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Verkehr Farbe am Ende des Tunnels

Der Bahnhofstunnel in Wernigerode (Landkreis Harz) ist fast nicht wiederzuerkennen. Ein junger Graffitikünstler besprüht die Wände.

Von Ivonne Sielaff 10.08.2020, 01:01

Wernigerode l Es riecht nach Farbe. Ein eher ungewohnter Geruch im Bahnhofstunnel von Wernigerode. Die Wände der Unterführung sind frisch gestrichen - wobei das eine ziemliche Untertreibung ist. Auf den ehemals kahlen Wänden sind Wernigeröder und Harzer Sehenswürdigkeiten verewigt: das Schloss, das Rathaus, der Brocken, die Schierker Arena - sogar ein Hirsch lässt sich bei näherer Betrachtung entdecken. Bahnreisenden, die zum ersten Mal nach Wernigerode kommen, geben die riesigen „Postkarten“ eine Vorstellung davon, was sie in der bunten Stadt erwartet.

Chezwin Benson heißt der junge Künstler, der den Tunnel im Auftrag der Deutschen Bahn verschönert. Und das nicht etwa Pinselstrich für Pinselstrich, sondern freihändig mit der Sprühdose. Die ersten Entwürfe für die Harzmotive seien zu Hause entstanden.

Dabei ist der 27-Jährige gar kein Harzer. Weit gefehlt. Er stammt aus Südafrika, wuchs dort auf, studierte Design und Studio Art. Dann verschlug es ihn in den Harz. „Schuld“ war die Liebe. Ehefrau Petra studierte Tourismus-Management an der Hochschule Harz. Zwei Jahren lang lebten die beiden zusammen in Wernigerode. Letzten Herbst sind sie in Petras Heimat nach Schleswig-Holstein gezogen.

Die Arbeit im Tunnel sieht Chezwin Benson als Chance - und als Möglichkeit, weitere künstlerische Spuren in Wernigerode, seiner alten Heimat auf Zeit, zu hinterlassen. Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass der Südafrikaner hier mit seiner Kunst auf sich aufmerksam macht. So verschönerte er bereits eine beschmierte Außenwand der Tierarztpraxis im Stadtfeld. Auch die Wand mit Harzmotiven an den Bahngleisen in Hasserode geht auf sein Konto.

Für Aufmerksamkeit sorgt er auch im Bahnhofstunnel. „Es ist wie eine offene Ausstellung“, sagt Chezwin Benson. „Die Leute sind nett, sprechen mich an.“ Einige würde ihm Kaffee bringen. Eine ältere Dame habe ihm sogar Weintrauben und einen Apfel geschenkt. „Ich glaube, viele freuen sich, dass sich hier im Tunnel endlich etwas tut.“

Die Bahnhofsunterführung galt lange Zeit als eines der Sorgenkinder der Stadt. Schmierereien an den Wänden, Schmutz und Gestank. Es gab gar Leute, die hier ihre Notdurft verrichteten. Kühl und uneinladend wirkte der Tunnel - für Reisende wahrlich kein guter erster Eindruck von der sonst so adretten Touristenstadt.

Das soll nun aber nach Vorstellung der Deutschen Bahn (DB) der Vergangenheit angehören. Die Verschönerung der Unterführung ist Bestandteil des Projektes „Zukunftsbahnhof“. Was es damit auf sich hat? Der Bahnhof Wernigerode ist einer von 16 ausgewählten Zukunftsbahnhöfen, erläutert eine DB-Sprecherin auf Volksstimme-Nachfrage. Ziel sei es, die Bahnhöfe durch neue Angebote und mehr Service zu angenehmeren Aufenthaltsorten zu machen. Dazu gehöre in Wernigerode eben auch der Tunnel. Die regionalen Motive würden nicht nur den Harz präsentieren. Man erhoffe sich davon gleichzeitig einen deutlichen Rückgang von Vandalismus und illegalen Graffiti.

Zudem soll den Bahnreisenden voraussichtlich ab Mitte August eine Art digitale Touristeninformation zur Verfügung stehen, die Auskunft über Sehenswürdigkeiten und den Nahverkehr gibt. Bis Ende des Jahres soll der Bahnhof mit WLAN ausgestattet sein.

Eine weitere geplante Neuerung innerhalb des Projektes „Zukunftsbahnhof“ ist der Neubau einer Toilettenanlage. Aktuell laufe die Vergabe der Bauleistungen, informiert die DB-Sprecherin weiter. Im Herbst seien die Toiletten dann nutzbar. Zudem werden die Schließfächer bis zum Herbst mit einer Folierung optisch aufgewertet. Neue Schließfächer seien für 2021 geplant. Insgesamt investiere die DB etwa 400 000 Euro in den Zukunftsbahnhof Wernigerode.

Chezwin Bensons Werk steht indes kurz vor der Vollendung. „Ich bin in den letzten Tagen gut voran gekommen“, schätzt der Künstler ein. Noch etwa eine Woche, dann sei auch der letzte kahle Fleck im Tunnel verschwunden. Sorge bereitet ihm die unfreiwillige Nachbarschaft zu einigen Jugendlichen, die die Unterführung als Treffpunkt nutzen und laute Musik hören. Aber nicht nur das. „Sie stehlen meine Graffiti-Utensilien, wenn ich mal Pause mache und kurz nicht da bin“, sagt Benson. Schon mehrfach hätten sie Klebemarkierungen abgerissen. Dazu kommt, dass sich einige auf der frischbesprühten Wänden schon wieder mit Schmierereien verewigt hätten. „Das ist nicht schön.“

Dem will Chezwin Benson aber entgegenwirken. „Wenn ich fertig bin, kommt über alles ein Schutzlack. Wenn jemand drübermalt, lässt sich das einfach wieder abwaschen.“Kommentar