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Vollstreckung Wenn der Kuckuck droht...

Steuern, Abgaben, Gebühren - Bürger werden oft zur Kasse gebeten. Nicht jeder zahlt sofort. Wie kommt Wolmirstedt trotzdem an das Geld?

Von Gudrun Billowie 02.07.2020, 01:01

Wolmirstedt l Für Hunde ist die Hundesteuer fällig, für Grundstücke die Grundsteuer, für Gewerbe die Gewerbesteuer, weiterhin haben Bürger Garagen gepachtet, müssen Straßenausbaubeiträge zahlen oder Gebühren für die Kita. So mancher fängt sich fürs Falschparken ein Knöllchen. Wer jegliche Steuern, Gebühren und Abgaben schnell bezahlt, wird nie mit der Vollstreckungsabteilung des Rathauses in Berührung kommen. Doch die Mitarbeiterin hat gut zu tun.

Im vergangenen Jahr gab es in Wolmirstedt 828 Vollstreckungen. Das ist die Zahl all der Fälle, in denen Bürger Mahnfristen verstreichen lassen, auf kein Schreiben reagiert haben. Manche erlebten übers Jahr verteilt mehrere Vollstreckungen. Insgesamt wurde 2019 eine Summe von 147 628,51  Euro eingefordert. Was aber muss passieren, bis ein Vollstreckungsbeamter vor der Tür steht?

Das weiß Evelyn Braumann. Sie ist im Wolmirstedter Rathaus dafür zuständig, von den Bürgern nicht gezahlte Gelder einzufordern. Sobald sie an der Tür klingelt und einen roten Brief in der Hand hält, ist Alarmstufe Rot angesagt. Wer dann nicht innerhalb einer Woche zahlt, muss mit unangenehmen Konsequenzen rechnen. Im Amtsdeutsch heißt das „weitere Vollstreckungsmaßnahmen“.

Das kann die Kontopfändung sein. Dafür lassen sich Rathausmitarbeiter von der Bank Einblick in die Konten geben und holen, was dem Steuersäckel zusteht, zusätzlich eine Pfändungsgeühr.

„Treffe ich jedoch auf jemanden, der nicht zahlen kann“, sagt Evelyn Braumann, „schaue ich, ob ich in der Wohnung etwas finde, wo ich den Kuckuck drauf kleben kann.“ Beliebtes Objekt zur Pfändung sind große Flachbildfernseher.

Darauf möchten Bürger ungern verzichten, versuchen dann manchmal in letzter Minute eine Ratenzahlung zu vereinbaren. „Die Bedingungen klären wir im persönlichen Gespräch, ich entscheide dann nach Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse.“

Bis Evelyn Braumann mit dem roten Brief oder gar mit dem „Kuckuck“ in der Tür steht, müssen Bürger schon Mahnungen ignoriert haben. Die „große Keule“ wird nicht beim ersten Zahlungsverzug geschwungen. Schließlich kann jeder mal vergessen, eine Rechnung zu bezahlen. Passiert es, flattert nach einer Woche eine Mahnung ins Haus, die erinnert an die Zahlung und kostet zudem fünf Euro Mahngebühren.

Der Zeitraum, bereits nach einer Woche zu mahnen, sei im Gesetz vorgegeben, weiß Evelyn Braumann, allerdings lässt sie in der Regel darüber hinaus wenige Tage ungemahnt verstreichen. Schließlich soll eine eventuelle Buchungsverzögerung dem Bürger keine Nachteile bringen. Wer dann nicht zahlt, für den wird es eng.

Es gibt viele Gründe, warum Bürger nicht zahlen. Sind Rechnungen im Alltagstrubel untergegangen, entscheiden Bürger oft, eine Einzugsermächtigung zu erteilen. Steuern werden künftig automatisch eingezogen.

Doch was ist mit den anderen? Evelyn Braumann trifft regelmäßig auf Leute, die nicht zahlen können oder wollen. Dann steht eine Vollstreckung an, Evelyn Braumann schwingt sich auf ihr Dienstfahrrad, klingelt an der Tür und steht den Menschen direkt gegenüber. Die Arbeit der Vollstreckungsbeamtin ist nicht anonym.

Dabei bergen Besuche an der Wohnungstür mitunter Überraschungen. Evelyn Braumann erinnert sich, wie sie bei einem jungen Schuldner klingelte. „Dessen Freunde waren zu Besuch, haben auf Kisten im Wohnzimmer gesessen.“ Am liebsten wollte sie mit ihm alleine reden, doch er bestand darauf, dass seine Freunde zuhören. Also hat sie die Vollstreckung angekündigt. Was dann passierte, lässt sie noch heute schmunzeln: „Jeder der Freunde hat einen Schein gegeben.“ Die offene Rechnung war beglichen.

Auf traurige Schicksale stößt sie auch. Auf Menschen, die ganz allein und kaum in der Lage sind, für sich zu sorgen, geschweige denn, Rechnungen zu erfassen. In solchen Fällen wendet sie sich an den sozialpsychiatrischen Dienst, damit Hilfe organisiert wird.

Auch Analphabeten fällt es schwer, mit Behördenpost umzugehen. In einem Fall hat sie den Kontakt zur Volkshochschule vermittelt, der junge Mann besitzt inzwischen seinen Führerschein.

Die Vollstreckungsbeamtin treibt jedoch nicht nur das Geld ein, dass Wolmirstedt sonst verloren ginge. „Wir werden häufig um Amtshilfe gebeten“, sagt Evelyn Braumann. Besonders oft von ARD, ZDF und Deutschlandradio, die den Rundfunkbeitrag einkassieren lassen möchten.

Die sogenannten GEZ-Gebühren werden besonders häufig nicht bezahlt, die üblichen Mahnungen ignoriert. Dann wird die Stadt Wolmirstedt um die Vollstreckung vor Ort gebeten. Zum Monatsanfang sind mitunter 40 bis 50 Vollstreckungen der Rundfunkgebühren fällig.

Für manche wäre das vermeidbar, weil sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation davon befreit wären. Sie haben jedoch für diese Befreiung nie einen Antrag gestellt. Dann gibt Evelyn Braumann einen Tipp, doch der gilt für die Zukunft. Die aktuelle Rechnung muss trotzdem vollständig beglichen werden.

Mitunter ersuchen auch andere Gemeinden Amtshilfe, wenn beispielsweise Wolmirstedter Bürger dort ein Haus besitzen und die Grundsteuer nicht bezahlen, aber auch die IHK, wenn Gewerbetreibende ihre Beiträge nicht überweisen. All diese Fälle sind in den 828 Fällen im Jahr 2019 mit enthalten.

Evelyn Braumann hat das Vollstreckungswesen im Wolmirstedter Rathaus nach der Wende mit aufgebaut, zum Jahresende geht sie in den Ruhestand. Manchen Nicht-Zahlern wird sie womöglich fehlen. „Einige kommen regelmäßig, möchten das Geld gerne persönlich bringen.“ Längst haben viele der „Vollstreckungsfälle“ für Evelyn Braumann Namen und Gesichter.

Seit 28 Jahren ist sie schon im Dienst. Was braucht jemand, der diesen Job nach ihr machen möchte? Evelyn Braumann kann nur für sich selbst sprechen. „Ich war immer auch Lebensberater und Seelsorger. Vor allem braucht man ein dickes Fell.“