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Bewegungsarmut im Lockdown Ergotherapie und Physiotherapie helfen in Wolmirstedt durch den Lockdown

Die Corona-Pandemie hat erhebliche Auswirkungen auf die Psyche und den Körper. Die Maßnahmen sorgen dafür, dass sich die Menschen weniger bewegen und Sport machen.

Von Gudrun Billowie Aktualisiert: 15.4.2021, 11:05

Wolmirstedt. Corona hat den Alltag verändert, hat das Arbeitsleben nach Hause, die Schulzeit teilweise vor den Bildschirm verlagert. Ergonomisch geformte Bürostühle wurden gegen Küchenstühle im Homeoffice eingetauscht, Kinder erleben Lehrergesichter hinter Masken oder halten nur per E-Mail Kontakt. Alte Menschen dürfen im Pflegeheim kaum besucht werden. All das geht nicht spurlos vorbei, die Auswirkungen spüren unter anderem Physiotherapeuten und Ergotherapeuten.

„Es kommen viel mehr Kinder“, sagt Ergotherapeutin Tabea Gasper. „Manchmal erleben aber auch die Eltern durch das Homeschooling, an welcher Stelle ihre Kinder Unterstützung brauchen, manchmal bemerken es die Lehrer, wenn die Kinder in die Schule zurückkehren.“ Dann erkennen die Lehrer, dass im Test zu wenig Punkte erreicht werden, weil das Schreibtempo fehlt oder sich nicht konzentrieren können. Tabea Gasper spürt die Ursache auf und hilft. Das kann heißen, sie zeigt Kindern, den Stift richtig zu halten oder trainiert die Wahrnehmung. „Manche Kinder erkennen beispielsweise nicht sofort, dass drei Becher auf dem Tisch stehen, sehen nur eine unbestimmte Menge.“ Ist derlei Wahrnehmung nicht ausgereift, bekommen die Kinder womöglich Schwierigkeiten in Mathematik.

Tabea Gasper schult die Motorik und bedient sich dabei vieler Handwerks- und Spieltechniken. Die Räume der Praxis sind mit Bällen, Bausteinen, Knete, Material zum Kobflechten, Seidenmalutensilien, einer Laubsäge und sogar einer Bohrmaschine ausgestattet. In der Therapie sorgt sie dafür, dass Kinder Farben und Formen begreifen, die Hände benutzen, im Alltag wieder besser zurechtkommen.

Doch die Corona-Maßnahmen beeinträchtigen auch das Leben der älteren Menschen. Demenzkranke, die in Heimen leben, bekommen weniger Besuch ihrer Angehörigen, dadurch fehlt Anregung. „Wenn es Angehörige, Pflegekräfte oder Mediziner bemerken, springen wir ein“, sagt Tabea Gasper, „wir üben Einkaufswege oder den Ablauf bei der morgendlichen Rasur.“

Lockdown mach Demenzkranken zu schaffen

Lockdown und Co. machen auch Menschen zu schaffen, die unter Depressionen leiden. „Wir helfen ihnen, den Tag zu strukturieren“, sagt Tabea Gasper, „manchmal motiviert es schon, einen Termin für die Ergotherapie zu haben.“ Für viele gibt es kaum andere Gründe, das Haus zu verlassen. Andere leben auf, wenn sie in der Ergotherapie handwerklich tätig werden.

Die Ergotherapie, in der Tabea Gasper arbeitet, ist neu und gehört zur Physiotherapiepraxis von Kevin Brentrop. Der behandelt seit 15 Jahren Patienten und er und seine sechs Mitarbeiterinnen nehmen ebenfalls Auswirkungen der Corona-Pandemie wahr, allerdings anders als Ergotherapeuten. „Eine Zeit lang haben wir bemerkt, das Operationen aufgeschoben wurden. Es kamen keine Patienten zur Nachsorge.“ Inzwischen hat sich das Blatt gewendet, die Operationen scheinen nachgeholt worden zu sein. „Zurzeit behandeln wir ganz viel im Schulterbereich.“

Dennoch fehlt ein wichtiger Zweig. Weil externe Dienstleister coronabedingt nicht in die Betriebe dürfen, können Physiotherapeuten dort auch keine Rückenschule anbieten, keine Massagen, kein Nordic Walking. Überhaupt seien Nordic-Walking-Kurse verboten, obwohl sie an der frischen Luft ausgeführt werden.

