Mit dem Hubschrauber über Abbenrode Nur fliegen ist schöner - 91-Jährige erfüllt sich ihren Lebenstraum
Es gibt Menschen, denen wird beim Überqueren einer Brücke schwindlig, erst recht beim Fliegen. Davon kann bei der Wernigeröderin Lieselotte Faulbaum keine Rede sein. Die 91-Jährige erfüllte sich kürzlich ihren Lebenstraum. Sie drehte mit dem Helikopter von Jürgen Friehe ein paar Runden über Abbenrode und den Nordharz.
Abbenrode/Wernigerode. 220 km/h schnell und knapp 200 Meter hoch. Die Wernige-röderin Lieselotte Faulbaum wird in Abbenrode zur wahren Überfliegerin. Und das mit 91 Lenzen! Wer bis dahin niemals in einem Flugzeug, geschweige denn je in einem Hubschrauber gesessen hat, lässt üblicherweise für immer die Finger davon. Lieselotte Faulbaum ist anders, jedenfalls unerschrocken. Aufregung vor dem Start? Fehlanzeige. Eher schon sichtliche Vorfreude. Immerhin hat sie "beinahe neun Jahrzehnte" auf so eine Gelegenheit warten müssen. Und als diese sich nicht von selbst ergibt, hilft "die Frau aus Wernigerodes Schmiede" in der Breiten Straße einfach selbst nach.
Sie ist die zweitälteste Passagierin, die der Abbenröder Jürgen Friehe mit seinem Helikopter je geflogen hat. Den Rekord hält nach wie vor unangefochten dessen eigene Großmutter. Sie war schon 93, als sie neben ihrem Enkel unter den Rotorblättern Platz nahm. Dementsprechend herzlich fällt die Begrüßung Friehes vor dem Start aus. Mit im Tross, der die hochbetagte Dame zum Startplatz begleitet, ist erstaunlicherweise ihre Friseurin. Womit eigentlich hatte die 91-Jährige auf ihrem Jungfernflug noch so alles gerechnet?
Besagte Schmiede ist 102 Jahre im Besitz der Faulbaums. Die rüstige Veteranin mit dem "Faible fürs Luftige" wohnt dort seit 1946, dem Jahr ihrer Hochzeit mit dem Schmiedemeister: "Ich hatte später sechs Männer zu versorgen: Schwiegervater, Vater, Mann und drei Jungen. Die sind alle nicht zimperlich mit mir umgegangen, aber ich lebe ja immer noch!"
"Nie geflogen, aber dreimal das Bein gebrochen"
Auf Nachfrage der Harzer Volksstimme schwört sie, niemals in ihrem bisherigen Leben geflogen zu sein, und ergänzt: "Aber ich habe mir insgesamt dreimal das Bein gebrochen!" Diese Unerschrockenheit scheint auch den Heli-Piloten Jürgen Friehe zu faszinieren. Und all ihre Begleiter gleich mit.
Zu Hause erzählt Abbenrodes Überfliegerin kein Wort von ihrem Vorhaben. Weder der Sohn, noch der Enkel haben die leiseste Ahnung von ihrem verwegenen Abenteuer: "Ich hatte gedacht, ich kriege so einen Rundflug schon mal zum 90. Geburtstag. War aber nichts. Da habe ich mir diesen eben selbst geschenkt. Ich habe in der Volksstimme gelesen, dass in Abbenrode so etwas zum Ortsjubiläum möglich ist." Davon erzählt sie ihrer Friseurin, die sofort alles Organisatorische regelt.
Dass der Rundflug ausgerechnet in Abbenrode möglich wird, hat für die Wernigeröderin aber auch noch in ganz anderer Hinsicht eine große Bedeutung. Stammte doch ihr Urgroßvater, Spediteur Ernst Faulbaum, von dort. Als Kind spielte sie in Abbenrode bereits mit ihrem späteren Mann im Sandkasten. Andere familiäre Wurzeln hat die 91-Jährige "an der Schänke in Silstedt", die nun aber wegen Baufälligkeit abgerissen werden soll.
Lieselotte Faulbaum wurde in Schlesien geboren. Das aber eher "zufällig", weil der Vater seine hochschwangere Ehefrau seinerzeit mit auf Dienstreise nahm. Getauft wurde sie im Magdeburger Dom. Lange Zeit lebte sie später in Jena, wo sie auch auf die höhere Mädchenschule ging. Ihr gesamtes Leben war maßgeblich vom Lesen bestimmt. Kein Wunder, arbeitete sie doch in der Thüringischen Landesstelle für Büchereiwesen.
"Fliegen war schon immer mein Wunsch, aber ich konnte ja nie weg", sagt Lieselotte Faulbaum rückblickend: "Wenn wir wirklich mal einen Ferienplatz hatten und ich hatte auch mit gebucht, konnte ich letztlich nie mit. Ich hatte stets meine Angehörigen zu pflegen oder das Viehzeug zu versorgen." 1987 starb ihr Mann. Bis dahin verlebte sie nie einen gemeinsamen Urlaub mit ihm. Venedig, Österreich und Dänemark: überallhin fuhr sie seit der Wende ausschließlich mit dem Bus.
"Der Flug jedenfalls war wunderschön. Es war alles so leicht! So leicht ist mir noch nie gewesen, wie eben da im Hubschrauber! Wirklich wunderschön."
Am selben Morgen ihres "Aus-Flugs" habe sie noch keinerlei Vorstellung gehabt, wie das nun eigentlich wird - was da wirklich auf sie zukommt. Auf die Frage, wann sie denn das nächste Mal zu fliegen gedenkt: "Ich soll Herrn Friehe nur anrufen, wenn ich Lust habe. Ich glaube nicht, dass er darauf noch sehr lange warten muss."