Viertägiges Kolloquium führt in Zerbst erstmals verschiedene Wissenschaften zusammen Anhalts Kirchengeschichte interdisziplinär
"Staat, Kirche und Gesellschaft Anhalts im Zeitalter der Konfessionalisierung" war das Thema eines von der Evangelischen Landeskirche Anhalts und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg veranstalteten Kolloquiums. Eingebettet in das Jubiläumsjahr "Anhalt 800" fand es im Gymnasium Francisceum in Zerbst statt.
Zerbst l Das Konzept dieser Tagung haben der Hallenser Rechtshistoriker Prof. Dr. Heiner Lück und der Mainzer Kirchenhistoriker Prof. Dr. Wolfgang Breul erarbeitet. Erstmals, so Lück, sei "dieser hochinteressante Teil der Kirchengeschichte Anhalts und damit auch der Zerbster Kirchengeschichte auf einer wissenschaftlichen Tagung interdisziplinär gebündelt und diskutiert worden". Die Tagung fand vom vergangenen Mittwoch bis Sonnabend mit 35 festen Teilnehmern und teilweise bis zu insgesamt 45 Zuhörern statt.
In zwei öffentlichen Abend- und zehn weiteren Vorträgen haben Theologen, Historiker und Archivare aus Halle, Mainz, Kyoto (Japan), Apeldoorn (Niederlande), Münster, Braunschweig, Osnabrück, Bielefeld, Halle und Dessau gesellschaftliche, soziale und religiöse Aspekte und Umbrüche der Konfessionalisierung dargestellt.
Öffentlicher Vortrag im Faschsaal
So beleuchtete Dr. Joachim Castan (Osnabrück) die Geschichte, Rolle und Bedeutung des "Gymnasiums illustre" in Zerbst als "Anhalts erster Hochschule" im konfessionellen Zeitalter.
Auch erfuhren die Tagungsteilnehmer im Vortrag von Martin Olejnicki (Halle) neue Elemente über den berühmten und wichtigen Theologen Anhalts, Wolfgang Amling, der auch in Zerbst, so Heiner Lück, "in der Praktizierung des konfessionellen Weges eine bedeutende Rolle spielte".
In dem in den Faschsaal der Zerbster Stadthalle verlegten öffentlichen Vortrag "Johann Arndt (1555-1621) und der Pietismus" charakterisierte Dr. Wolfgang Breul (Mainz) die "bedeutende Gestalt in der anhaltischen Geschichte" Johann Arndt als Wegbereiter des Pietismus. Dessen weltweit verbreitete und in viele Sprachen übersetzte "Vier Bücher vom wahren Christentum" (1605) wurden zur meistgelesenen Erbauungsschrift im Protestantismus.
Eingeordnet in den Gesamtkontext Aufklärung im Staat des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt Dessau referierte Prof. Erhard Hirsch (Halle) über die Toleranz als Bestandteil fürstlicher Politik.
Die These, dass "das dynastische Handeln in Anhalt von Reformation und Konfessionalität wesentlich beeinflusst war", belegte Dr. Michael Hecht (Münster) mit der auffälligen Entwicklung der Heraldik in dieser Zeit, der Organisation der Fürstenhäuser und der Heiratspolitik. Mit Zahlenmaterial wies Hecht nach, dass bei der Wahl der Ehepartner die Machtsicherung, die jeweilige finanzielle Lage, sicher hier und da auch Sympathie eine Rolle gespielt hätten, aber überwiegend die Konfession die Kernfrage gewesen sei. Er wies auch darauf hin, dass "inneranhaltisches" Heiraten gängige Praxis gewesen sei.
Publikation für das nächste Jahr geplant
Der weitzuspannenden Thematik "Koexistenz, Konflikt und Synthese. Reformierte im Anhalt des 17. und 18. Jahrhunderts" näherte sich Dr. Jan Brademann (Bielefeld) mit konkreten Betrachtungen zum Abendmahl oder zur Liturgie, stellte unter anderem auch fest, dass konfessionelle "Vermischungen" sich durch die Ehen zogen. Das praktizierte Leben des gleichzeitigen Mit- und Gegeneinanders charakterisierte Brademann als "religiöse Koexistenz".
Weitere Themen des Kolloquiums waren Calvinismus, die Kirchengeschichte Anhalts, Konfessionalisierung im Fürstenstaat Hessen-Kassel und eine von Heiner Lück zum Abschluss dargestellte neue Deutung der Geschichte der Zerbster Butterjungfer (die Volksstimme berichtet gesondert).
Es ist geplant, dass zum Kolloquium im kommenden Jahr eine Publikation erscheinen soll.
Im Rahmenprogramm konnten die Teilnehmer die Wissenschaftliche Bibliothek im Francisceum, das Museum der Stadt Zerbst, die Nicolaikirche besuchen sowie einen historischen Schulrundgang erleben.
"In Anhalt hat man trotz vieler neuer Erkenntnisse noch so viel vor sich", brachte es Michael Hecht bei der Gesamtauswertung auf den Punkt. Es liege noch viel Forschungswürdiges und Erforschungsnotwendiges brach, das interdisziplinär und vergleichend sowie mit neuen Methoden zu finden sei.