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Gerichtsverfahren Zeugen sollen aussagen

Ein Coswiger soll 1900 Postsendungen unterdrückt haben. Nun soll das Berufungsverfahren gegen ihn weitergehen und Zeugen gehört werden.

Von Andreas Behling 10.11.2020, 04:00

Dessau/Coswig/Zerbst l Das Berufungsverfahren gegen einen Mann aus Coswig, der sich als Inhaber eines im Dezember 2009 gegründeten Zustelldienstes im Zeitraum von September 2012 bis Juni 2015 des Unterdrückens von fast 1900 Postsendungen schuldig gemacht haben soll, geht am 11. und 24. November vor der 7. Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau weiter. Im Vorfeld der Fortsetzungen, das kündigte die Vorsitzende Richterin Siegrun Baumgarten an, wolle sie die Beteiligten informieren, in welcher Reihenfolge die Zeugen gehört werden sollen.

Am Beginn der absehbar umfangreichen Liste wird wohl ein Vertreter der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen mit Sitz in Bonn, kurz Bundesnetzagentur (BNetzA), stehen. In den Akten des Falles ist davon die Rede, dass die obere Behörde im Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums ein Bußgeldverfahren gegen den 46-jährigen Angeklagten eröffnen wollte, weil er ohne Lizenz gearbeitet haben soll.

Der Coswiger, der abermals mit Nachdruck seine Unschuld beteuerte, brachte auf eigene Initiative einen Zeugen von der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation ins Gespräch. Das Problem dürfte sein, dass es diese Behörde nur bis zum 12. Juli 2005 gegeben hat. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts wurde sie in eben die BNetzA umbenannt. Eine Ungereimtheit, die am zweiten Prozesstag nicht weiter thematisiert wurde. Doch es blieb nicht die einzige.

Staatsanwalt Frank Pieper wunderte sich zum Beispiel, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die der Coswiger für sein Unternehmen vorlegte, laut Aufdruck ab dem Juli 2015 gültig gewesen sein sollen. Einer der Kunden des Zustelldienstes hatte diese jedoch am 12. Januar 2015 unterschrieben. „Also bevor der Stand der AGB dokumentiert ist“, sagte Pieper. Der Angeklagte meinte dazu, er habe ´keine Ahnung´, wie es dazu kam. Und er ergänzte: „Das ist ja auch völlig unwichtig.“

Zweifel scheinen angebracht, ob der Anklagevertreter und das Gericht diesen Standpunkt teilen. „Ich sehe es weiter so, dass das zeitweilige Herausnehmen der Postsendungen aus dem Geschäftsgang strafbar ist“, sagte die Vorsitzende unter Verweis auf ein Urteil des Oberlandesgerichtes Köln. Demnach hätten die Sendungen, die aus den verschiedensten Gründen nicht zustellbar waren, alle an die Absender zurückgegeben werden müssen. „Das ergibt sich schon allein aus der Gesetzeslogik“, fand der Staatsanwalt. „Ein Absender muss wissen können, dass es keine Zustellung gab. Sonst hat er null Chancen, etwas zu unternehmen.“

Der Coswiger hörte nach eigenen Angaben Mitte des Jahres 2015 mit der Zustellung von Briefsendungen auf, „weil der Mindestlohn kam“. Danach - Anfang August 2015 - sei eine Nachfolgefirma gegründet worden, die sich mit dem Verkauf und Handel von bürotechnischen Artikeln befasste. Zur Zahl der Mitarbeiter im zuvor bestehenden Brief- und Paketdienst legte sich der 46-Jährige nicht konkret fest. Das könnten „etwa 55“ gewesen sein. Darunter „vielleicht fünf Vollbeschäftigte“.

Allerdings schränkte der Mann diese Aussage unmittelbar darauf gleich wieder ein. „Acht Stunden am Tag war - soweit ich mich erinnern kann - niemand beschäftigt. Das ist ja ein paar Jahre her. Es wird so gewesen sein, dass die meisten Leute im Nebenverdienst tätig waren.“ Zur Kooperation mit anderen privaten Zustelldiensten führte er aus: „Wir hatten keine Verträge untereinander. Für uns war alles Ehrensache.“ Andererseits räumte er ein, dass er sich mit der Chefin eines anderen Unternehmens, die nicht zum Verbund gehörte, „in den Haaren“ hatte.

Nach knapp zwei Stunden hatte die Kammer vorerst genug gehört. „Das Schöne ist immer: Wenn im Geschäftsverkehr nichts Schriftliches vorliegt, dann kann ich als einziges Beweismittel nur auf Zeugen zurückgreifen“, kommentierte die Vorsitzende. Auch dazu hatte der Coswiger, von der ersten Instanz - dem Amtsgericht in Zerbst - zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 3600 Euro verurteilt, eine spezielle Meinung: „Man kann nicht von Zeugen erwarten, dass sie sich an lange zurückliegende Sachen erinnern. Das Gehirn speichert das nicht. Das ist doch verständlich.“