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Waldsterben Krisenstab Wald will im Harz dem Fichtensterben begegnen

Der Krisenstab Wald hat am Dienstag seine Arbeit vorgestellt. Im Zentrum steht die Aufforstung des sterbenden Harzer Waldes. Dafür fordern die Mitglieder Hilfen vom Land.

Von Katrin Schröder 12.05.2021, 08:15
Diskutieren über die Zukunft des Waldes: (von links): Waldbesitzer Inge und  Albrecht Wendenburg, Thomas Balcerowski,  Klaus Dumeier, Franz Prinz zu Salm-Salm und Torsten Sinnecker.
Diskutieren über die Zukunft des Waldes: (von links): Waldbesitzer Inge und Albrecht Wendenburg, Thomas Balcerowski, Klaus Dumeier, Franz Prinz zu Salm-Salm und Torsten Sinnecker. Katrin Schröder

Altenbrak

Links führt der Weg in Richtung Altenbrak, rechts geht es nach Todtenrode. Der Baum, an dem das Wanderschild hängt, ist nur noch ein Torso. Hinter ihm erstreckt sich eine Wüste aus Baumstümpfen und toten Ästen. „Flächen wie diese werden in den kommenden 30 Jahren keine Einnahmen generieren“, sagt Franz Prinz zu Salm-Salm, Vorsitzender des Waldbesitzerverbandes Sachsen-Anhalt.

Er ist einer von 33 Mitglieder des Krisenstabs Wald, den der Harzer Landrat Thomas Balcerowski (CDU) im November ins Leben gerufen hatte. Der Stab hat seitdem 21 Beratungen in fünf Arbeitsgruppen abgehalten und sich auf einen Maßnahmenplan sowie einen Forderungskatalog geeinigt. Die Vorstellung der beiden Papiere, vor Ort im desolaten Harzwald, wurde jedoch überschattet vom Streit mit dem Umweltministerium: Auf Weisung von Ministerin Claudia Dalbert (Bündnis 90/Grüne) wurden die acht Landesbediensteten, die im Krisenstab mitgearbeitet hatten, aus dem Gremium abgezogen (die Volksstimme berichtete).

Am Dienstag gab sich Balcerowski davon unbeeindruckt. „Darüber wollen wir hier nicht reden“, sagte er, ergänzte aber auf Nachfrage: „Wir lassen uns von den Irrungen und Wirrungen in Magdeburg nicht irritieren, sondern machen weiter.“ Und das im Privatwald statt im Landesforst: Weil das Ministerium am Montagnachmittag offiziell Hausverbot für den Vorstellungstermin verhängt hatte, der ursprünglich auf landeseigenem Boden nahe Rübeland stattfinden sollte, wurde der Treffpunkt verlegt.

Gemeinsame Plattform

Er wolle aber vielmehr die Sache in den Vordergrund stellen, sagte Balcerowski. Der Krisenstab sei notwendig, um allen, die mit dem Thema Wald zu tun haben, eine gemeinsame Plattform zu geben. „Es gibt keine koordinierende Stelle, in der alle, die mit dem Wald zu tun haben, zusammenkommen“, so der Landrat.

Dass dies nötig sei, liege an der dramatischen Lage, die durch Trockenheit und Borkenkäferbefall verursacht wurde. „Es ist immer wieder erschreckend, in welchem Zustand sich der Harzer Wald befindet“, so Balcerowski. Das lässt sich mit Zahlen untermauern: Ende 2020 waren 15800 Hektar Kahlflächen gemeldet, die nicht zum Nationalpark Harz gehören und zuvor von Nadelbäumen bestanden waren. Dies entspreche ungefähr der Hälfte des gesamten Nadelholzbestandes im Harzkreis und 70 Prozent der Kahlflächen im gesamten Land, heißt es in einer Mitteilung der Kreisverwaltung.

Dementsprechend steht die Wiederbewaldung im Maßnahmenplan des Krisenstabs an erster Stelle. In den kommenden drei Jahren sollen laut Kreisverwaltung rund 3800 Hektar aufgeforstet werden. Zirka sieben Millionen Pflanzen müssten dafür in die Erde gebracht werden. Die Kosten belaufen sich auf rund 9,1 Millionen Euro. Das Ziel sei daher, „dass schnell und aktiv wieder aufgeforstet wird “, sagt Torsten Sinnecker, Leiter der Unteren Forstbehörde des Harzkreises. Dazu müsse man den Dialog mit allen Waldbesitzern suchen: „Wir haben viel kleinteiligen Waldbesitz“, so Sinnecker – zwischen zwei und 2000 Hektar sei alles vertreten.

Investitionen in die Zukunft

Der größte Teil des Waldes, ungefähr die Hälfte, zähle aber zum Landesforst, die übrigen 50 Prozent seien Privat- und Kommunalwald. Die Eigentümer müssten nun in die Zukunft investieren. „Der Wald braucht zwei Generationen, bis man Ergebnisse sieht“, so Sinnecker. Die waldbaulichen Empfehlungen des Umweltministeriums zur Baumauswahl seien gut, müssten aber laufend aktualisiert werden – und sie müssten zu anderen relevanten Vorschriften passen.

