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Wernigerode Dorff zieht die Notbremse

Rüdiger Dorff, von Wernigerodes OB Peter Gaffert (parteilos) als Vize ins Spiel gebracht, steht für die Aufgabe nicht mehr bereit.

Von Dennis Lotzmann 09.12.2020, 00:01

Wernigerode l Der Wernigeröder Oberbürgermeister Peter Gaffert hat ein neues Problem: Die Personalie Dorff ist – nicht gänzlich überraschend – geplatzt. Am  Dienstag (8. Dezember), und damit gut zwei Tage vor der entscheidenden Stadtratssitzung am Donnerstag, hat Rüdiger Dorff, Dezernent für Bürgerservice im Wernigeröder Rathaus, die Notbremse gezogen und Gaffert bei dessen Suche nach einem Stellvertreter einen Korb gegeben. Der 49-Jährige reagiert damit auf die massive Kritik, die seit dem Bekanntwerden von Gafferts Plänen aufgekommen war. Er wolle, so Dorff, damit auch seine Familie schützen.

Er habe die Diskussion um seine Person, die „selbstverständlich legitim“ sei, verfolgt, so Dorff in einer Mitteilung an die Volksstimme. „Tatsächlich betrachte ich die Entwicklung in Sachsen-Anhalt, Deutschland, Europa und der Welt mit Sorge, dass Meinungen in Trump‘scher Manier sich immer unversöhnlicher gegenüberstehen und Gewalt zunimmt. Dem möchte ich durch meine Bereitschaft, die mir angetragene Vertreterposition des Oberbürgermeisters anzunehmen, keinen Vorschub leisten“, so Dorff.

Dreh- und Angelpunkt von Dorffs Entscheidung ist die Auseinandersetzung mit dessen jüngerer Vergangenheit, die die Volksstimme mit Blick auf die Personalie erneut thematisiert hatte. Der 1971 geborene Dorff war bis Ende der 1990er Jahre beim Freibund, einer Gruppierung, die am rechten Rand unterwegs ist, aktiv.

Der heutige Dezernatschef hat das bereits ziemlich genau vor vier Jahren auf Anfrage gegenüber der Volksstimme bestätigt: „Ja, ich war etwa von Ende der 1980er bis Ende der 1990er Jahre beim Freibund“, so Dorff Ende 2016. Damals stellte sich mit dem Ausscheiden von Vize Andreas Heinrich aus der Verwaltung die Frage des Nachfolgers. Dorff wurde als Kandidat gehandelt, kam aber wohl wegen seiner Vergangenheit nicht zum Zuge, sondern zunächst Volker Friedrich und anschließend Burkhard Rudo. Letzterer geht Ende April 2021 in Pension, sodass Gaffert wieder einen Nachfolger braucht.

Was dem parteilosen Verwaltungschef mehrere Probleme beschert: Neben Dorff und dem scheidenden Rudo agiert aktuell kein weiterer Dezernent im Rathaus. Christian Fischer lässt seinen Dezernentenposten ruhen, weil er bis mindestens 2022 als Geschäftsführer bei den Harzer Verkehrsbetrieben aushilft. Folglich hat Gaffert beim Vize nun nur die Wahl zwischen dem umstrittenen Dorff und dem Nachfolger von Rudo.

Letzterer soll ab Mai 2021 als Dezernent starten. Im Gespräch ist hier nach Recherchen der Volksstimme Immo Kramer, aktuell Amtsleiter für Investitionen und Bauen in der Kreisverwaltung. Kramer, der sich gestern auf Anfrage nicht äußern wollte, gilt als Gafferts Wunschkandidat, muss aber zunächst im Stadtrat bestätigt werden. Unterstellt, er bekommt dort die nötige Zustimmung, wäre es wohl ambitioniert, ihn sofort zum Vize-OB zu schlagen.

Daher, hatte Gaffert jüngst seine personelle Zwickmühle deutlich gemacht, habe er nur Dorff als Vize-Anwärter. Andernfalls müsste er einen Amtsleiter zum Vize schlagen, was einen gewichtigen Schönheitsfehler hätte: Der Amtsleiter stünde bei Gafferts Abwesenheit über dem Dezernenten.

