Gesundheit Was Harzer Ärzte von virtuellen Sprechstunden halten
In der Pandemie zum Arzt gehen? Manche scheuen sich aus Angst vor Ansteckung, eine Praxis aufzusuchen – Untersuchungen aufzuschieben sei aber riskant, warnen Ärzte. Können Videosprechstunden helfen? Ja, unter bestimmten Voraussetzungen, sagen Harzer Mediziner.

Silstedt/Derenburg - Maske tragen, Abstand halten, Hygieneregeln beachten: Das Coronavirus hat großen Einfluss auf unseren Alltag. Überall gelten – trotz derzeit sinkender Infektionszahlen - strenge Vorschriften, um das Ansteckungsrisiko zu senken. Ein Besuch beim Hausarzt lässt bei vielen Patienten die Panik vor einer Infektion aufflammen. Wäre es da nicht sinnvoll, den Arzt bequem von zu Hause aus per Videochat zu kontaktieren?
Ganz so einfach, wie es klingt, ist es mit dem Online-Arztbesuch aber nicht, sagt Henrik Straub, Hausarzt in Silstedt und Derenburg. Durch die Coronaregeln des Bundes stünde es Ärzten relativ frei, Videosprechstunden anzubieten, sagt der Kreisstellensprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA). Das nutzt Dr. Christian Müller, Hausarzt in Benzingerode: Seit vergangenem Jahr bietet er virtuelle Sprechstunden an.
Zunächst gebe aber eine Reihe technischer Hürden, die es zu überwinden gilt. Die Patienten sollten einen Bildschirm sowie eine qualitativ gute Kamera zur Verfügung haben. Außerdem müssten nicht nur Mikrofon und Lautsprecher der Patienten klar und deutlich funktionieren, sondern auch die des Arztes.
Schnelles Internet ist notwendig
Dann kommt die Qualität der Internetverbindung ins Spiel: Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt empfiehlt eine Bandbreite von mindestens 2000 Kilobits pro Sekunde (kBit/s) für den Download. Auch Hendrik Straub weist auf die nötigen Internet-Voraussetzungen hin. „Eine vollständige 5G-Abdeckung wäre ideal.“ Bei einer stockenden Bildübertragung durch eine schlechte Internetverbindung gestalte sich die Kommunikation zwischen Arzt und Patient schwierig. Technische Affinität sei bei älteren Patienten seltener gegeben als bei den Jüngeren, da Erstere nicht mit dem Computer aufgewachsen seien. Für die Benutzung eines solchen Angebotes sei aber technisches Verständnis wichtig, so Straub.
Außerdem gebe es einige Rahmenbedingungen für Ärzte: Mediziner in Deutschland könnten nicht ausschließlich Videosprechstunden anbieten: Persönliche Sprechstunden seien weiterhin notwendig. Die KVSA verlange zudem von den Ärzten, nur zertifizierte Videodienstanbieter zu nutzen. Es gäbe sowohl kostenlose als auch kostenpflichtige Angebote für Hausärzte, weiß Henrik Straub.
Bei einem kommerziellen Anbieter müsse der Arzt eine Sprechstundenzeit kaufen, welche dann für die Videosprechstunde verwendet werden kann. Auf Dauer könnten Videosprechstunden unwirtschaftlich werden, gibt er zu bedenken. Diese Bedenken teilt sein Kollege Christian Müller.
Online-Termin auf Zeit
Hinzu kommt: „Ein Arzttermin ist zeitlich nicht genau planbar“, betont Straub. Das Problem: Ist die beim Anbieter gekaufte Zeit abgelaufen, werde der Videotermin automatisch beendet. Möglicherweise ist dann aber der Austausch zwischen Arzt und Patient noch gar nicht abgeschlossen. Ein Online-Arzttermin laufe nach Angaben der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wie folgt ab: Man bekomme von der Arztpraxis einen Termin sowie eine Internetadresse und einen Zahlencode zum Einwählen in die Sprechstunde zugewiesen. Eine Einwilligung zur Nutzung der Daten über den Videodienst werde entweder beim Hausarzt oder bei der Einwahl in den Dienst fällig.
