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Integration Jens Wernicke ist neuer Lotse

Am Donnerstag startet offiziell die Tätigkeit der zehn Integrationslotsen im Kreis Anhalt-Bitterfeld.

Von Daniela Apel 01.09.2016, 01:01

Zerbst l „Die Syrer waren plötzlich da und brauchten Hilfe. Da habe ich mich entschlossen zu helfen“, erklärt Jens Wernecke. Für den Jütrichauer ist es eine Selbstverständlichkeit, sich für Menschen in Not zu engagieren. „Auch für Deutsche“, bemerkt der Familienvater, dass er in der Zerbster Kindertafel ein- und ausgehe.

Seit vergangenem Oktober, seit die ersten Asylsuchenden in der Region Zerbst eintrafen, setzt er sich inzwischen für die Flüchtlinge ein. Jens Wernecke berichtet von einer Begegnung morgens um 7 Uhr. „Da lief eine Familie bei Nieselregen auf der Straße“, erinnert er sich an das Bild von zwei Frauen, einem Mann und einem Kleinkind. Zunächst fuhr er an ihnen vorbei, entschied sich dann aber, umzukehren. „Von Altengrabow aus wollten sie nach Skandinavien zu schwedischen Verwandten“, erzählt der Jütrichauer. Er bot ihnen an, sie zum Bahnhof nach Brandenburg zu bringen. Gesagt, getan. Bis heute besteht der Kontakt zu Zamir Joujou, der die beiden Frauen begleitete. „Er wollte ihnen bloß helfen“, berichtet Jens Wernecke, dass der Syrer inzwischen im Zerbster Lutherhaus wohnt.

Dort ist ebenfalls Hussein Alabbar untergebracht. Der junge Syrer kämpfte zunächst darum, dass sein richtiges Alter in Deutschland anerkannt wird. „Hussein ist 17, aber in der Erstaufnahmestelle in Halberstadt haben sie ihn zum 18-Jährigen deklariert“, sagt Jens Wernecke. Inzwischen sei Husseins Pass aus Damaskus eingetroffen, der belege, dass er noch minderjährig ist, wodurch sich nun jedoch die Bearbeitung seines Asylantrages verzögert.

Und das ist nicht die einzige schlechte Nachricht. Denn Hussein möchte gern Journalismus studieren. Um seinen Traumberuf zu erlernen, benötigt er einen Schulabschluss. Sein Deutsch ist bereits sehr gut, häufig fungiert er als Dolmetscher für seine Landsleute. Auch die Aufnahme am Gymnasium Francisceum schien zum Greifen nah, wie Jens Wernecke schildert. Den notwendigen Test zur Prüfung seiner naturwissenschaftlichen Kenntnisse bestand der junge Syrer leider nicht. Er erklärte sich sofort bereit, die neunte und zehnte Klasse zu wiederholen. „Das geht nicht, wir kriegen ihn in keine Schule“, ärgert sich Jens Wernecke.

Verständnislos erzählt der Jütrichauer von einem weiteren Problem, mit dem sie derzeit zu kämpfen hätten: der Suche nach Wohnungen für die Syrer, die eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland erhalten haben. „Der einfachste Trick wäre, dass sie in ihren jetzigen Wohnungen wohnen bleiben.“ Man bräuchte doch nur den Mietvertrag entsprechend ändern, meint er. Zumal momentan nur 167 Flüchtlinge in der Einheitsgemeinde leben – davon 60 in den Ortsteilen. „Der Höchststand lag mal bei 220“, gibt Jens Wernecke zu bedenken, dass die Gesamtzahl gegenwärtig rückläufig ist. „Und wenn die Zuweisungen erneut zunehmen, müssen wir eben drüber reden, wie wir das lösen.“

Für ihn zählt das Hier und Jetzt, in dem es genügend Herausforderungen für all jene gibt, die sich für Flüchtlinge einsetzen. „Neben der Diakonie sind das viele ehrenamtliche Helfer wie Ronald Rose oder Pfarrer Thomas Meyer und seine Frau Gudrun sowie Syrer, die sich einbringen“, erläutert Jens Wernecke. Daneben listet er Bürgermeister Andreas Dittmann auf.

Unterdessen würdigt Karin Zander, Flüchtlingsbeauftragte der Diakonie, das Wirken von Jens Wernecke. „Er baut mich jedes Mal wieder auf. Er hat tolle Ideen und sieht alles positiv“, erklärt sie lächelnd. Im Schnitt zehn bis zwölf Stunden ist der Pharmareferent wöchentlich für die Asylsuchenden aktiv und das ab sofort auch offiziell: In der zurückliegenden Woche überreichte ihm Landrat Uwe Schulze die Ernennungsurkunde zum Integrationslotsen.

Vorgeschlagen wurde Jens Wernecke seitens der Stadt und im Gespräch mit ihm ist sofort spürbar weshalb: Mit Herzblut kümmert er sich um die Flüchtlinge. „Alles, was ich an Freizeit habe, investiere ich“, sagt der Familienvater. Er begleitet die Asylsuchenden bei Arztbesuchen oder Behördengängen, wobei er stets aufs Neue erlebt, wie bürokratisch Deutschland mitunter ist. „Die Besorgung eines Wohnungsschlüssels dauerte einen ganzen Tag!“, nennt er ein Beispiel.

Jens Wernecke erzählt von dem Möbellager, das sie in der alten Turnhalle in Zerbst-Nord eingerichtet haben für die anerkannten Flüchtlinge, die nun eine eigene Wohnung bekommen. Die Kreiswerke stellten einen Lkw zur Verfügung, mit dem sie ausrangiertes Mobiliar, aber auch Fernseher einsammelten. Unterstützung gibt es auch von der Kreisvolkshochschule in der Person der Zerbster Standortleiterin Martina Marczok-Stück. Durch sie wurde unter anderem ein Deutschkurs in Nedlitz organisiert.

Das bislang größte Hindernis für die in den Ortsteilen untergebrachten Asylsuchenden ist die fehlende Mobilität. „Wir bräuchten einen Sponsor, ein Unternehmen oder eine Fahrschule, die einen Führerschein finanziert“, sagt Jens Wernecke. Dringend benötigt werde ein Integrationskurs, in dem die Flüchtlinge neben den deutschen Sitten und Gebräuchen ebenfalls erfahren, was Hartz IV bedeutet und was ein Arbeitsamt ist. Aber auch Deutschkurse für Fortgeschrittene brauche es zwingend, betont der Jütrichauer. Selbst über einen „Kindergarten für Syrer“ denkt er nach, fehlt es doch an ausreichend Kita-Plätzen.