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Feuerwehr Wenn niemand zum Einsatz kommt

Die Ortsfeuerwehr Altenbrak-Treseburg kämpft mit Personalknappheit. Einsätze in der Woche könnten kaum allein bedient werden.

Von Karoline Klimek 10.03.2020, 10:02

Altenbrak/Treseburg l Es ist eine Horrorvorstellung: Das Haus steht in Flammen, aber keiner kommt, um zu helfen. Eine utopische Vision ist das aber nicht. „In den letzten drei, vier Jahren konnte wir zwei, drei Mal nicht ausrücken“, gibt Mark Günther zu. Der Ortswehrleiter der Feuerwehr Altenbrak-Treseburg schlägt Alarm.

Der letzte Fall liegt erst zwei Wochen zurück. Zu einem Bergungseinsatz an der Talsperre Wendefurth kamen nur zwei Kameraden. Günther musste bei der Leitstelle die Feuerwehr Thale nachalarmieren lassen. Zeitnot bestand bei diesem Einsatz glücklicherweise nicht, aber nicht selten geht es um Minuten.

„Beim Brand sind die ersten 10 bis 20 Minuten entscheidend. Nur in der Entstehungsphase haben wir eine Chance“, erklärt Mario Becker, Leitender Gruppenführer der Feuerwehr Treseburg. Seit April 2016 agieren die beiden Wehren im Bodetal gemeinsam. Denn mit nur vier Mitgliedern hätte der Standort Treseburg allein keine Zukunft gehabt.

18 Kameraden müssen es laut Brandschutzbedarfsplan der Stadt Thale in der zusammengelegten Wehr mindestens sein, 27 werden empfohlen. Mit 19 Feuerwehrleuten erfüllen die Wehren Altenbrak-Treseburg nur knapp das Soll. Zwei weitere Kameraden sind in Ausbildung, zählen nicht als Einsatzkräfte.

Doch die Statistik ist nicht aussagekräftig. „Das Problem ist, dass die wenigsten Kameraden vor Ort arbeiten. Einer ist in Ausbildung in Hannover und damit unter der Woche nicht da. Einer ist LKW-Fahrer, einer bei der Bundeswehr. Ganz schnell werden aus 15, die auf dem Papier stehen, nur noch zehn“, blickt Mark Günther auf die Zahlen am Standort Altenbrak. Hinzu komme, dass einige Kollegen bald die in Thale geltende Grenze von 67 Jahren erreicht haben und dann dem Dienst nur noch in Ausnahmefällen nachgehen dürfen.

Oft ist die Feuerwehr Altenbrak-Treseburg deshalb auf Unterstützung angewiesen. „Aber keiner der anderen Wehren kann die Hilfsfrist von zwölf Minuten gewährleisten. Weder Thale noch Allrode, Blankenburg oder Hasselfelde. Die ersten 20 bis 25 Minuten sind wir meist auf uns gestellt, bis die Kollegen da sind“, meint der 37-Jährige.

Die Leitstelle rechne laut dem Ortswehrleiter bei bestimmten Einsätzen bereits mit dem mangelnden Personal und damit auch mit zu wenigen Funktionsträgern wie beispielsweise Atemschutzgeräteträgern. „Früher war jede Feuerwehr allein zuständig. Das hat man geändert. Heute werden im Vorhinein mehrere Feuerwehren alarmiert, damit dann vor Ort genug Kräfte zusammenkommen“, erzählt Mark Günther.

Das sehe dann aber für die Bürger seltsam aus. „Wir bekommen manchmal Sprüche zu hören wie ‚Ihr fühlt euch wohl toll mit so vielen Autos‘“, berichtet Mario Becker. „Die Leute kennen eben die Hintergründe nicht. Früher sind wir mit einem vollbesetzten Auto gefahren, heute brauchen wir manchmal vier bis fünf Autos mit wenigen Kameraden, um vor Ort vollbesetzt zu sein.“

Denn ausgerückt wird am jeweiligen Standort der Feuerwehr. Selbst Altenbrak und Treseburg treffen sich trotz der Zusammenlegung erst am Einsatzort. Das kostet auch immer Zeit. Denn die Hilfsfrist von zwölf Minuten gilt ab der Alarmierung der Wehr, das heißt: Der Weg zur Feuerwache, das Umziehen und die Fahrt zum Einsatzort müssen in der Zeit geschafft werden. „Altenbrak hat aber ein sehr großes Einsatzgebiet“, gibt Mark Günther zu bedenken. Dazu gehöre Wendefurth, das Jagdschloss Windenhütte oder die Roßtrappe.

Es sei ein enormer Druck, der auf den Kameraden laste. Zudem müssen auch die Arbeitgeber kurzfristig auf ihre Mitarbeiter verzichten. Diese Pflicht ist gesetzlich verankert. Und genau hier sehen Mark Günther und Mario Becker einen Hoffnungsschimmer. Stadtangestellte oder Gemeindemitarbeiter könnten vielleicht zu einem Mitwirken verpflichtet werden, oder der Eintritt in die Feuerwehr könnte Einstellungsvoraussetzung sein, so ihre Überlegung.

