Wernigeröder Sehbehinderte und Gehörlose wehren sich gegen geplante Blindengeldkürzung Kürzung droht: Wenn Blinden nur der Bettelstab bleibt
Wernigerode l Morgens den Wecker hören, ein Buch lesen oder fernsehen: ganz alltägliche Dinge, die die meisten wie selbstverständlich tun. Aber wie kommen sinnesbehinderte Menschen, Blinde und Gehörlose, im Alltag zurecht?
Das Land Sachsen-Anhalt zahlt Betroffenen ein Blinden- und Gehörlosengeld, das soll jedoch um ein Drittel gekürzt werden. Welche Konsequenzen das für die Betroffenen hat, darüber haben sich im Wernige röder Familienhaus Simona Luber, Karla Becker, Renè Ohms, Torsten Boos, Ingo Priske, Olaf Schmiedeck und Dirk Becker mit der Behindertenbeauftragten Silvia Illas unterhalten. "Allein im Harzkreis sind 328 Blinde und 253 Gehörlose betroffen", erklärt sie. Hinzu kämen hochgradig Sehbehinderte und die erst nach dem siebten Lebensjahr ertaubten Menschen. Zudem gebe es eine hohe Dunkelziffer. "Insgesamt leben im Land 3500 Blinde und 3500 Gehörlose", so Silvia Illas. "Sie wollen genauso selbstbestimmt leben wie jeder gesunde Mensch auch", sagt sie.
Durch Geräte wie Wecker mit Blitzsignal oder Uhren mit Sprachausgabe können sich Betroffene selbstständig im Alltag orientieren. Die Gerätschaften sind aber sehr teuer. Um das Manko finanziell auszugleichen, gibt es das Blinden- und Gehörlosengeld. Bereits 2003 wurde es gekürzt. Derzeit werden 350 Euro im Monat an Blinde gezahlt, 41 Euro an Gehörlose und hochgradig Sehbehinderte. Schon jetzt reiche das Geld kaum aus, um die Nachteile zu kompensieren. Das Geld ist Ländersache, künftig soll sich die Höhe an Brandenburg orientieren, das mit 266 Euro an letzter Stelle steht. "Wenn ich mit meinen zwei Kindern auf den Spielplatz gehen will, muss ich eine Begleitperson einstellen, weil ich die Kleinen allein nicht beaufsichtigen kann", sagt René Ohms. "Um vom Bahnhof zur Arbeit zu gelangen, muss ich ein Taxi nehmen, weil ich nicht selbst Auto fahren kann. Um ein Handy zu bedienen, muss eine Sprachsoftware installiert werden", erklärt Dirk Schmidt.
Dies seien bloß einige Alltagssituationen, die Blinde und Gehörlose nur mit technischer Ausstattung bewältigen können. "Es geht darum, dass uns ein selbstbestimmtes Lebens gewährleistet wird. Begleitpersonen, Vorleser und auf unsere Bedürfnisse abgestimmte Alltagsgeräte - das kostet alles viel Geld", fügt er hinzu. Hin und wieder gingen die Geräte kaputt - Reparaturkosten müssten ebenfalls bezahlt werden.
Bisher organisierten die Betroffenen zwei Mahnwachen und eine Protestkundgebung vor dem Landtag. "Jede Kürzung stellt eine Verschlechterung der Lebenssituation dar", sagt Silvia Illas. "Hier geht man auf die Schwächsten los, die sich nicht wehren können. Sie haben sich ihre Behinderung schließlich nicht ausgesucht." Noch sind die Einsparungen am Blinden- und Gehörlosengeld nicht endgültig beschlossen.