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Naturschutz Storchenkinder tragen Ringe

Drei Glindenberger Jungstörche tragen seit Sonnabend Ringe. Die helfen, den Lebensweg der Adebare zu verfolgen.

Von Gudrun Billowie 05.07.2016, 01:01

Wolmirstedt l Der Korb der Hebebühne schiebt sich langsam hinauf zum Storchennest. Die Storcheneltern sind geflüchtet, kreisen über Glindenberg und schauen, was mit ihrem Nachwuchs passiert. Dem wird nichts geschehen. Peter Gottschalk ist Weißstorchbeauftragter des Jerichower Landes und will den Storchenjungen Ringe anlegen. Diese Ringe tragen eine Ringnummer, vergleichbar mit der Nummer eines Storchen-Personalausweises. Experten erfahren dadurch, wie alt Störche werden, wohin sie ziehen und wo sich die Jungen ansiedeln. „Das Storchenberingungsprogramm arbeitet länderübergreifend“, erklärt Peter Gottschalk. Alle europäischen Länder, in denen Störche leben, sind daran beteiligt.

Der Hebebühnenkorb erreicht das Nest, schwebt sachte gegen die Strohhalme, die struppig aus dem Geflecht herausragen. Auf der Plattform liegen drei Jungstörche, flach auf den Boden gepresst, so als wären sie tot. Nur der wache Blick verrät, dass es ihnen eigentlich blendend geht. „Das Totstellen gehört zu ihren Abwehrreaktionen“, erklärt Peter Gottschalk, „in dieser Haltung werden sie für Fressfeinde uninteressant.“ Peter Gottschalk legt drei Ringe auf den Nestrand und zieht das Bein des ersten Jungstorchs unter dem Gefieder hervor. Blitzschnell ist der Ring drumgeklipst, ebenso verfährt er bei den anderen beiden.

Die Storchenkinder bleiben ruhig. Peter Gottschalk schätzt ihr Alter auf etwa fünf Wochen. Die jungen Adebare sehen kräftig aus, das Federkleid erscheint in typischem Schwarz-Weiß. Dennoch: Sie sind noch nicht einmal halb so groß wie ihre Eltern und gleich hinterm Hals, dort wo bei Menschen der Nacken beginnt, plustern sich zarte, pusteweiche Storchenbaby-Flaumfedern. Die Schnäbel sind dunkel, das Rot erscheint erst später.

Peter Gottschalk lässt den Korb der Hebebühne herunterfahren und noch ehe sie auf dem Boden aufgesetzt ist, kehrt der erste Altstorch ins Nest zurück, reckt den Schnabel stolz in die Höhe, so als wolle er sagen, er und nur er sei der Herr dieses Nestes.

Nicht mehr lange, dann wird die Familie gen Süden fliegen. „Die meisten unserer Störche fliegen über die östliche Route“, erklärt Peter Gottschalk, also über Osteuropa bis nach Ost- und Südafrika. Die Westroute führt über Spanien nach West- und Zentralafrika.

Nicht immer kehren die Störche zurück. Auf dem Schornstein der Wolmirstedter Adler-Apotheke hat ein neuer Partner Platz genommen. Das erkennt Peter Gottschalk, als er von unten durch das Fernglas schaut und die Ringaufschrift studiert.„Der ist neu hier, stammt aus Tschechien“, erkennt der Weißstorchbeauftragte. Junge scheint es nicht zu geben. „Manchmal braucht es ein paar Jahre, bis sich neue Partner soweit akzeptieren, dass sie Nachwuchs bekommen.“ Anwohner Joachim Jänecke berichtet außerdem von heftigen Storchenkämpfen, die er im Frühjahr beobachtet hat und dass er sie später brüten gesehen habe.

Falk Höhne will sicher gehen. Der Storchenbeauftragte des Naturschutzbundes (Nabu) ist mit Peter Gottschalk unterwegs und will das Apotheker-Nest von oben anschauen. Möglich ist der Fund von faulen Eiern oder toten Storchenjungen. Doch oben angekommen sieht er ein blitzblankes, leeres Nest. Die Altstörche sind vor dem Besucher geflüchtet.

„Es ist ohnehin kein besonders gutes Storchenjahr“, erzählt Falk Höhne, „das Nahrungsangebot in der Region ist sehr begrenzt.“ Das liegt nicht nur am kalten Frühjahr, sondern auch daran, dass es viel zu wenig Flächen gibt, auf denen sich Storchnahrung tummeln kann. Adebare brauchen Frösche, vor allem aber Fluginsekten wie Heuschrecken. Getreidefelder helfen ihnen wenig, weil das Krabbelgetier zwischen den hohen Halmen nicht sichtbar ist. „Oft müssen Störche auf Wiesen neben den Straßenrändern ausweichen, das erhöht die Gefahr für Verkehrsunfälle.“ Falk Höhne wünscht sich für die Störche, dass es wieder mehr Raum für Wiesen gibt, dass der Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft gedrosselt wird. „Es gibt viel weniger Insekten als vor dreißig Jahren“, sagt er, das mache den Störchen die Futtersuche außerdem schwer.

Dennoch verbringen auf dem Schornstein der ehemaligen Fleischerei Esche an der Ohre nach vielen Jahren wieder einmal Störche den Sommer. Wie es in ihrem Nest aussieht, werden die beiden Storchenexperten vorerst nicht sehen. So hoch lässt sich die Hebebühne nicht ausfahren.