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Sage prophezeit Unheil, wenn die Stadtmauer ein Loch hat

17.09.2011, 04:38

Von Karolin Aertel

Eine besorniserregende Zukunft wird den Bürgermeistern und Regenten der Stadt Zerbst in Chronikauszügen von Carl Neundorf aus dem Jahr 1880 prophezeit. Hier heißt es zur Stadtmauer: "Es giebt die alte Sage, daß, wenn an der Mauer ein Stück einfällt, der Bürgermeister oder Regent der Stadt in‘s Jenseits berufen wird, wie solches geschehen ist im Jahr 1600 im März, wo ein Stück der Mauer am Akenschen Thore eingefallen war, worauf der damalige Bürgermeister, Hironimus Wohlmann, zu einem seiner Kollegen sagte: ¿Wir mögen uns bereiten zu wandern, dann so ofte die Ring-Mauern allhier beginnen zu fallen, bedeutets, daß die Bürgermeister oder Regenten der Stadt dahin gehen.‘ Derselbe ist auch den 23. März krank geworden und am 2. April verstorben."

Bürgermeister Behrendt nimmt‘s Gelassen

Möge man dieser Sage Glauben schenken, ist‘s schlecht um Helmut Behrendt bestellt. Schließlich prangert nun schon länger als ein Jahr ein Loch in der Zerbster Stadtmauer. Und laut dieser Sage, steht Bürgermeistern und Regenten der Tod bevor, wenn die Stadtmauer einzustürzen beginnt.

Dass der Bürgermeister sich bester Gesundheit erfreut, signalisierte sein Pressesprecher, Jan Hädrich. "Der Bürgermeister blickt auf das Überlieferte mit Gelassenheit zurück", gibt er zu verstehen. "Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass eine beschädigte Stadtbefestigung eine existenziellen Gefährdungslage für die Stadt darstellte und deshalb aus einer anderen Sichtweise betrachtet wurde."

Auch Museumsleiter Heinz-Jürgen Friedrich nimmt diese Überlieferung nicht ganz ernst, begibt sich jedoch sofort auf die Suche nach dem Ursprung dieser vermeintlichen Sage. "Sie ist in ¿Auszug aus den Zerbster Chroniken aus älteren und neueren Urkunden‘ von Carl Neundorf nachzulesen und stammt aus dem Jahr 1880", stellt er seine ersten Rechercheergebnisse vor. Neundorf hat es vermutlich der "Historia des Fürstentums Anhalt" aus dem Jahr 1710 von Johann Christoff Beckmann entnommen. Dort ist die Geschichte im selben Wortlaut finden, lediglich als Sage werde sie dort nicht bezeichnet. Das Buch hat Friedrich vorzuliegen.

Eine Leichenpredigt war vermutlich Prätext

Doch die Rechercheergebnisse gehen noch viel weiter. "Beckmanns Quelle war vermutlich die Leichenpredigt, die der Superintendent der anhaltischen Landeskirche, Wolfgang Amling, auf den Tod des verstorbenen Bürgermeisters Hironimus Wohlmann hielt", erklärt Friedrich. Diese Predigt aus dem Jahr 1600 liegt der Museumsbibliothek ebenfalls vor.

Und damit scheint das Rätsel um die Sage, die genaugenommen gar keine Sage ist, gelöst.

Dass Bürgermeister Helmut Behrendt Unheil droht, ist demnach auch eher unwahrscheinlich. "Zumal im Jahr 1570 das Akensche Tor schon einmal einstürzte", erzählt Friedrich. Dass der damalige Regent deswegen gestorben sei, ist dem Museumsleiter nicht bekannt. Und auch sonst gebe es keinerlei Hinweise auf derartige, sagenhafte Gegebenheiten.

Dies solle jedoch nicht zum Anlass genommen werden, von einer Sanierung- und Instandsetzung der Mauer abzusehen. Stattdessen hofft der Museumsleiter auf eine baldige Maßnahme zum Erhalt der geschichtlich- und kulturell-wertvollen Zerbster Stadtmauer.