1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. Gericht von Unschuld überzeugt

Freispruch Gericht von Unschuld überzeugt

Ein Berufskraftfahrer wurde vom Vorwurf, den Straßenverkehr nahe Zerbst gefährdet zu haben, im Dessauer Landgericht freigesprochen.

Von Andreas Behling 04.07.2020, 23:01

Dessau/Zerbst l Ein 64 Jahre alter Berufskraftfahrer ist am Mittwoch von der 8. Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau vom Vorwurf der Straßenverkehrsgefährdung freigesprochen worden. Damit hob die Berufungsinstanz unter dem Vorsitz von Anja Wiederhold das Urteil des Amtsgerichtes Zerbst auf. Seinerzeit waren dem Mann eine Geldstrafe von insgesamt 3320 Euro und ein dreimonatiges Fahrverbot auferlegt worden.

Die Brisanz des Falles: Der Magdeburger - davon ging Staatsanwalt Johannes Gläser auch in der zweiten Instanz aus - soll sich als Fahrer des Präsidenten des Landesrechnungshofes Kay Barthel vorsätzlich rücksichtslos verhalten haben, indem er am 8. Januar 2019 auf der B 184 nahe Zerbst durch das riskante Überholen einer Fahrzeugkolonne das von ihm zuletzt überholte Auto zu einer abrupten Gefahrenbremsung veranlasste. Allerdings sahen Richterin Wiederhold und ihre beiden Schöffinnen keine Anhaltspunkte für ein grob verkehrswidriges und rücksichtloses Verhalten, das Eigensucht oder Gleichgültigkeit zum Hintergrund gehabt hätte.

„Nicht jeder Regelverstoß ist eine Straftat“, meinte die Vorsitzende nach einer umfangreichen Beweisaufnahme. In der Tat lag hier möglicherweise einer jener Fälle vor, in denen die subjektiven Eindrücke der Beteiligten eine große Rolle spielten, weil sie ganz offenbar eben auch beträchtlich auseinander gingen. Für den einen - einen 44-jährigen Mann aus Glinde, der seinen nicht mal drei Monate alten Sohn in einer Sitzschale hinter sich im Auto wusste - brachte ihn die knapp vor ihm einscherende schwarze Limousine so in Bedrängnis, dass er unvermittelt bremsen musste und das bisher schlafende Kind zu schreien begann.

Für den anderen - den Mann, der seit 1991 die Rechnungshof-Präsidenten fuhr, ohne jemals einen Punkt in Flensburg zu kassieren - war es vermutlich eines der simpelsten Fahrmanöver, die sich denken lassen. Dass sich der auch sonst nicht vorbestrafte Magdeburger, der laut seinem Verteidiger Steffen Segler inzwischen den verdienten Ruhestand genießt, immer unauffällig verhielt, war für das Gericht ein starkes objektives Indiz, das für seine Unschuld sprach.

„Sein Chef hat seine Chauffeure stets zu einem ordnungsgemäßen Fahren angehalten“, merkte die Richterin an. Kay Barthel - knapp 150 Mal im Jahr auf der Straße unterwegs - hatte ausgesagt, dass er sich nur an „ganz wenige Auffälligkeiten“ erinnern könne, seit er Landesrechnungshof-Präsident sei. „An dem Tag bin ich nicht hoch geschreckt. Würden mir Dinge in der Fahrweise zu weit gehen, würde ich es ansprechen“, sagte der 49-Jährige. „Eine Vollbremsung hätte sich bei mir eingebrannt und ich hätte meinen Fahrer sofort angeschnauzt.“ Darüber hinaus habe der 64-Jährige keinen Anlass gehabt, meinte die Kammer, schneller als sonst auf der Strecke zwischen der Landeshauptstadt und Dessau unterwegs zu sein. „Er musste nicht zu einer bestimmten Zeit ankommen“, so die Vorsitzende. Barthel hatte ebenfalls gesagt, dass kein Zeitdruck bestand. „Vor 10 Uhr finden keine Dienstberatungen statt.“

Gleichwohl räumte sie ein, dass der sich von der Fahrweise bedrängt fühlende Zeuge für sich als gefährlich und gefährdend wahrnahm: „Oh, oh, das wird knapp, dachte ich und wollte eine Kollision verhindern. Danach war ich etwas zittrig. Das war sehr heftig und für mich nicht vorhersehbar.“ Indes würden die objektiven Anhaltspunkte fehlen. „Die konkrete Situation ist heute nicht mehr nachvollziehbar“, rekapitulierte Anja Wiederhold. Niemand könne zu den genauen Geschwindigkeiten und Abständen der beteiligten Fahrzeuge Auskunft geben.

Der Angeklagte - Typ „korrekt-seriöser Nachrichtensprecher“ - hatte in seinem Schlusswort gemeint, wenn er so gefahren wäre, wie ihm vorgeworfen wurde, hätte man ihn vorher „geext“. Als Verkehrsteilnehmer sei es nicht sein Ding, jemanden abzudrängen. Die Staatsanwaltschaft, die eine Geldstrafe von 2280 Euro und den Entzug der Fahrerlaubnis für sechs Monate forderte, hat die Möglichkeit, gegen das Urteil in Revision zu gehen.