Ranger Jungen Berliner zieht es vom Gewächshaus in den Harz-Wald
Einen 25-jährigen Berliner erwarten wohl die wenigsten, wenn sie an einen Ranger im Harz denken. Doch Lennart Ender sorgt für frischen Wind im Nationalpark.

Schierke - Um 7.30 Uhr macht sich Lennart Ender in seinem silbernen Opel Micra auf den Weg zu seinem heutigen Arbeitsplatz – der Rangerstation in Schierke. Von dort soll der 25-Jährige auf den Brocken wandern, für den sogenannten „Brockendienst“. Ein kurzer Blick auf seine Rückbank lässt seinen Beruf als Ranger erahnen - jede Menge Fleece-Kleidung, Regenjacke, Wanderrucksack und ein orange-leuchtender Sicherheitshelm.
Auf die Frage, ob er lieber einen Ranger-typischen Jeep fahren würde, lacht er. Autos seien ihm nicht wichtig, Hauptsache sie bringen ihn ans Ziel. Im Laufe des Tages wird deutlich, was dem gebürtigen Berliner wichtig ist: die Natur, Wandern und seine Arbeit im Nationalpark Harz.
Ruhig manövriert Lennart seinen Wagen durch die Straßen von Wernigerode. Er kennt die Stadt gut, nutzt Abkürzungen und weniger bekannte Wege, um Straßensperrungen und Umleitungen zu umgehen. Man könnte meinen, er sei in Wernigerode aufgewachsen. Dabei ist Lennart in Berlin-Neukölln groß geworden. Seine Kindheit ist jedoch weniger geprägt von lauter und rauer Großstadt, sondern mehr von der Leidenschaft für Pflanzen, seinem eigenen kleinen Gewächshaus im Garten und Familienausflügen in den Harz.
Bester Gärtnerlehrling in Brandenburg
Nach der zehnten Klasse geht der Berliner seinem Interesse für die Natur nach und macht eine dreijährige Lehre zum Gärtner. Es wird schnell klar, dass er ein gutes Gespür für Pflanzen hat, denn er schließt die Ausbildung damals als bester Gärtnerlehrling ganz Brandenburgs ab.
Die folgenden Jahre sind eine bunte Mischung aus Arbeit im Gartencenter, drei Semestern Studium, einer Ausbildung zum Erlebnispädagogen und Reisen. In Neuseeland kommt Lennart dann das erste Mal mit einer Rangerin in Kontakt. „Das war eine sehr interessante Begegnung, aber ich hätte niemals geglaubt, dass das irgendwann auch mal mein Leben sein könnte“, erinnert er sich. Was vor vier Jahren noch unvorstellbar erschien, ist heute Realität geworden: Lennart ist Ranger im Nationalpark Harz. Doch was hat ihn dazu bewegt?
60-Stunden-Wochen, eine starke körperliche Beanspruchung und schlechte Bezahlung haben dazu geführt, dass Lennart der Gärtnerei den Rücken kehrt und Anfang 2020 seine Ausbildung zum Ranger in Dresden beginnt. „Ich wollte wieder mehr mit und in der Natur arbeiten“, erzählt der Wahl-Wernigeröder. Die Kombination aus Natur, Umweltbildung und Kontakt zu Menschen habe ihn gereizt.
Lehrgang mit 16 anderen Auszubildenden
Er beginnt seinen Lehrgang mit 16 weiteren Auszubildenden, die ähnlich wie er zum größten Teil aus einem „grünen Beruf“ stammen. Gemeint sind damit beispielsweise Land- und Forstwirte, Gärtner, oder auch Revierjäger.
Der 13-monatige Mix aus Theorie und Praxis kostet insgesamt 5.320 Euro und wird im Falle von Lennart vom Bildungsministerium übernommen. Ganz beiläufig erzählt der 25-Jährige von seinem Weiterbildungsstipendium und bestätigt damit den bescheidenen Eindruck, der entsteht, sobald man sich das erste Mal mit ihm unterhält.
Im Februar hat Lennart noch während seiner Ausbildung bereits die Stelle als Ranger im Nationalpark Harz begonnen. Dass ein Lehrling vor Abschluss der Ausbildung eine Festanstellung erhält, sei normalerweise eher untypisch, erzählt Lennart. Doch die ausgeschriebene Stelle konnte er damals nicht ignorieren und bewarb sich trotzdem. „Ich bin sehr froh, dass der Nationalpark mir ein derartiges Vertrauen entgegengebracht und mich dennoch eingestellt hat“, betont er.
Jüngster festangestellter Ranger des Nationalparks
Für Henning Möller, Leiter der Nationalparkwacht, war schnell klar, dass er Lennart in seinem Team haben möchte. Über 60 Bewerbungen hatte der Ranger-Chef damals auf seinem Schreibtisch liegen. Durch die Kombination aus „grüner“ Berufserfahrung und theoretischem Wissen aufgrund des Lehrgangs, hat sich der Auszubildende von den anderen Bewerbern abgehoben. „Genau diese Mischung haben wir gesucht“, bestätigt Henning Möller.
Von den festangestellten Rangern ist Lennart bisher mit Abstand der Jüngste. Die meisten seiner 16 Kollegen arbeiten bereits seit vielen Jahren im Nationalpark und stehen zum Teil kurz vor der Rente. Aufgrund eines Einstellungsstopps vor einigen Jahren hat sich eine Schere zwischen Jung und Alt ergeben – das Resultat: eine fehlende Mitte. Diese gilt es jetzt auszugleichen. „Wir sind aktiv auf der Suche nach jüngeren Kollegen“, bestätigt Henning Möller. Lennart sei dabei der erste Schritt in die richtige Richtung.
