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Kinderkrebshilfe Großer Schnitt für guten Zweck im Harz

Der Harzer Kinderkrebsverein sammelt Haarspenden, aus denen Perücken gefertigt werden. In der Corona-Krise steigt die Spendenzahl deutlich.

Von Ivonne Sielaff 05.06.2020, 01:01

Wernigerode l Haare wie Rapunzel wollte Melissa haben, als sie vier Jahre alt war. Jetzt ist sie sieben und hat entschieden, ihr langes Haar zu spenden. Sie legt ihren dunkelblonden Zopf in einen Briefumschlag. „Ich hätte gern gewusst, wie du mit meinen Haaren aussiehst“, schreibt Melissa noch an die künftige Empfängerin. „Vielleicht möchtest du mir ein Bild von dir schicken.“

Briefe wie diese landen in diesen Tagen zuhauf beim Verein für krebskranke Kinder Harz. „Im Moment ist es wirklich extrem“, sagt Vereinschef Avery Kolle. Erst am Mittwoch habe die Postfrau wieder 18 Zöpfe auf einmal gebracht. „Wir werden wohl einen größeren Briefkasten brauchen“, so Kolle. In einer großen Kiste bewahrt er die neuesten Haarspenden auf. „Das sind über 300 Zöpfe - nur aus den letzten paar Wochen.“

Vor vier Jahren hatte der Verein die besondere Spendenaktion gestartet. „Angefangen hat alles mit einem kleinen Mädchen, das in Wernigerode seinen Urlaub verbrachte und seine Haare schneiden ließ“, blickt Kolle zurück. Sie wollte ihre Haare spenden, damit daraus eine Echthaar-Perücke für Krebskranke gefertigt werden kann. „Wir haben daraufhin Kontakt zu einer Manufaktur im Münsterland aufgenommen. „Die haben sich auf die Verarbeitung von Haaren zu Perücken für Erkrankte spezialisiert.“ Das Besondere: Kinder müssen für ihren Haarersatz nichts bezahlen. „Und als Verein erhalten wir zusätzlich je nach Bewertung des Zopfes eine kleine Spende.“

Erst waren es drei bis vier Zöpfe im Monat, die im Vereinsdomizil in der Wernigeröder Feldstraße ankamen. Kolle holte daraufhin vier Friseurbetriebe aus der Region mit ins Boot, die ihre Kunden gezielt ansprachen. „Und dann ist es Stück für Stück gewachsen.“ 2019 waren es bereits etwa 20 Zöpfe im Monat. Doch was in den letzten Wochen passiert ist, toppt alles. „Täglich vier bis fünf Zöpfe und das schon seit einigen Wochen“, sagt Kolle. Nicht nur die Harzer trennen sich von ihrer Haarpracht, um Krebskranken zu helfen. „Wir erhalten Briefe aus ganz Deutschland. Ja, sogar aus Österreich und Dänemark“, sagt Kolle. „Die Masse hat uns echt erstaunt.“

Der Vereinschef vermutet einen Zusammenhang mit der Corona-Krise und den zeitweise geschlossenen Friseurläden. „Womöglich haben sich viele Leute Gedanken darüber gemacht, was sie nach einem Friseurbesuch Sinnvolles mit ihren Haaren machen könnten. Das hat uns bei Google nach oben getrieben.“ Sucht man mit der Internetsuchmaschine nach dem Begriff „Haarspende“, werden zuerst einige Manufakturen aufgelistet. „Wir standen bislang an fünfter oder sechster Stelle.“ Das hat sich in den vergangenen Wochen geändert. „Jetzt stehen wir mit ganz oben.“ Das heißt, wer mit dem Gedanken spielt, seine Haare zu spenden und im Internet recherchiert, landet beim Verein für krebskranke Kinder Harz.

„Und diesen Hype merke ich jetzt tagtäglich.“ Fast jedes Telefongespräch, das Kolle annimmt, dreht sich um das Thema Haare. „Wir haben vom Verein jetzt jemanden abgestellt, der sich nur um die Haarspenden, die Beantwortung der Briefe und an die Weiterleitung an die Manufaktur kümmert“, so der Vereinschef. „Das ist allein nicht mehr zu bewältigen.“

Die Spender seien Frauen, Männer - aber auch viele Kinder. Oftmals seien Briefe beigefügt. Denn, wie Kolle festgestellt hat, steckt hinter fast jeder Spende eine Geschichte oder ein Schicksal. „Ein Mädchen hat geschrieben, dass ihr kleiner Bruder an Krebs erkrankt und verstorben sei. Sie wolle nun Ärztin werden.“ Eine andere Spenderin habe ihre Haare abgeschnitten, weil sie selbst kurz vor einer Chemo stehe. „Das sind oft ergreifende Geschichten.“

Den Hype wolle der Verein mitnehmen. „Das ist eine gute Sache“, so Kolle. Auch sonst will der Verein wieder durchstarten. „Wir wollen da anknüpfen, wo wir im Februar aufgehört haben.“ Durch die Corona-Krise und die Kontaktbeschränkungen seien die Vereinsaktivitäten ausgebremst worden. „Die Krise hat unsere Veranstaltungen zerschlagen.“ Wie den Benefizlauf, das Erlebniscamp sowie mehrere Typisierungsaktionen. „Allein durch den Ausfall des Benefizlaufs gehen uns Spendengelder in fünfstelliger Höhe verloren.“ Langsam würde alles wieder anlaufen und Spenden eingehen. Der Bedarf an Beratung sei bei von Krebs betroffenen Familien hoch. „Auch deshalb müssen wir weiter machen.“ Das Erlebniscamp werde im Herbst nach geholt, die Typisierungsaktionen ebenso.

Übrigens: Im November steht der zehnte Geburtstag des 177 Mitglieder starken Vereins an. „Ein Jubiläum, das wir uns eigentlich nicht nehmen lassen wollen.“