Seltenes Handwerk Sattlerkunst lebt im Güterbahnhof weiter
Cowboys und Western-Ladys schwören auf Jürgen Meinecke. Er fertigt Hosen und kunstvoll verzierte Gürtel in seiner Werkstatt in Hasselfelde.
Hasselfelde l Bäcker, Konditor, Brauer, Mälzer oder Sattler: Vor dieser Wahl stand der jugendliche Jürgen Meinecke, der aufgrund einer Hörschädigung nur diese Berufe für sich in Betracht ziehen konnte. „Ich habe eine Woche bei einer Sattlerei in Neundorf Probe gearbeitet und wusste sofort, dass ich das lernen will“, blickt der heute 55-Jährige zurück. Er steht in seiner Werkstatt in Hasselfelde. Ordentlich sortiert hängt das Werkzeug an der Wand. Schmuckstücke aus Leder wie Handtaschen, Hosen und Gürtel liegen auf den Arbeitsflächen. In einem digitalen Bilderrahmen laufen gut 250 Fotos mit Arbeitsproben, die Meinecke in den letzten Jahren gefertigt hat.
Er gehört zu einer aussterbenden Spezies, denn richtige Sattler, die aus Leder Holster, Taschen, Würfelbecher und Patronengürtel fertigen, sucht man in der Region vergebens. Als er vor vielen Jahren in seiner Heimat bei Staßfurt den Entschluss fasste, Sattler zu werden, spielte auch die DDR-Mangelwirtschaft eine Rolle. „Für mich als junger Mann war es verlockend, Moped-Sitzbänke und Lederhosen selbst zu nähen“, sagt er. Während es damals bis zu 14 Auszubildende gab, ist Sattler heute ein exotischer Beruf. „Und so vielseitig“, schwärmt er. „Ich versuche mich, in jeden Kunden reinzudenken.“ Vor allem Hobbyisten kämen zu ihm, sagt er. Die Gruppen aus Düsseldorf, Berlin, Köln und Hamburg setzen auf sein Talent. Die Kontakte bestehen aus seiner Zeit in Pullman City. In der Hasselfelder Westernstadt hatte er bis 2011 seine Werkstatt, musste jedoch aus gesundheitlichen Gründen die Arbeit dort aufgeben.
Eine Verletzung, die er sich beim Verladen von kaputten Hüpfburgen nach der Wende zugezogen hatte, bereitet Meinecke, der 1991 seinen Meister machte, bis heute Kummer. Damals flickte Jürgen Meinecke nicht nur für Freizeitparks: Er nähte auch ganze Karusseldächer, Boots- und sogar Panzerplanen. Unter anderem war er für den Kulturpark Berlin tätig. Auch Autositze, Köcher für Fleischer und Grillschürzen gehören zum Portfolio. „Die Hüpfburgen kamen desolat aus dem Westen in die neuen Bundesländer und wurden von uns wieder repariert“, erinnert er sich.
Den Daumen der linken Hand kann Jürgen Meinecke seit dem Unfall beim Verladen einer jener Hüpfburgen nicht mehr bewegen. Dennoch ist er fest entschlossen, sein Handwerk weiter zu betreiben und hat eigene Strategien entwickelt. „Ich brauche zwar etwas länger als jemand mit zwei gesunden Händen, aber die meisten meiner Kunden sind bereit, das in Kauf zu nehmen“, sagt er. Sein Meisterstück – Pferdegeschirre für eine gesamte Garde an Zirkuspferden – würde er aufgrund dieser Behinderung zwar nicht mehr ohne Weiteres nähen – aber Würfelbecher, Handtaschen, Gürtel und Hosen fertigt der Sattler nach wie vor mit viel Sorgfalt und Liebe zum Detail.