Eine Konstellation, die nun mit Dorffs Absage wieder in Sichtweite rückt. Dorff selbst zog mit Blick auf die Diskussion um seine Person zurück. Klar ist: Dorff war seinerzeit beim Freibund nicht irgendwer, sondern mehrere Jahre Bundesführer, also auch an dessen Spitze aktiv. Dorff nimmt für sich in Anspruch, in dieser Funktion dazu beigetragen zu haben, dass sich der Freibund von extremen Ansichten distanziert habe.

Der Freibund ist jedoch nicht die einzige Gruppierung, in der sich Dorff engagierte. Er war in der Vergangenheit auch bei der Deutschen Gildenschaft aktiv. Auch darüber hatte die Volksstimme schon 2016 berichtet. Und auch hier nicht als bloßer Mitläufer, sondern an prägnanter Stelle, wie Dorff nun gegenüber der taz bestätigt hat. Er habe 2016 als Vertreter der „Deutschen Hochschulgilde Theodor Storm zu Kiel“ beim 32. Bundestag der Gildenschaft mit auf dem Podium gesessen. Für ein Statement dazu war Dorff trotz mehrfacher Versuche der Volksstimme am Dienstag nicht zu erreichen.

Auch wegen seiner Verbindung zur Deutschen Gildenschaft war in den vergangenen Tagen an der Personalie Dorff immer mehr Kritik laut geworden. Nach der Berichterstattung der Volksstimme und später der taz wurde in etlichen Chatgruppen und auf Facebook heftig diskutiert. Immer wieder fielen die Worte „Wernigerode“ und „rechts“. Auf Facebook wurde sogar zu Protestaktionen vor der morgigen Stadtratssitzung aufgerufen.

Die Kritik überrascht nicht. Die Deutsche Gildenschaft, ein „akademischer Bund jugendbewegter Prägung“, wie es auf der Website der Gildenschaft heißt, gilt wegen ihrer völkischen Tendenzen bei Rechtsextremismus-Experten als umstritten. Als verfassungswidrig eingestuft ist sie allerdings nicht. Zumindest findet sich im aktuellen Verfassungsschutzbericht für 2019 keinerlei Hinweis auf die Gruppierung.

Nicht einfach zusehen, sondern auch Protest äußern, wollten auch Joyce Eva Rieger und Johannes Festerling. In einem offenen Brief wandten sie sich an OB Gaffert, die Stadträte und die Wernigeröder Einwohner. „Es wäre ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich für eine offene Gesellschaft in Wernigerode einsetzen, eine Person mit rechtsextremem Hintergrund in einem derart wichtigen Amt zu sehen“, heißt es in dem Schreiben, das der Volksstimme vorliegt. Am Montagabend starteten die beiden zudem eine Online-Petition, um Dorff als Vize-OB zu verhindern.

„Wir sind beide in Wernigerode geboren, haben unsere Kindheit dort verbracht und sind unserer Heimatstadt nach wie vor eng verbunden, auch wenn wir sie aufgrund unseres Studiums verlassen mussten“, so Johannes Festerling auf die Frage nach seinen Beweggründen. „Die Aussicht, einen stellvertretenden Bürgermeister mit rechtsextremer Vergangenheit in Wernigerode zu haben, hat uns beide zutiefst erschüttert.“ Sie hätten es als ihre Pflicht angesehen, diesen Vorgang nicht unkommentiert zu lassen.

Dass sie mit ihrer Meinung nicht allein stehen, zeigt die Beteiligung an der Online-Petition. Bereits über Nacht hatten knapp 200 Sympathisanten unterschrieben. Bis zum Redaktionsschluss am Dienstagabend waren es knapp 400.

Was den Posten des Vize-OB angeht – der ist trotz Dorffs Rückzug erst einmal nicht vakant. „Der OB hat die Beschlussvorlage für den Stadtrat zurück- gezogen. Das bedeutet, es bleibt vorerst alles beim Alten“, sagt Rathaussprecherin Kristin Dormann auf Volksstimme-Nachfrage. Soll heißen, Burkhard Rudo vertritt Gaffert bis zu seinem Ausscheiden am 30. April 2021. Und danach? „Bis dahin haben wir ein gutes halbes Jahr Zeit, uns Gedanken zu machen, wie es weitergeht.“