Nach Gespräch mit Landesverkehrsminister Webel weicht in Jütrichau letzter Hoffnungsschimmer der Ernüchterung Schließung des Haltepunktes scheint besiegelt
Die Entscheidung zur Schließung des Haltepunktes Jütrichau scheint unwiderruflich zu sein. Das Fazit des Gesprächs der Bürgerinitiative mit Landesverkehrsminister Webel (CDU) fällt ernüchternd aus. Demnach hält nach 130-jähriger Bahnanbindung am 14. Oktober der letzte Zug in Jütrichau.
Jütrichau/Magdeburg l "Wir haben alles probiert." Resignation liegt in der Stimme von Ortsbürgermeister Dirk Bunge. Die Entscheidung zur Auflassung des Bahnhaltepunktes Jütrichau scheint endgültig. Das ist das ernüchternde Ergebnis des gut zweistündigen Gesprächs mit Sachsen-Anhalts Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) am vergangenen Donnerstag. Obwohl ihre Argumente "abgeschmettert" worden seien, sei es eine sachliche Diskussion gewesen, blickt Bunge auf die Unterredung in Magdeburg zurück. Natürlich wäre er gern mit einer positiven Nachricht heimgekehrt. Doch die Schließung ist vermutlich unabwendbar. "Wenn es so kommt, wird am 14. Oktober der letzte Zug in Jütrichau halten", konstatiert der Sprecher der Bürgerinitiative "Pro Haltepunkt Jütrichau", Patrick Rumpf. Gemeinsam mit Bunge war er nach Magdeburg gefahren, um Webel und die landeseigene Nahverkehrsservicegesellschaft (NASA) vielleicht doch noch umzustimmen. Unterstützung erhielten die Beiden von mehreren Politikern. Doch an dem bereits im Februar gefällten Entschluss lässt sich wohl nichts mehr ändern.
"Meine Hoffnung ist nicht gestiegen, sondern eher gesunken", gibt Holger Hövelmann zu. Der ehemalige Innenminister und jetzige verkehrspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion befürchtet vielmehr eine beginnende Erosion von Haltepunkten kleiner Orte. "Das ist der Anfang einer unbefriedigenden Entwicklung, bei der Haltepunkte wie Prödel, Lübs und Güterglück zur Disposition stehen."
Das streitet die NASA auch nicht ab. Prödel, Lübs und Güterglück stehen unter Prüfbedarf, allerdings sind die drei Haltpunkte stärker nachgefragt als Jütrichau, wo die tägliche Anzahl der Ein- und Aussteigenden unter 30 Fahrgästen liegt, wie NASA-Sprecher Wolfgang Ball erläutert. "Der Prüfbedarf ist ein Warnsignal an alle zu schauen, was getan werden kann, um den Haltepunkt zu stärken", bemerkt er. Für Jütrichau bestand ein solcher Prüfbedarf bereits seit 2005. Durch die nun anstehende Modernisierung des Eisenbahnknotens Dessau/Roßlau spitzte sich das Problem zu. Denn der Streckenausbau beinhaltet den Neubau der elektronischen Sicherungstechnik, was in Jütrichau - im Gegensatz zu Lübs, Prödel und Güterglück - die zwingende Verlegung der Bahnsteige nach sich ziehen würde. Und diese Investition ist aus Sicht der NASA volkswirtschaftlich nicht tragbar.
Von 600000 bis 800000 Euro ist die Rede. Hinzu kämen Stationskosten von rund 29000 Euro im Jahr. Dem gegenüber ständen jährliche Einnahmen von 8000 Euro aus Fahrgelderlösen der in Jütrichau ein- und aussteigenden Reisenden. Die Einrichtung eines zusätzlichen Busverkehrs zwischen Jütrichau und Dessau/Roßlau würde indes nur mit etwa 76000 Euro im Jahr zu Buche schlagen. Das zumindest ergibt der Kostenvergleich der NASA, der während des Treffens auf den Tisch kam und die längst getroffene Entscheidung transparent machen sollte.
"Letzten Endes geben die Zahlen den Ausschlag", resümiert Dietmar Krause. "Mir gefällt nicht, dass der ländliche Raum immer mehr abgekoppelt wird", erklärt der CDU-Landtagsabgeordnete. Er verstehe die Bahn als Dienstleister. "Da kann man nicht nur in Dessau, Zerbst, Magdeburg und Köthen halten. Da muss man versuchen, die kleinen Orte mitzunehmen."
"Die eigentlich Betroffenen sind die älteren Bürger", sagt Gerald Grünert. Er spricht von einer künftig excellenten Zugverbindung, die in Jütrichau dann allerdings keiner mehr nutzen kann. Nach Meinung des Landtagsmitglieds der Linken wurde hier nach einer Möglichkeit gesucht, um eine Reisezeitverkürzung von wenigen Minuten zu erreichen. Immerhin sollen die Züge nach der Streckenertüchtigung fortan mit bis zu 160 km/h über die Gleise rollen können. "Es war von Vornherein klar, sie wollen den Haltepunkt weghaben", sagt Grünert. Entsprechend seien die Kosten "bewusst negativ" gerechnet worden. Aspekte wie der Lärmschutz seien gar nicht betrachtet worden. Überhaupt fehlten ihm Belege für die zu Grunde gelegten Zahlen. "Wir werden nochmal nachfragen, was ein Rufbus tatsächlich für Kosten verursacht." Auch nach den Kosten für den Planfeststellungsbeschluss und das nun notwendige Planabweichungsverfahren - denn in dem Beschluss ist der Neubau der Jütrichauer Bahnsteige noch enthalten - will sich die Linke erkundigen. "Wir bleiben am Ball", betont Grünert und ergänzt: "Ich denke, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen." Zumal auch er glaubt, dass bei einer Auflassung des Jütrichauer Haltepunktes der Wegfall von Lübs, Prödel und Güterglück droht.
"Man hätte sich den Termin eigentlich schenken können", findet der Grünen-Politiker Andreas Gernegroß. Die Erwartung, noch etwas bewegen zu können, habe sich während des Gesprächs zerschlagen. "Die Würfel sind gefallen", bedauert er.
"Was können wir noch tun?" Diese Frage stellt sich am Freitagabend die Bürgerinitiative. Dirk Bunge regt eine Podiumsdiskussion mit den Ortsbürgermeistern von Prödel, Lübs und Güterglück an. Neben der Erfassung des Ist-Zustandes der Bahnsteige und dem Hinweis, dass ein Bahnsteig erst vor wenigen Jahren erneuert wurde, schlägt Patrick Rumpf vor, sich an den Landesrechnungshof zu wenden. Darüber hinaus verständigen sich die Anwesenden, den Zerbster Bürgermeister Andreas Dittmann zu bitten, dass sich die Stadt an das Eisenbahnbundesamt wendet und gegen eine Genehmigung des Planabweichungsverfahrens ausspricht.
Nach derzeitigem Stand hält am 14. Oktober der letzte Zug in Jütrichau. Bis zum 8. Dezember wird ein Schienenersatzverkehr eingerichtet. Danach soll die Absicherung des Personennahverkehrs durch Busse erfolgen.