Dass Gruppen nicht zusammen kommen dürfen, spürt auch die Physiotherapeutin Susan Brasch. Sie hat für ihre Praxis gerade ein neues Haus an der Ecke Burgstraße/Damaschkestraße gebaut, unterm Dach Platz für Reha-Sportgruppen geschaffen. „Die Teilnehmer rufen an, aber wir dürfen nicht starten. Die Kursräume stehen leer.“

Vielen Menschen fehlt Sport, Dehnung, Bewegung

Wie wichtig Bewegung gerade in Corona-Zeiten dennoch ist, spürt Susan Brasch tagtäglich unter ihren Händen. „Vielen Patienten fehlt der Sport, weil die Sportgruppen fehlen, es fehlt überhaupt die Bewegung, die Dehnung.“ Auch die falsche Sitzhaltung im Homeoffice zu Hause am Küchentisch fordert irgendwann ihren Tribut. Physiotherapeuten wie sie haben derzeit gut zu tun.

Dennoch, sagt Susan Brasch, gebe es Raum für Akutpatienten. Das sind zumeist Pflegekräfte. „Es ist enorm, was sie leisten: Überstunden, Dauerschichten, weil ein Teil der Belegschaft in Quarantäne geschickt werden musste.“ Oft fordert der Rücken seinen Tribut. Dann versuchen Physiotherapeuten schnell zu stabilisieren, weil sie wissen, dass derzeit niemand auf Pflegekräfte verzichten kann.

Behinderte Kinder müssen tagtäglich üben

Gerda Hörnig plagen andere Sorgen. Die 72-Jährige betreibt ihre eigene Praxis im ehemaligen evangelischen Kindergarten seit genau 30 Jahren, arbeitet vor allem mit behinderten Kindern, mit Frühchen und Kaiserschnitt-Kinder. Tagtäglich kommen vier bis sechs Kinder. „Es ist oft schwierig, Kontakt aufzunehmen“, erzählt sie, „manche Kinder können nicht sehen, nicht hören.“ Jeder Fortschritt ist mühevoll erarbeitet, manchmal bleibt der Erfolg aus, Kinder bleiben entgegen anfänglicher Hoffnung im Rollstuhl. „Ganz wichtig ist, dass die Eltern mit dem Kind zu Hause weiter arbeiten“, sagt Gerda Hörnig, „einmal Physiotherapie in der Woche reicht nicht aus.“ Für die Eltern sei das eine harte Arbeit.

Auswirkungen durch Corona spürt sie weniger. Eine Zeit lang durfte sie nicht in die integrative Kita „Storchennest“, doch inzwischen ist ihr der Zutritt wieder erlaubt. „In der ersten Corona-Welle waren die Eltern zunächst verunsichert, Muttis hatten Angst, herzukommen.“ Doch das habe sich schnell reguliert. Als der Deutsche Verband der Physiotherapeuten um freie Termine gebeten hatte, damit Patienten der ausgefallenen Reha-Kuren auf die Praxen verteilt werden können, konnte sich Gerda Hörnig nicht beteiligen. „Die Muttis sind mit ihren Kindern schnell wieder gekommen.“

Hoffnung auf volle Kursräume

Gerda Hörnig ist Fachphysiotherapeutin für behinderte Kinder und möchte gern kürzertreten, doch noch gibt es niemanden, der ihre Arbeit fortführen will. „Es wäre so schön, wenn ich jungen Leuten noch einen Rat geben könnte.“ Aber noch ist niemand da.

Susan Brasch hofft, dass ihre Kursräume bald wieder voll sind. „Dann bieten wir auch Kindersport an und Yoga.“

Keven Brentrop hofft, dass sich Physio- und Ergotherapie gut ergänzen, dass vielen Menschen der Weg zurück in den Alltag erleichtert wird. „Und wenn das bedeutet, dass sich ein Schlaganfallpatient wieder allein die Schuhe zubinden kann.“