Weil es Widersprüche gebe, würden Waldbesitzer bei der Aufforstung ausgebremst, so Sinnecker. Die aktuelle Krise habe dazu geführt, dass viele Vorschriften nicht mehr wie früher umzusetzen seien. „Deshalb muss das Waldgesetz angepasst werden.“

Weniger Bürokratie fordert Franz Prinz zu Salm-Salm im Namen der privaten Waldbesitzer. Mit einer „Wüste von Papier“ müssten sich auch Besitzer kleinster Flächen herumschlagen. Stattdessen bräuchten sie unkomplizierte, finanzielle Hilfen in vielen Bereichen, so der Chef des Waldbesitzerverbandes – bei der Beräumung des Totholzes, der Wiederbewaldung, bei der Verkehrssicherung und der Gewässerumlage.

Systemrelevant und existenziell

Dies sei gerechtfertigt, da der Wald wichtige Funktionen für das Klima und die Umgebung übernehme. Ein Hektar Wald binde acht Tonnen Kohlendioxid, rechnet Salm-Salm vor. Zudem wirke er der Erosion entgegen, verhindere, dass Nitrat ins Grundwasser gelange, und schütze vor Hochwasser. Wälder und Forstwirtschaft seien „systemrelevant“, so der Vorsitzende des Waldbesitzerverbandes. „Der Waldumbau ist für die Region existenziell.“

Das habe seinen Preis: „Mindestens“ 7500 Euro koste es, einen Hektar Wald aufzuforsten, so Salm-Salm. Damit könne man die Waldbesitzer nicht allein lassen. „Wir brauchen eine Flächenförderung, die leistungsbezogen ist. Wir wollen keine Almosen“, betonte der Verbandschef.

Wichtig sei zudem, die mit der Holzproduktion verbundene Wertschöpfungskette im Blick zu behalten. „Was uns alle irritiert, ist, dass das Holz derzeit mit Schwung nach China transportiert wird“, so Salm-Salm. Statt Harzer Holz in die Welt zu schicken, solle auf regionale Verarbeitung und Vermarktung gesetzt werden. Das zahle sich aus. „An einem Euro Holzerlös hängen bis zu 100 Euro Steuererlös.“

Informieren über Veränderungen

Ein Wirtschaftsfaktor ist der Wald auch mit Blick auf den Tourismus im Harz, weiß Klaus Dumeier, Vize-Präsident des Harzklubs. „Jahrzehntelange Einwirkungen auf das Klima werden jetzt sichtbar. Wegschauen geht nicht mehr.“ Er erinnerte an die Initiative „Der Wald ruft“ des Harzer Tourismusverbandes, mit der über die Veränderungen informiert werde.

Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit sei für Urlauber wie Einheimische gleichermaßen wichtig. Der Bedarf dafür sei groß, weiß der Harzklub-Vizechef. „Wir müssen dem, was passiert, einen Stempel aufdrücken.“ Die Gestaltung der Misere gehe alle an. „Das ist eine Mammutaufgabe, die nur gelingt, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen.“

Das sei ebenso in Sachen Brandschutz vonnöten, sagt der Harzer Kreisbrandmeister Kai-Uwe Lohse. Der derzeitige Zustand des Waldes bereite den Feuerwehren Sorgen. Einzelne Wehren seien mit Waldbränden potenziell überfordert. „Hier reicht der kommunale Brandschutz nicht mehr aus. Wir müssen als Landkreis zusammenrücken.“

Zu wenig Löschwasser

Das beginne bei der Ausstattung. Nicht jede Wehr verfüge über die nötige Technik, daher rücke man gemeinsam aus. Und: „Wir haben in vielen Teilen des Waldes zu wenige Löschwasserentnahmestellen“, weiß Lohse. Daher brauche man Tanklöschfahrzeuge, die teils versprochen, aber noch nicht geliefert seien.

Ein weiteres Problem betrifft die Alarmierung. „Wir haben im Harz ein desolates Mobilfunknetz“, so der Kreisbrandmeister. Das sei nicht nur für Wanderer, die Hilfe rufen oder einen Brand melden wollen, ein Problem, sondern auch für Feuerwehr und Rettungskräfte. „Diese Lücken müssen möglichst schnell geschlossen werden“, fordert er.

Wie rasch es gehen kann, zeige der Großbrand an der Rosstrappe vor einem Jahr, berichtet Alexander Beck, Vorsitzender des Kreisfeuerverbandes. „In steiler Lage bewegt sich das Feuer mehrere Meter pro Sekunde.“ Die rund 4000 Harzer Kameraden würden so ausgebildet, dass sie sich im Ernstfall schnell verständigen und reagieren können.

Marathon statt Sprint

Den Forderungskatalog, den der Krisenstab aus dem Maßnahmenplan heraus zusammengestellt habe, habe er an den Ministerpräsidenten, an Innenminister und Umweltministerin sowie an die Fraktionschefs der im Landtag vertretenen Partien gesandt, ebenso an die Harzer Bundestagsabgeordneten und das Landesverwaltungsamt sagt Balcerowski. „Das Ganze ist kein Sprint, sondern ein Marathonlauf. Aber jeder Lauf, auch ein Marathon, beginnt mit dem ersten Schritt.“

Getroffen hat sich der Krisenstab Wald auf dem Grund von Inge und Albrecht Wendenburg. Auch dieser ist vom Waldsterben betroffen.
Getroffen hat sich der Krisenstab Wald auf dem Grund von Inge und Albrecht Wendenburg. Auch dieser ist vom Waldsterben betroffen.
Katrin Schröder