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Nedlitzer Junggesellen halten alte Tradition am Leben 1117 Eier sind Gage für durchsungene Nacht

Von Petra Wiese 02.06.2012, 05:25

In vielen Regionen existieren Pfingstbräuche. Da gibt es das Schmücken des Pfingstochsens, Pfingstkirmes oder Pfingstgelage in den Dörfern. Im Zerbster Umland ist das Eibackessen verbreitet. Um die Zutaten zu sammeln, sind in Nedlitz jedes Jahr die Eiersinger unterwegs.

Nedlitz l Eiersingen in Nedlitz - das ist Tradition seit Generationen. Jedes Jahr am Abend vor Pfingsten ziehen die Eiersinger von Haus zu Haus, um Eier und andere Zutaten für Eiback zu sammeln. Doch das Eiersingen ist nur einem bestimmten Personenkreis vorbehalten - nämlich den Junggesellen. Früher gingen die jungen Herren auf diese Art und Weise quasi auf Brautschau beziehungsweise stellten sich in den Häusern vor und wurden von den heiratsfähigen Damen des Ortes begutachtet. Da kam es eben auch auf eine gute Stimme und schönen Gesang an...

Die Tradition hat die Zeiten überdauert, nur zur Brautschau nutzen die jungen Männer von heute wohl andere Möglichkeiten. Die Jugendweihe oder die Konfirmation muss man hinter sich haben, um bei den Eiersingern dabei zu sein. So durften die beiden 14-jährigen Mathias Becker und Maximilian Schütze in diesem Jahr das erste Mal mitmachen. Weil es eben Tradition ist, erklären die beiden. Schließlich haben das auch schon die Väter gemacht.

So alt, wie die beiden Neuzugänge sind, so viele Jahre sind inzwischen schon Andreas Friedrich, Nico Traudt und Michael Specht dabei. Die "Dienstältesten" übernehmen dann immer die Führungsrolle. Michael Specht beispielsweise schreibt das Buch der Nedlitzer Eiersinger fort. Darin wird jedes Jahr festgehalten, wieviele Teilnehmer es waren und was gesammelt wurde. Akribisch werden die Zahlen für die Eier notiert.

23 junge Männer - der älteste Akteur war 28 - trafen sich diesmal, um dem Brauch folgend, durch Nedlitz zu ziehen. Die meisten sind aus dem Ort oder stammen aus Nedlitz, ein paar Freunde von außerhalb dürfen sich anschließen. Die Bedingung "unverheiratet" erfüllen sie alle, viele haben eine Freundin oder sind in festen Händen, aber mit dem Heiraten haben es die jungen Leute heute ja bekanntlich nicht mehr so eilig.

Wer erst einmal verheiratet ist, für den ist das Eiersingen tabu. "Wer das letzte Mal dabei ist, muss es ansagen", erklärte Michael Specht - Absingen heißt es für denjenigen. Aber 30 sei so die magische Grenze, wo die Leute generell aufhören, ob verheiratet oder weiter single, so Specht. In diesem Jahr hatte niemand sein "Absingen" bekanntgegeben.

Die strengen Regeln beim Eiersingen wurden traditionsgemäß am Treffpunkt Großer Stein für alle noch einmal bekannt gegeben. Da sind ordentliches Aussehen und Benehmen angeordnet, Mützen werden nicht getragen, die Hände gehören an die Hosennaht beim Singen, Alkohol ist während der Sammlung tabu. Kurz vor Aufbruch kommt der Moment, wo Ansprache und Lied - über Generationen mündlich überliefert - geprobt werden. Die "alten Hasen" haben den Text abrufbar, die Neuen singen einfach mit. Im Test müssen sie noch einmal alleine vorsingen. Nach den ersten Zeilen geriet das Trio zwar ins Stocken, aber die Gefährten halfen aus. "Nach dem zehnten Haus sitzt der Text", weiß Philipp Imiolczyk.

In drei Gruppen gings durch das Dorf. Vor jedem Haus bezieht die Gruppe Position, die Herren nehmen Haltung an und nach der Einleitung wird gesungen - ernst und mit Nachdruck bitten die jungen Männer mit dem eher lustig anmutenden Lied um Gaben. Auch wenn eigentlich schon vorher klar ist, dass sowieso niemand zu Hause ist oder erfahrungsgemäß nicht öffnet, wird gesungen. Neu-Nedlitzer würden manchmal komisch gucken oder auch im Nachthemd seien schon welche an die Tür gekommen, kann sich Heiko Juskowiak an komische Begegnungen erinnern.

Doch die meisten Nedlitzer sind den jungen Männern wohlgesonnen, kennen den Brauch und sind vorbereitet. Hier werden Eier rübergereicht, da gibt es Wurst, Schinken, Speck dazu, manchmal auch Geld. Als Dank bieten die Eiersinger den Spendern einen guten Schluck an, bevor es weitergeht. Der Wäschekorb füllt sich zusehends, die Neuen oder die Jüngsten in der Gruppe müssen tragen. Wehe dem, der den Korb fallen lässt! Ein Fass Bier würde das kosten. "Ich wüsste nicht, dass das jemals vorgekommen ist", sagte Michael Specht. Bis spät in die Nacht sind die Eiersinger unterwegs, um alle Häuser abzuklappern. Die Junggesellen nehmen die Sache ernst und haben doch ihren Spaß dabei.

Noch in der Nacht wird Eiback gegessen. Etwa 300 Eier auf einmal zu verarbeiten, hatte Gastwirt Tino Bettge Am Eckernkamp alle Hände voll zu tun. Und endlich durfte auch gefeiert werden - bis in den frühen Morgen. Ab 10 Uhr ging es mit Eiback und Frühschoppen für die Eiersinger weiter. Eine kleine Pause musste wohl am Nachmittag sein, um später wieder beim Nedlitzer Pfingstgelage auf dem Festgelände mitzumischen. Hier profitierten die Waffelbäcker noch von den gesammelten Eiern. 1117 Stück gehen in die Chronik für 2012 ein.