Kurz vor dem geplanten Termin logge man sich auf der Internetseite mit Hilfe des Codes ein. Nach einem schnellen technischen Test werde man vom Arzt aus dem virtuellen Wartezimmer in den Behandlungsraum geleitet, und die Sprechstunde könne beginnen. „Man hat allerdings nicht dieselben Möglichkeiten wie bei einer herkömmlichen Sprechstunde“, gibt Straub zu bedenken.
Praktisch gesehen sei er als Arzt auf dem Land auf seine sieben Sinne angewiesen, erläutert er. Bei einem Online-Termin könne man diese aber nicht vollständig ausnutzen: Schmerzende Stellen der Patienten könnten beispielsweise nicht abgetastet oder der Brustkorb nicht mit einem Stethoskop abgehorcht werden.
Hindernisse bei der Diagnose
Die Belichtung während des Videotermins spiele außerdem eine entscheidende Rolle. Wenn schlechte Lichtverhältnisse herrschen, sind beispielsweise Rötungen im Hals oder Veränderungen der Haut schlecht zu erkennen. Die Möglichkeit der Steuerung durch den Arzt fehle außerdem, sagt er. Solle ein Körperteil begutachtet werden, um eine Diagnose zu stellen, müssen möglicherweise mehrere Perspektiven vom Patienten gefilmt werden – praktisch nicht immer problemlos umsetzbar, so der Mediziner.
Das Internet sei außerdem nicht ganz ohne Einfluss. „Die fachfremde Intelligenz des Netzes kann gefährlich sein“, sagt er. Gerade übersensible Patienten könnten durch die Beantwortung von Gesundheitsfragen durch das Internet verängstigt werden. „Das wird ein Problem werden und sich auch auf Videosprechstunden auswirken“, befürchtet der 54-Jährige.
Christian Müller nutzt die Möglichkeit der Videosprechstunde in seiner Hausarztpraxis bereits regelmäßig. Seit Beginn der Pandemie sei das digitale Angebot Bestandteil seiner Arbeit: Fünf bis acht Videosprechstunden in der Woche halte er ab, so Müller. Vor allem für Patienten, die an Covid-19 erkrankt seien, sei die digitale Sprechstunde praktisch, um regelmäßig ihren Gesundheitszustand kontrollieren zu lassen. Außerdem sei das Angebot in Zeiten der Pandemie eine große Beruhigung für Patienten: Man müsse für Besprechungen, Befunde oder Unsicherheiten und Rückfragen nicht unbedingt unter Corona-Bedingungen in die Praxis, informiert der 55-Jährige.
Zusatzangebot für den Ersteindruck
Als Arzt könne man sich außerdem per Videosprechstunde einen Ersteindruck über den Gesundheitszustand des Patienten verschaffen, um anschließend zu entscheiden, ob ein persönlicher Besuch in der Praxis nötig sei. Dennoch sagt auch er: „Ich nutze die Videosprechstunde als Zusatzangebot.“
Der Großteil seiner Patienten, die eine Videosprechstunde in Anspruch nehmen würden, sei zwischen 20 und 45 Jahren alt. Allerdings sei auch die ältere Generation nicht abgeneigt: 84 Jahre ist die älteste Patientin gewesen, die über ihr Smartphone mit ihm kommunizierte, berichtet Müller.
Für Henrik Straub ist klar: Herkömmliche Sprechstunden sind nicht vollständig durch Videositzungen ersetzbar, zumindest im Moment nicht. Kollege Christian Müller teilt diese Meinung: „Es ist eine Bereicherung und hat definitiv Zukunft, kann aber nicht die gesamte reguläre Sprechstunde ersetzen.“ Das Ganze sei aber ein lernender Prozess, so Straub. Als zusätzliches Angebot neben den herkömmlichen Sprechstunden könne er sich Videosprechstunden ebenfalls vorstellen, in Kombination mit regelmäßigen persönlichen Terminen – und bei leichten Erkrankungen. Bei ernsthaften Krankheiten stehe aber fest: Ein Besuch beim Arzt sei unabdingbar.