu dem auf der anderen Straßenseite liegenden Teich im Langen Stieg. Dieser befindet sich neben dem Burghotel. Dort wollen sie ihre Eier ablegen. Doch häufig schafften es die Tiere nicht bis dorthin. Sie wurden auf der Straße von den vorbeifahrenden Autos überfahren. Viele Anwohner erinnern sich an die schrecklichen Bilder: eine Straße gepflastert mit Lurchkadavern.
Das soll sich ab diesem Frühjahr ändern. Mit einer Unterführung für die Kröten will die Stadt Wernigerode diesem Tiersterben ein Ende setzen. Der Bau des ersten Krötentunnels wurde im Dezember 2019 in Hasserode beendet. Er führt im Langen Stieg unter der Straße hindurch. „Der nächsten Laich- und Paarungszeit können die Kröten und Amphibien in Hasserode nun ganz entspannt entgegensehen“, heißt es in der Pressemitteilung, die die Stadt zur Fertigstellung des Tunnels verbreitet hat.
Ein Blick auf die örtlichen Gegebenheiten lässt Zweifel aufkommen. Der Krötendurchlass endet direkt vor dem Parkplatz des Hasseröder Burghotels. „Nun werden die Kröten auf dieser Stellfläche und nicht auf der Straße überfahren“, sagt Wolfgang Kabelitz.
Winnie Zagrodnik, Pressesprecherin der Stadt Wernigerode erklärt jedoch: „Der Tunnel folgt der Hauptwanderroute der Kröten, die nun einmal leider über den Parkplatz führt. Der Tunnel konnte nur dort entstehen.“ Die Planung des Amphibiendurchlasses sei mit Tiersachverständigen wie dem Naturschutzbund abgesprochen gewesen, sagt die Stadtsprecherin. Auch mit dem Betreiber des Hasseröder Burghotels hätten die Mitarbeiter gesprochen. Die Kröten würden nur über einen kurzen Zeitraum wandern, sodass eine Rücksichtnahme wohl möglich sei.
Der Parkplatz verfügt über zwei Zufahrten. Eventuell könne eine Zufahrt für den Zeitraum der Wanderung gesperrt werden, skizziert Winnie Zagrodnik eine mögliche Variante.
Wie die Hotelbetreiber im Detail mit der Situation umgehen, werde sich zeigen, wenn die Kröten das erste Mal durch den Tunnel kommen, erklärt die Stadtsprecherin. Wie die Geschäftsleitung des Burghotels die Situation bewertet, bleibt unklar. Geschäftsführer Frank Kasselmann wollte sich auf Nachfrage der Volksstimme dazu nicht äußern.
Wolfgang Kabelitz bleibt bei seiner Sicht. „Ich finde den Tunnel albern. Dafür sind unsere Steuergelder verwendet worden“, sagt er.
Doch neben der sicheren Überquerung des Parkplatzes gibt es eine weitere Herausforderung für die Kröten bei ihrer Wanderung. Wie sollen sie überhaupt die beiden Öffnungen des Tunnels finden? Von den Gärten werde zu den Wanderzeiten entlang der Grünanlagen ein Amphibienschutzzaun aus Folie aufgestellt. Dadurch würden die Tiere zum Tunnel geleitet, heißt es in der damaligen Pressemitteilung.
Doch wie sollen die Kröten bei ihrer Rückkehr vom Laichteich den Eingang des Tunnels auf der anderen Seite finden? Wenn sie – einmal den Tunnel von den Gärten durchwandert, den Parkplatz sicher überquert, ihren Laichteich erreicht, sich fortgepflanzt und es mit viel Glück erneut über den Parkplatz geschafft haben – zurück zu ihren Quartieren in die auf der anderen Straßenseite liegenden Gärten wollen.
Auf der Seite, auf der sich der Parkplatz befindet, würden keine Zäune aufgestellt, sagt Ralf Sieber, Amtsleiter vom Immobilienmanagement der Stadtverwaltung. Folglich können die Kröten nicht gezielt zum Durchgang geführt werden.
„Es wäre reiner Zufall, wenn die Tiere den Eingang finden würden“, bestätigt Frank Meyer, Inhaber des auf Naturschutzfachplanungen spezialisierten Ingenieurbüros Rana in Halle (Saale). Rana heißt im Lateinischen „der Frosch“.
Nur auf einer Seite Zäune aufzustellen, sei eine suboptimale Lösung, ergänzt der Diplom-Biologe. So würden die Tiere vermutlich, wie in der Vergangenheit, den Weg über die Straße wählen. Eine bessere Alternative wäre, auf beiden Seiten dauerhafte Amphibienleiteinrichtungen aus Beton zu errichten. Diese würden die Tiere daran hindern die Straße zu überqueren und gezielt zu dem Tunnel führen, sagt Meyer.
Amtsleiter Sieber argumentiert, dass die Massenwanderung, wenn die Kröten sich im März und April gleichzeitig auf den Weg zu ihrem Laichteich machten, das Hauptproblem sei. Dieses wolle die Stadt mit dem Tunnel zumindest teilweise lösen. Ein größerer räumlicher Umfang sei nicht möglich gewesen. Sowohl die Gärten als auch der Parkplatz seien Privatbesitz.
Außerdem würden die Kröten nicht alle gleichzeitig zurückwandern, wenn sie ihre Quartiere in den Gärten aufsuchten. Dies bestätigt der Biologe Frank Meyer. Dennoch müssten doch alle Tiere den Weg irgendwann antreten, auch wenn sie zurück über einen längeren Zeitraum wanderten. Die erwachsenen Kröten würden nach der Fortpflanzung zu ihren Quartieren laufen. Die Jungtiere haben sich erst nach zwei bis vier Monaten zu Kröten entwickelt und verlassen dann das Laichwasser. „Das kann bis August dauern“, sagt Meyer.
Der Biologe macht mit Blick auf den Tunnel auf ein weiteres Problem aufmerksam. Denn „außerhalb der Wanderzeiten“, heißt es in der Pressemitteilung, „ist der Kröteneingang mit Stahlplatten abgedeckt“. „Wie will die Stadt darüber entscheiden, wann die Wanderung abgeschlossen ist“, fragt Meyer.
„Der Krötentunnel beginnt im Fußweg auf der Straßenseite, auf der sich die Gärten befinden“, sagt Ralf Sieber. Damit die Fußgänger dort entlanggehen können, sei er mit Stahlplatten abgedeckt. Wenn die Krötenwanderung beginne, werden die Stahlplatten geöffnet. „Die Fußgänger müssen dann die Straßenseite wechseln. Die Kröten haben Vorfahrt“, sagt Sieber. Das Grünflächenamt habe die Betreuung des Krötentunnels übernommen. Der Durchgang werde im März zum ersten Mal geöffnet. Im Laufe der Zeit werden die Mitarbeiter erfahren, wann er wieder zu schließen sei. Der Bau des Tunnels habe 32.000 Euro gekostet. Die Vattenfall-Umweltstiftung habe sich mit 10.000 Euro an den Kosten beteiligt, heißt es in der Pressemitteilung der Stadt.