Kulturkirche Christen nehmen Abschied

Mit einem Entwidmungsgottesdienst hat die Gemeinde in der Liebfrauenkirche Wernigerode Abschied von ihrem Gotteshaus genommen.

Von Julia Bruns 04.02.2019, 11:43

Wernigerode l Vielen Wernigeröder Christen fiel dieser Kirchgang besonders schwer: Mit einem emotionalen letzten Gottesdienst haben die Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinde St. Sylvestri und Liebfrauen im Beisein zahlreicher Christen aus der gesamten Stadt am Sonntag, 3. Februar, Abschied von der Liebfrauenkirche als Ort des Gottesdienstes genommen.
Besonders als Gedanken der Gemeindemitglieder verlesen wurden, horchten die Menschen in den Bankreihen auf: „Es ist schwer, loszulassen, obwohl es nicht mehr viele Kirchgänger gibt. Musik ist besser als ein Kaufhaus“, hieß es da. Oder: „Die Gemeinde kann sich durch die besondere Anordnung der Stühle in die Augen schauen. Wo gibt es so etwas in Sachsen-Anhalt noch einmal?“ Und: „Ich kann den Schmerz nicht in Worte fassen.“ Es sind aufrichtige Worte, die die bedrückende, aber andächtige Stimmung an diesem Sonntag widerspiegeln.
In den Predigten wurde immer wieder die Bedeutung der Liebfrauenkirche für die Bürger der Stadt betont. So sei das Haus „ein guter Ort echter menschlicher Begegnung“ und als solches ein „Zeichen der Einladung Gottes“ gewesen. Propst Christoph Hackbeil gestand gleich zu Beginn seiner Predigt, dass ihm „mulmig zumute“ sei. „Immerhin nimmt eine Gemeinde nach vielen Jahrhunderten Abschied von ihrem Gotteshaus“, so der Regionalbischof.
Was bleibe, seien die Erinnungen an Taufen, Trauungen, Konfirmationen und Trost, „den die gute Nachricht von Jesus Christus“ den Gläubigen gegeben habe, an die gemeinsame ehrenamtliche Arbeit, die Mitgliedschaft im Kirchenchor und das Zusammenstehen nach dem Gottesdienst. Propst Hackbeil betonte aber auch, dass sich die Dankbarkeit für diese Erfahrungen nicht einzig auf die Mauern beziehe: „Glauben wird in Beziehungen gelebt. Beziehungen tragen durch das Leben, besonders die Beziehung zu Gott.“
Er erinnerte daran, dass 1989 zu Wendezeiten ein runder Tisch in der Kirche eingerichtet wurde. „Aus Platzgründen, wie mir überliefert wurde“, so Christoph Hackbeil. Der Wunsch der Kirche sei, dass das Haus künftig für „kulturvolles und tolerantes Miteinander“ genutzt werde. Seit 15 Jahren sei an dem Konzept einer Kulturkirche – mittlerweile steht das Projekt der Kulturstiftung unter dem Titel „Harzphilharmonie“ - gearbeitet worden. „Die angespannte Zeit ist nun vorbei. Nun liegt die Zeit des Sich-Erinnerns vor uns“, so Hackbeil.
Im Anschluss wurden die liturgischen Gegenstände und Geräte von Pfarrern aller Gemeinden und Gemeindegliedern aus der Kirche getragen. Die Prozession führte Siegfried Siegel sichtlich bewegt an. „Es ist ein ganz schwerer Tag für mich“, sagte der Vorstand der Kirchengemeinde mit Tränen in den Augen. „Die Gemeinde ist nun raus. Jetzt liegt alles bei der Kulturstiftung.“ Über die Orgel gebe es einen Vertrag. Sie bleibt in der Kirche.
Die Gemeinde darf Siegel zufolge künftig vier Veranstaltungen im Jahr kostenfrei in Liebfrauen ausrichten. Für die Gemeinde müsse ein neuer Name gefunden werden. Geplant sei, dass die evangelischen Innenstadtgemeinden St. Sylvestri und St. Johannis als evangelische Kirchengemeinde Wernigerode ab 1. Januar 2020 zusammengeführt werden. Ein entsprechender Antrag sei im Genehmigungsverfahren und liege dem Kirchenamt in Halberstadt vor.