„Das kann ich gegen den Willen desjenigen nicht tun. Das ist juristisch nicht möglich“, erklärt Thomas Balcerowski (CDU), Bürgermeister der verantwortlichen Stadt Thale, auf Nachfrage. Die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst wüssten von den Problemen, bereit sei aber niemand. „Ich habe nur ein stumpfes Schwert in der Hand“, beschreibt er seine Möglichkeiten.

Früher, so Günther, seien in Altenbrak drei Mitarbeiter vom Bauhof tätig gewesen – und alle waren Mitglieder der Feuerwehr. Heute sei es nur einer, der sich nicht engagieren würde. Könne man hier nicht wieder aufstocken, stellt er in den Raum. „Das Problem ist, dass die Normwerte des Landesverwaltungsamts festlegen, dass ich pro 1000 Einwohner nur einen Bauhofmitarbeiter einsetzen darf beziehungsweise nur diesen finanziert bekomme“, macht Balcerowski deutlich. „Das ist meiner Meinung nach ein erheblicher Konstruktionsfehler. Ich habe das auch schon mehrfach den Landesmitarbeitern gesagt, aber dort pfeift es nur durch die Ohren.“

Die Kommunen seien sich selbst überlassen. In Thale habe man deshalb im Februar einen Kooperationsvertrag mit Quedlinburg, Ballenstedt und Harzgerode geschlossen. Zum einen solle damit der grenzübergreifende Einsatz, der in der Praxis schon umgesetzt werde, auch schriftlich festgehalten werden. Zum anderen wurde der Weg für Doppelmitgliedschaften freigemacht. „Wenn jemand beispielsweise in Quedlinburg wohnt, aber in Thale arbeitet, könnte er an beiden Standorten eingesetzt werden“, erläutert Thales Bürgermeister das Prinzip. „Das war vorher nicht ohne Weiteres möglich, denn letztendlich kostet das alles Geld.“ Schließlich müssten beide Wehren eine entsprechende Ausrüstung für den Kameraden bereithalten.

Für Ronald Fiebelkorn (CDU), Bürgermeister der Oberharz-Stadt, sei das auch eine Überlegung wert, um vor allem dem Problem der wochentags fehlenden Einsatzkräfte entgegenzuwirken. Doch zunächst wolle er Zahlen sehen. „Wir haben bereits eine Feuerwehrbedarfsplanung bei einem Unternehmen in Auftrag gegeben, das das deutschlandweit macht“, berichtet er. Dieses habe alle Standorte in der Oberharz-Stadt begutachtet. Das könne die Stadt zwar auch selber, aber „der Blick von Außen ist auch mal ganz gut. Mit den Ergebnissen ist im September zu rechnen.“ Dann wolle er schauen, ob es Handlungsbedarf gibt.

Bereits praktiziert werde in der Oberharz-Stadt das Prinzip der Gästehaken, wie Lars Meißner von der Feuerwehr Elend berichtet. „Jede Feuerwache hält dafür zwei bis drei Gästehaken mit Kleidung und Schuhen in verschiedenen Größen bereit.“ Er selbst habe einmal in Elbingerode ausgeholfen, bei einem Einsatz in Benneckenstein sei aus dem Auto heraus ein Kamerad aus Benneckenstein akquiriert worden.

„Das alles bringt einen größeren Zusammenhalt in der Stadtfeuerwehr“, ist er sich sicher. Und genau da setzt er auch bei seiner Arbeit als Stadtjugendwart an. „Wir versuchen, viele gemeinsame Aktionen mit den Jugendfeuerwehren zu machen, beispielsweise die Stadtmeisterschaft alle zwei Jahre.“ Schließlich seien das die potenziellen Einsatzkräfte von morgen, die sich dann schon kennen würden.

Das Thema Nachwuchs sei allerdings auch kein leichtes, wie Gruppenführer Mario Becker weiß. Drei Kinder aus Treseburg und zwei aus Altenbrak seien in der gemeinsamen Jugendwehr aktiv. „Und von zehn Jugendlichen behält man im Schnitt einen“, betont er. Dabei sei es wahrscheinlicher, dass jemand als Kind in die Arbeit der Feuerwehr reinwachse, als dass er als Erwachsener dazustoße.

„Aber viele junge Leute fragen heutzutage, was man dabei verdient“, bedauert der 52-Jährige. Doch mit 7,50 Euro Aufwandsentschädigung pro Einsatz sei niemand hinter dem Ofen vorzulocken. Kleine Aufmerksamkeiten wie eine von der Kommune abgeschlossene Feuerwehrrente oder der kostenfreie Eintritt in öffentliche Einrichtungen sorgen zumindest für einen Anreiz und seien eine Art der Wertschätzung.

Darüberhinaus punkten könne die Wehr mit Kameradschaft und der guten Technik. „Mich persönlich reizt es, dass man vor eine Einsatzsituation gestellt wird, für die man eine Lösung finden muss“, beschreibt Ortswehrleiter Mark Günther seine Motivation. „Bei mir ist es die Veränderung in der Technik. Wir haben heute eine Ausstattung, von der haben wir früher nur geträumt.“

Jetzt träume er dagegen von mehr Freiwilligen, die sich in ihren örtlichen Wehren ehrenamtlich für das Wohl aller einsetzen. Denn letztendlich will niemand im Notfall ohne Hilfe dastehen.