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Harz Wernigerodes Rathaus wird TV-Studio

Grußwort, Rede, Musik - alles wie immer beim Neujahrsempfang in Wernigerode, dem einzigen im Harz. Aber: Die Gäste sitzen zu Hause.

Von Ivonne Sielaff 04.02.2021, 00:01

Wernigerode l „Noch zehn Sekunden. Bitte Ruhe.“ Die Luft im Wernigeröder Rathaussaal lässt sich vor Spannung fast schneiden. Kameraleute und Techniker warten auf das Startsignal. Kein Mucks ist zu hören. Punkt 18 Uhr ist es soweit. „Herzlich willkommen beim Neujahrsempfang in Wernigerode“, begrüßt Moderatorin Janine Koska die Gäste. Die stehen nicht wie sonst dicht an dicht im Festsaal gedrängt. Nein, sie sitzen zu Hause auf der Couch, im Sessel oder am Küchentresen.

Corona stellt alles auf den Kopf – auch die traditionelle Jahresauftakt-Veranstaltung der Stadt. Während viele andere Kommunen ihren Neujahrsempfang haben ausfallen lassen, ist Wernigerode einen anderen Weg gegangen. „Weglassen oder verschieben war für uns kein Thema“, sagt Kristin Dormann, Bürochefin von Oberbürgermeister Peter Gaffert (parteilos). „Die Frage war lediglich: Wie setzen wir es um?“

Das Konzept entwickeln Gaffert und sein Team gemeinsam mit Christian Legler von Studio D4. „Wir mussten vorab einiges klären“, so der Veranstaltungsprofi. „Was ist unter Corona-Bedingungen möglich? Wen laden wir ein? Was ist in diesen Tagen überhaupt angemessen? Wir können hier schließlich nicht in Saus und Braus feiern, während andere zu Hause sitzen.“

Die Idee wächst: Wenn die Gäste nicht ins Rathaus kommen können, kommt das Rathaus eben zu ihnen. Ein digitaler Neujahrsempfang – live und in Farbe mit Grußworten, OB-Rede, einer Talkrunde und eingespielten Clips. Die Gästeliste wie eh und je – „die üblichen Verdächtigen“, fasst es Kristin Dormann zusammen. „Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Kultur und Vereinsleben.“ Insgesamt 450 Einladungen werden verschickt - inklusive kleiner Geschenkbox und entsprechendem Internetlink.

Eine Woche vor dem Termin gehen die Vorbereitungen los. „Wir haben die Einspieler gefilmt“, blickt Legler zurück. Allesamt Grußbotschaften von den Tochterunternehmen der Stadt und von Wirtschaftsakteuren wie Nils Appelt und Brockenwirt Daniel Steinhoff. „Das Schwierigste daran war, das Material auf Länge zu schneiden. Die haben alle so viel Gutes erzählt.“

Am Montag dann verwandelt sich der Rathaussaal in ein richtiges Fernsehstudio mit Kameras, Beleuchtung, Mikrofonen, etlichen Monitoren, unzähligen Kabeln – eben allem, was dazu gehört. Nachmittags stehen Musiker des Philharmonischen Kammerorchesters vor der Kamera. Denn zu einem Neujahrempfang gehört musikalische Begleitung – in diesem Jahr aber nur als Einspieler.

Kurz vor der Live-Sendung am Dienstagabend herrscht höchste Konzentration bei den Technikern von Studio D4 und dem Mediennetzwerk Harz. „Eine gewisse Grundnervosität ist immer dabei, wenn man live auf Sendung geht“, sagt Christian Legler. „Aber dann sind alle doppelt konzentriert.“

Der Einstieg um Punkt 18 Uhr gelingt. Stadtratspräsident Uwe-Friedrich Albrecht (CDU) tritt vors Mikro. „Ein Jahr wie 2021 braucht einen Auftakt wie diesen“, schwört er sein virtuelles Publikum ein. „Wir müssen weiter durchhalten.“ Sein Dank geht an alle, die „unermüdlich dafür arbeiten, dass Wernigerode gut durch die Krise kommt“. Nach seinem Grußwort freut sich Albrecht über die vielen Nachrichten, die ihn erreichen. „150 WhatsApps – sonst habe ich bei Neujahrsempfängen nie Nachrichten bekommen.“ Aufgeregt sei er nicht gewesen, schmunzelt er. „Aber ich hatte immer das Bild von Zuschauern in Jogginghosen vor Augen.“

Eine Hiobsbotschaft erreicht die Gäste. OB Gaffert ist überraschend erkrankt. Sein Vize Burkhard Rudo muss für ihn einspringen. Der nimmt die unverhoffte Ehre, beim Neujahrsempfang sprechen zu dürfen, ganz gelassen. „Ich habe die Rede erst heute zusammengeschrieben“, verrät er hinter den Kulissen. „In so einer Situation muss man improvisieren. Aber es macht Spaß.“

Zuerst verliest Rudo eine Botschaft von Gaffert. Der Empfang sei für ihn eine Herzensangelegenheit, gehöre zu den schönsten und wichtigsten Veranstaltungen der Stadt, so der OB. „Ich schaue mit Zuversicht nach vorne, denn ich weiß, dass Menschen wie Sie helfen werden, dass unsere Stadt nach dieser eher dunklen Zeit wieder leuchten wird.“ Rudo selbst richtet seinen Blick auf all das, was 2021 angepackt werden soll. Bauvorhaben für sieben Millionen Euro, der 900. Jahrestag von Wernigerodes erster urkundlicher Erwähnung. „Die Stadt bleibt nicht stehen“, betont er.

Wirtschaftsmininster Armin Willingmann (SPD) beglückwünscht die Stadt zu ihrem Mut, den Neujahrsempfang ins digitale Zeitalter zu heben. Gleichzeitig will er den von der Corona-Krise betroffenen Unternehmern und Händlern ein bisschen Hoffnung geben. „Wir wissen nicht genau, wann der Lockdown aufgehoben wird. Aber ich bin überzeugt, dass wir es in den nächsten Wochen hinkriegen“, so der Minister. „Die Wirtschaft wird wieder einen Rahmen bekommen. Darauf dürfen Sie sich verlassen.“

Die Talkrunde danach kommt kurzweilig daher. Heimlicher Star ist der erst 22-jährige Student Johannes Domsgen, der unter anderem schildert, wie sich sein Studienalltag wegen der Corona-Krise verändert hat.

Nach 90 Minuten ist die Live-Sendung vorbei. Erleichterung macht sich breit – auch bei Kristin Dormann vom OB-Büro. „Wir sind alle super zufrieden“, so ihr Fazit. Zu Spitzenzeiten hätten 180 Zuschauer das Programm verfolgt. „Das hat unsere Erwartungen übertroffen.“ Ihr Dank gehe an alle Mitwirkenden und vor allem an die Sponsoren, die dafür gesorgt hätten, dass das geplante Budget für den Empfang – zehn Euro pro Gast – nicht überzogen werden musste.