Doch die unterschiedlichen Generationen profitieren auch voneinander. „Die jungen Kollegen bringen frischen Wind und neue Ideen mit. Sie hinterfragen unsere Strukturen und rütteln uns dadurch wieder ein wenig auf“, so der Leiter der Nationalparkwacht. Umgekehrt können die erfahrenen Ranger ihr Wissen und ihre Erlebnisse teilen, wodurch der Ranger-Nachwuchs viel lernen kann, fügt er hinzu.
Junger Ranger will Fragen beantworten
Um 9 Uhr zieht sich Lennart seine Jacke mit dem Emblem des Nationalparks an und macht sich auf den Weg zum Brocken. Ohne die Jacke habe er manchmal Schwierigkeiten, von den Besuchern als Ranger ernstgenommen zu werden. „Die Menschen assoziieren mit dem Beruf eben einfach keine jungen Menschen“, erklärt er. Doch Lennart nimmt die Tuscheleien über sein Alter mit Humor. Ruhig und selbstbewusst bewegt er sich durch den Nationalpark und grüßt die entgegenkommenden Besucher. „Mir ist es wichtig, als Ranger nahbar und zugänglich zu wirken“, betont er. Denn nur so sinke auch die Hemmschwelle für Fragen.
Mit freundlicher Bestimmtheit weist er Hundebesitzer auf die Leinenpflicht hin und holt rastende Wanderer zurück auf den Weg. Die meisten Besucher reagieren einsichtig. So auch ein junges Pärchen, dass sich abseits auf einem Fels ausruhen will. Als Lennart auf sie zukommt, interessieren sie sich für seine Erklärung und zeigen Verständnis.
Doch das sei nicht immer der Fall, verrät er. „Manchmal reagieren die Menschen auch genervt und warten nicht einmal meine Erklärung ab“, erzählt der Jung-Ranger. Davon lässt er sich jedoch nicht irritieren und freut sich jeden Morgen aufs Neue auf seinen abwechslungsreichen Arbeitstag. Auf die Vermutung, dass Lennart seinen Traumberuf gefunden habe, antwortet der gebürtige Berliner mit einem großen Lächeln: „Auf jeden Fall!“
Mehr Natur, weniger Wege im Harz der Zukunft?
Die Arbeit in der Natur bringe ihn in seine Mitte, erklärt er. Der größte Reiz an seinem Beruf sei für ihn, die Schönheit und Komplexität der Natur zu vermitteln. „Ich mag es, mein Wissen weiterzugeben und den Menschen zu verstehen zu geben, wieso die Natur so schützenswert ist“, hebt der 25-Jährige hervor. „Was der Bürger nicht kennt, schützt er nämlich sonst auch nicht“, fügt er nach einer kurzen Pause hinzu. Worte, die Eindruck hinterlassen und deutlich machen, wie sehr ihm die Natur am Herzen liegt.
Doch Lennart hat auch konkrete Vorstellungen, was die Zukunft des Nationalparks angeht. Mehr Natur, weniger Wege. „Ich finde, wir brauchen wieder mehr Nationalpark-Feeling“, äußert er seine Gedanken.
Und was macht der 25-Jährige, wenn er nicht gerade durch den Nationalpark wandert? „Wandern“, gesteht er lachend. Auch wenn er in seinem Beruf schon viel in der Natur unterwegs ist, findet Lennart, dass es nichts Schöneres gibt, als eine gute Wanderung mit Freunden. Seine Kamera darf dabei nicht fehlen, denn er hält die Schönheit der Natur auch gerne mit seiner Linse fest. Wenn Lennart dann ausnahmsweise nicht wandert, fährt er gerne Kanu und erkundet fremde Länder. Wo es als Nächstes hingehen soll? „Auf dem Landweg nach Vietnam“, antwortet Lennart verschmitzt. Doch dieser Wunsch habe noch Zeit. Jetzt möchte er erstmal seine Ausbildung abschließen und sich auf seinen Job im Nationalpark konzentrieren.
Faible für Experimente in der Küche
Auf dem Brocken angekommen, holt der 25-Jährige in der Rangerstation seinen Proviant aus dem Rucksack: selbst gebackenes Brot bestrichen mit selbst gemachter Marmelade. Lennart verrät, dass er ein Faible für Selbstgemachtes hat. Egal ob Senf, Pesto oder Schnaps – er verbringt gerne Zeit in der Küche und experimentiert.
Im Anschluss geht es für den Ranger wieder nach Draußen, um das Gelände zu kontrollieren und Müll aufzusammeln. Nach nur einer halben Stunde ist sein blauer Sack voller Mützen, Masken, Taschentücher & Co. „Ich verstehe nicht, warum die Menschen so unachtsam mit ihrem Müll umgehen“, seufzt er resigniert. Es gebe keine sinnvolle Begründung für die Verschmutzung der Natur, betont der 25-Jährige.
Wenn Lennart nicht Dienst auf dem Brocken hat oder Gebietskontrolle macht, achtet er in der Rangerstation in Schierke darauf, dass keine unerlaubten Autos auf den Brocken fahren, zählt die Besucher und gibt Auskunft über die Wanderwege.
Führungen fehlen jungem Ranger
Ein Großteil seiner Arbeit fällt jedoch momentan aufgrund der Corona-Krise weg: die Führungen. Man merkt, wie sehr Lennart sich darauf freut und den Austausch mit den Besuchern kaum abwarten kann. Bis dahin streift er jedoch noch alleine durch den Nationalpark, bestimmt Pflanzen am Wegrand und macht sich Gedanken darüber, wie andere Menschen den Wald wohl empfinden.
Ob er sich manchmal einsam fühlt? Er blickt für einen Moment in die Ferne, bevor er antwortet: „Meiner Generation fehlt das Alleinsein. Für mich bedeutet der Wald Ruhe und Freiheit.“