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Schule Kinder und das Nein-Gefühl

Kinder brauchen Schutz, auch vor sexueller Gewalt. Ein Projekt gibt es an der Gutenberg-Schule Wiolmirstedt.

Von Gudrun Billowie 11.07.2020, 01:01

Wolmirstedt l Oskar Fleckstein ist zehn Jahre alt. Der Gutenberg-Grundschüler ist jedesmal entsetzt, wenn er im Radio oder im Fernsehen von sexueller Gewalt an Kindern hört oder Krimis sieht, in denen Kinder in fremde Autos gezogen werden. „Das regt mich auf.“ Doch was kann er tun, wenn er selbst in so eine Situation gerät? Wie können sich Kinder wehren, wenn jemand ihre Grenzen übertritt? Damit beschäftigte sich das Projekt „Mein Körper gehört mir“.

Die Gutenbergschule hatte sich dafür Theaterpädagogen ins Boot geholt. Die spielten den Kindern Situationen vor, in die Kinder eigentlich nicht kommen sollten. Doch was, wenn doch? Zulassen? „Auf gar keinen Fall“, hat Lilli Pauls gelernt. Wichtig ist, laut Nein zu sagen, wegzulaufen, Hilfe zu holen.

„Wir wollen Kinder ermutigen, auf ihr Ja-Nein-Gefühl zu hören“, erklärt Schulsozialarbeiter Rico Lehmann, der das Projekt maßgeblich betreut, „Kinder sollen wissen, ihr Körper gehört nur ihnen selbst.“ Wie wichtig diese Präventionsarbeit ist, ergibt sich aus der Statistik. „Es heißt, in jeder Klasse gibt es ein bis zwei Kinder, die von sexueller Gewalt betroffen sind. Das Thema darf nicht unterschätzt werden.“

Es sind meist keine Fremden, auch Familienmitglieder missbrauchen das Vertrauen der Kinder. Es komme vor, dass die Grenzen zwischen Zärtlichkeit und Missbrauch verschwimmen. Rico Lehmann betont: „Kinder können sich auch gegen das Küsschen der Oma wehren.“

Die Zeichen zu erkennen, sei schwierig, weiß der Schulsozialarbeiter. „Anzeichen kann eine Verhaltendsänderung sein.“ Die bemerken zumeist die Klassenlehrer und fragen nach, denn es kann viele Gründe geben. „Manchmal ist gerade das Haustier gestorben“, hat Rico Lehmann erlebt, „oder ein naher Verwandter.“

Doch was, wenn es doch einen Missbrauch gibt? „Kinder können immer zu den Schulsozialarbeitern kommen“, sagt Rico Lehmann, „wir unterliegen der Schweigepflicht.“

Manches wiegt zu schwer, als das ein Schulsozialarbeiter damit allein umgehen könnte. „Bei Bedarf hole ich Hilfe von Experten“, sagt Rico Lehmann, „vermittle an Schulpsychologen zum Beispiel.“

Das Projekt „Mein Körper gehört mir“ wurde zuvor mit den Eltern besprochen und abgestimmt, sie waren involviert, lange, bevor die Theaterpädagogen in die Klassen kamen. Schulleiterin Doreen Haensch schätzt die Lebensnähe, die in den Szenen deutlich wird. „KInder müssen lernen, dass ihnen so etwas pasieren kann. Wir wollen ihnen den Mut geben sich zu wehren und auch darüber zu sprechen.“

Lilli und Oskar sind jeweils Klassensprecher ihrer Klassen und gut in der Lage, sich deutlich zu positionieren. Trotzdem hat ihnen das Projekt, vor allem die lebensnah gespielten Szenen, dabei geholfen, noch deutlicher auf ihr Bauchgefühl zu hören. Und zwar in jeder Situation.

Lilli Pauls hat die Sache mit dem Ja-Nein-Gefühl ihre Erfahrungswelt übertragen. „Ich habe das Ja-Nein-Gefühl vor einer Achterbahnfahrt“, erzählt sie, „ich weiß, wenn ich oben bin, kann ich nicht einfach aussteigen.“ Meist entscheidet sie sich trotzdem dafür und steigt in die Achterbahn. Auch, weil sie ihre Eltern bei sich weiß. „Danach war es nicht so schlimm.“

Sie würde sich jedoch nicht in jeder Situation für das Ja entscheiden. „Ich gehe mit niemandem mit, den ich nicht kenne oder dem ich nicht vertraue.“ Sie weiß außerdem, dass sie sich jederzeit Hilfe holen kann, setzt vor allem auf ihre Eltern.

Oskars hat das Nein-Gefühl ebenfalls in seine Welt übersetzt. Er sagt Nein zu all den leeren Flaschen, die Menschen einfach achtlos wegwerfen. „Wenn ich sowas sehe, habe ich ein Nein-Gefühl. Die kann man doch auch abgeben.“ Als er hingegen gesehen hat, wie Graffiti-Sprayer von der Polizei gefasst wurden, „da hatte ich ein Ja-Gefühl.“

Die Präventionsarbeit wird künftig Bestandteil jedes Schuljahres sein. „Schule hat neben dem Bildungs- auch einen Erziehungsauftrag“, ist Rico Lehmann überzeugt. Die dritten und vierten Klassen werden auch zukünftig mit Hilfe der Theaterpädagogen lernen, dass sie selbst über sich bestimmen. Die ersten und zweiten Klassen werden sich zunächst mit der großen Nein-Tonne beschäftigen.

„Das große Ziel ist es“, formuliert Rico lehmann, „dass die Kinder am Ende wissen, wie sie sich in unsicheren Situationen verhalten können und somit gestärkt durchs Leben gehen.“