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Landwirtschaft Wie die Zuckerrübe der Börde zum Aufschwung verhalf

Die Rübenkampagne in der Zuckerfabrik Klein Wanzleben läuft auf Hochtouren. Das Gold der Magdeburger Börde hat eine lange Geschichte.

Von Sebastian Pötzsch Aktualisiert: 07.12.2021, 10:42
Die „Herrlichkeit“ in der Magdeburger Straße in Groß Ammensleben diente der Unterbringung von Arbeitern aus dem Eichsfeld. Das Gebäude wurde mittlerweile abgerissen.
Die „Herrlichkeit“ in der Magdeburger Straße in Groß Ammensleben diente der Unterbringung von Arbeitern aus dem Eichsfeld. Das Gebäude wurde mittlerweile abgerissen. Foto aus: „Landwirtschaft und Kapitalismus“

Groß Ammensleben - In der Börde wurde die erste Zuckerfabrik im Jahr 1838 in Klein Wanzleben gebaut. „Die ersten Zuckerbarone der Börde entstanden“, hat Historiker Wilfried Lübeck aus Groß Ammensleben herausgefunden. Nach dem Vorbild in Klein Wanzleben haben sich in den Folgejahren weitere Fabriken unter anderem in Dahlenwarsleben, Nordgermersleben, Wolmirstedt, Alvensleben (Bebertal), Erxleben, Dönstedt, Dreileben, Ummendorf und Groß Ammensleben entwickelt. Im Jahr 1910 gab es in den Kreisen Wolmirstedt und Haldensleben bereits 24 Zuckerfabriken.

Dieser Aufschwung brachte jedoch auch Probleme mit sich, zum Beispiel mit Wasser in Verbindung mit der Nutzung von Dampfmaschinen. Außerdem stiegen in Folge der Verpflichtung von immer mehr Arbeitskräften auch die Einwohnerzahlen massiv an. „Es kamen sehr viele Zuwanderer in die Börde - oft auch nur als Saisonarbeiter - da die industrielle Entwicklung von Magdeburg wiederum Arbeitskräfte aus den umliegenden Bördedörfern in die Stadt lockte“, fährt Wilfried Lübeck mit seinen Ausführungen fort. Sehr viele der Zuwanderer hätten in den großen Domänen Arbeit gefunden, „da dort die Berufsauswahl sehr groß war“. So habe es hier beispielsweise Schnaps- und Ziegelbrennereien gegeben sowie Brauereien und andere Betriebe.

Wachsende Zahl an Saisonarbeitern

Im Jahr 1900 lag die Zahl der polnischen Saisonarbeiter im Kreis Wolmirstedt bei 195, im Kreis Wanzleben bei 452 und in Neuhaldensleben bei 224, wovon hier 154 in der Landwirtschaft arbeiteten. Allein im Kreis Wolmirstedt sei die Zahl der Saisonarbeiter zwischen 1905 und 1910 von 966 auf 1741 gestiegen.

„Auch für die Zuckerfabrik Groß Ammensleben ist ein interessanter Bericht vorhanden“, erzählt der Historiker. So habe das Unternehmen schon seit 1861 über Arbeitskräftemangel geklagt. „Aus diesem Grund kamen rund 60 männliche und weibliche Personen auch aus dem katholischen Eichsfeld in den Ort, worüber sich die katholische Gemeinde, die rund ein Drittel der Einwohner ausmachte, sehr freute“, berichtet Wilfried Lübeck.

Die Zuckerfabrik sowie die kirchliche und staatliche Gemeinde habe für die Neuankömmlinge ein Haus gebaut, das älteren Einwohnern noch heute als „Herrlichkeit“ bekannt sein dürfte. „Warum der Wohnungsbau ‚Herrlichkeit‘ hieß´, dafür kenne ich mehrere Gründe. War doch zu dieser Zeit das Eichsfeld das Armenhaus Deutschlands“, sagt der Geschichtsforscher.

Dieses Foto stammt aus dem Jahr 1909. Es zeigt die Belegschaft der Zuckerfabrik in Groß Ammensleben.
Dieses Foto stammt aus dem Jahr 1909. Es zeigt die Belegschaft der Zuckerfabrik in Groß Ammensleben.
Foto: Archiv Kulturhistorische Gesellschaft Groß Ammensleben

Die schnelle Industrialisierung Magdeburgs und der Ausbau der Kalivorkommen und Braunkohlegruben verlangte im mitteldeutschen und im Börderaum den Ausbau von Eisenbahnlinien und Chausseen, so zum Beispiel im Jahr 1839 von Magdeburg nach Schönebeck, im Jahr 1848 über Wittenberge nach Hamburg, im Jahr 1857 über Schönebeck nach Staßfurt, im Jahr 1869 über Eisleben nach Helmstedt sowie in den Jahren 1870/1871 von Magdeburg über Barby nach Güsten und nach Haldensleben. „Die Bahnstrecke von Haldensleben nach Eisleben im Jahr 1866 ist als Reichsbahn in die Geschichte eingegangen“, merkt Lübeck an. Hatte die preußische Provinz Sachsen mit der Börde im Jahr 1876 erst 4767 Kilometer Chausseen, waren es im Jahr 1900 bereits 8585 Kilometer.

„Vom hohen Ertrag landwirtschaftlicher Erträge profitierte auch die Elbeschifffahrt“, berichtet Lübeck weiter. So sei bereits im Jahr 1837 die „Hamburg-Magdeburger Dampfschifffahrts-Companie“ gegründet worden. Schon im Jahr 1841 habe das Unternehmen 1800 Personen und rund 15000 Tonnen Fracht befördert. Im Jahr 1910 gingen die Fahrten bis nach Böhmen. Der Lastentransport lag damals bereits bei elf Millionen Tonnen. Die Börde habe aber nicht nur in Hamburg oder Böhmen Absatzmärkte gefunden, auch Berlin sei immer mehr in den Fokus gerückt. Schon durch den Bau des Elbe-Havel-Kanals durch König Friedrich II. und anderer Kanäle steigerte sich die Weizenproduktion. Neben dem hoch entwickelten Ackerkorn nahm auch der Viehtransport aus Börde und Altmark einen bedeutenden Platz in der Ernährung der Berliner Bevölkerung ein.

„1871 lieferte der Raum Magdeburg folgende Schlachttiere nach Berlin: 1174 Ochsen, 2248 Kühe, 2980 Kälber, 3627 Schafe und 2338 Schweine“, zählt der Groß Ammensleber auf. Bis 1912 habe sich die Zahl um das Dreifache erhöht. „Erwähnenswert sind 17000 Ziegen, die während des Ersten Weltkrieges nach Berlin transportiert wurden, um die ärmere Bevölkerung mit Milch versorgen zu können.“

Schornstein gesprengt

Übrigens ging am 21. Juni 1930 um Punkt 14 Uhr in Groß Ammensleben die Ära der ländlichen Industrie in dem Ort unwiderruflich zu Ende. So wurde der 65 Meter hohen Schornsteins der ehemaligen Zuckerfabrik innerhalb weniger Minuten niedergelegt. So schließt Wilfried Lübeck seine Ausführungen mit folgenden Worten: „Die Börde und ihre Zuckerrübe haben eine kurze gemeinsame Geschichte. Bleibt zu hoffen, dass beiden eine lange Zukunft bevorsteht.“