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Coronavirus Mit Verzögerungen an den Gerichten rechnen

Im Harz könnten sich künftig etliche Verfahren verzögern. Eilige Angelegenheit wie Haftsachen sind derweil nicht aufgeschoben worden.

Von Julia Bruns 08.05.2020, 11:58

Harz l Auch Justizia ist gegen die Corona-bedingten Einschränkungen nicht immun: Und so lief der Betrieb in den Amtsgerichten im Harzkreis in den vergangenen Wochen etwas behäbiger als üblich. Trotz Krankheit und Pandemie-Plänen sei man im Gericht durchgängig gefordert gewesen, den rechtsstaatlichen Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten, betont Christian Löffler vom Landgericht Magdeburg.

Grundsätzlich und unabhängig von der Corona-Krise liegt es in der Hand der Richter, ob verhandelt wird oder nicht: Das gestattet ihnen der Grundsatzes richterlicher Unabhängigkeit, der im Artikel 97 des Grundgesetzes festgeschrieben ist, erläutert der Sprecher. Damit können die Richter Prioritäten setzen. Ganz konkret, so der Jurist weiter, wurden während des Lockdowns Verfahren „mit freiheitsentziehenden Maßnahmen“ weiter betrieben – wenn es also um Strafsachen geht, wird das Verfahren nicht auf die lange Bank geschoben. Natürlich sind auch Richter den Gesetzen unterworfen, so der Pressesprecher. So müssen sie verfahrensrechtliche Vorgaben nach den Prozessordnungen – zum Beispiel mit dort festgelegten Beschleunigungsgrundsätzen – berücksichtigen.

Unabhängig von der Corona-Krise können Beteiligte in jedem Verfahrensstadium beantragen, dass Verhandlungen, insbesondere schriftliche Verhandlungen, stattfinden. Die Anträge werden von den Richtern oder Rechtspflegern bearbeitet. Sie legen auch die Termine fest.

Auch die Amtsgerichte verfügen über Pandemiepläne, berichtet er: „Zunächst wurde zunehmend der Publikumsverkehr eingeschränkt, das heißt Bürger und Verfahrensbeteiligte wurden aufgefordert, Anträge sowie sonstige Anliegen nicht mehr persönlich, sondern sofern irgend möglich schriftlich, per Fax oder. auch telefonisch anzubringen.“ Sprechzeiten in Beratungshilfesachen seien entfallen, da entsprechende Anträge ohnehin schriftlich zu stellen sind. Auch die Gerichtskasse wurde geschlossen. Schließlich könne der Zahlungsverkehr auch bargeldlos erfolgen – einschließlich Entschädigung von Zeugen, Sachverständigen und Schöffen. „Insgesamt wurde der Publikumsverkehr bereits am Eingang überwacht und auf das rechtliche Notwendige beschränkt“, so der Sprecher.

In einem nächsten Schritt sei das Maß an Verhandlungen und Anhörungen eingeschränkt worden:

Im Amtsgericht Halberstadt wurden sämtliche Verhandlungstermine abgesagt. Dem Pressesprecher zufolge fanden bis Ende April lediglich ein Fortsetzungstermin in einer Strafsache und drei Verkündungstermine in Zivilsachen statt, zu denen regelmäßig niemand erscheine. „Die Richter des Hauses waren sich einig, nur noch Eilsachen, insbesondere Haftsachen, zu verhandeln oder solche Sachen, bei denen eine Unterbrechung des Verfahren, insbesondere in Strafsachen, den Beteiligten unzumutbar war“, erläutert er.

Am Amtsgericht Quedlinburg seien weniger als zehn Verfahren, davon eine Haftsache von größerem Umfang, verhandelt worden. Am Amtsgericht Wernigerode fanden über alle Sachgebiete knapp 30 Termine, darunter auch Anhörungen, statt.

Ingesamt beschreibt er die Abläufe im Publikumsverkehr als „reibungslos“. Bürger reagierten auf die Einschränkungen sehr einsichtig; legitime Rechte der Rechtsuchenden und Bürger seien zu jedem Zeitpunkt beachtet und gewährleistet worden. Sämtliche Bedienstete seien über die empfohlenen Schutzvorkehrungen mehrfach belehrt, informiert und die jeweiligen Vorgaben angepasst worden. Das Publikum sei bereits im Eingangsbereich nach etwaigen erhöhten Risiken befragt worden, also zu möglichen Kontakten zu infizierten Personen, dem Aufenthalt in Risikogebieten insbesondere nach Urlaub, Anzeichen von insbesondere Erkältungskrankheiten. „Im Falle, dass entsprechendes erhöhtes Risiko bestand oder festgestellt wurde, wurden die Personen gebeten, ihr Anliegen anderweitig vorzubringen, im Zweifel erfolgte eine Rücksprache mit der Gerichtsleitung oder etwa dem zuständen Richter im Rahmen einer Verhandlung mit derartigen Personen“, so Löffler.

Nichtsdestotrotz hat die Verlagerung von Terminen in die Zukunft auch Folgen für den einzelnen, wie er verdeutlicht: „Die Verfahrenszeiten werden sich insgesamt verlängern. Genaue Aussagen dazu sind derzeit nicht möglich.“ Die Dienstgeschäfte außerhalb der mündlichen Verhandlungen seien in den zurückliegenden Wochen zwar weiterhin bearbeitet worden. Da die Anwesenheitspflicht einzelner Mitarbeiter aufgehoben wurde, kam es zu Verzögerungen. Eilige Verfahren seien zeitnah bearbeitet worden. „Die telefonische und schriftliche Erreichbarkeit bestand und besteht“, so der Richter.

Homeoffice ist für Richter nichts Neues, denn diese Möglichkeit können sie aufgrund ihrer richterlichen Unabhängigkeit ohnehin wahrnehmen. „Allerdings ist es den Richtern nur möglich ‚Papier-Akten‘ zu Hause zu bearbeiten“, erläutert Christian Löffler. „Digitale Arbeitsmöglichkeiten zu Hause bestehen nicht.“ Die Ausnahme bildet die Recherche in allgemeinen juristischen Datenbanken wie juris und elektronische Gesetze und Kommentare. Sie dürfen über den privaten PC gelesen werden. Untersagt ist es derweil, per E-Mail Dienstliches zu erledigen, da keine gesicherten Kommunikationswege hierfür zur Verfügung stünden.

Neu ist, dass auch Rechtspfleger Papierakten im Homeoffice bearbeiten dürfen. Mitarbeiter des mittleren Dienstes wie das Sekretariat und des einfachen Dienstes wie die Wachtmeisterei können nicht im Homeoffice arbeiten. Zum Schutze der Bürger und auch der Bediensteten vor etwaigen Ausbreitungen der Infektion wurde für diese Personenbereiche die Möglichkeit eingeräumt, den Dienst wechselseitig zu versehen (d. h. Bedienstete wurden von ihrer Arbeitspflicht im Gericht befreit), um auf diese Weise die einzelnen Abteilungen auch bei auftretenden Infektionen arbeitsfähig zu erhalten.

Mit welchen Beschränkungen werden Rechtssuchende künftig leben müssen? „Was im hiesigen Gerichtsalltag weiterhin auf unabsehbare Zeit bleiben wird, ist das Gebot, jegliche körperlichen direkten Kontakte zu vermeiden also etwa Hände schütteln, den Sicherheitsabstand zu wahren und auch sonstige Hygienevorschriften einzuhalten“, erläutert er. „Ferner wird auch eine Einschränkung des öffentlichen Dienstbetriebes dahingehend erhalten bleiben, dass Anliegen – soweit möglich – schriftlich bzw. fernmündlich vorzubringen sind.“

In den letzten Tagen ist der Betrieb in den Gerichten allmählich wieder angelaufen. „Betritt man das Gerichtsgebäude, trägt man sich in eine Liste ein, damit eventuelle Risikoketten nachvollzogen werden können“, berichtet ein Anwalt gegenüber der Volksstimme. „Im Gericht selbst wurde ganz normal verhandelt.“ Zumindest im Amtsgericht Wernigerode habe keine Maskenpflicht bestanden. „Als schwierig würde ich Zeugenvernehmungen mit Maskenpflicht empfinden, weil die Mimik Aufschluss über die Aufrichtigkeit des Zeugen geben kann“, sagt der Jurist.

Unter den Einschränkungen hätten in den vergangenen Wochen vor allem Menschen, die in Untersuchungshaft sitzen, gelitten. „Ihr Besuchsrecht wurde extrem eingeschränkt, sie durften dafür mehr telefonieren. Aber für sie ist es natürlich belastend, so lange ihre Familien nicht zu sehen“, sagt der Strafverteidiger. Seine Mandantenbesuche hätten ausschließlich mit Mundschutz und hinter Plexiglas stattgefunden. Üblicherweise, so der Anwalt weiter, gilt laut deutschem Strafrecht eine Frist von sechs Monaten, in der über eine Haftsache verhandelt werden muss, „damit die Beschuldigten nicht länger als sechs Monate in U-Haft sitzen“, erläutert er. Die Oberlandesgerichte sehen in der Corona-Krise allerdings einen wichtigen Grund, die Untersuchungshaft auch über sechs Monate hinaus zu vollstrecken.