Jugendhilfeausschuss Anhalt-Bitterfeld Schulverweigerung oft Indiz für Probleme in der Familie
Von Jahresbeginn bis Anfang Mai wurden dem Anhalt-Bitterfelder Ordnungsamt insgesamt 112 Fälle hartnäckiger Schulverweigerer bekannt. Das Thema wurde im Jugendhilfeausschuss des Kreises ausgiebig erörtert. Freie Träger brachten Erfahrungen aus Projekten gegen Schulbummelei ein.
Zerbst/Köthen. Mit 81 von insgesamt 112 registrierten Fällen liegt der Schulschwänzer-Schwerpunkt des Landkreises klar in Bitterfeld. "Dort befindet sich das Berufsschulzentrum, das allein 35 Fälle beisteuert", erklärte Marcel Merklein, Sachbearbeiter im Anhalt-Bitterfelder Ordnungsamt. In Zerbst wurden dagegen drei Fälle gemeldet. Nicht in der Statistik hinterlegt ist jedoch, ob Berufsschüler in Bitterfeld eigentlich aus Zerbst kommen.
"Die Schulen sind zur Meldung verpflichtet", erläutert Ordnungsamtsleiterin Gabriele Adler. Die aktuell 112 Schulschwänzer bewirken 152 eingeleitete Verfahren: teils gegen Schüler, teils auch gegen deren Eltern. In 14 Fällen wurden allein in diesem Jahr Schulverweigerer der Schule zugeführt. Sind alle Fälle bekannt? "Anhalt-Bitterfeld ist regelmäßig einer der Landkreise mit der höchsten Anzahl von Verfahren", erklärt Ordnungsamtsleiterin Adler auf Nachfrage vor dem Jugendhilfeausschuss.
Kann die Ordnungsbehörde das Schulschwänzen abstellen? Merklein umreißt einen Fall. "Ein 16-jähriger Schüler fehlt seit zehn Tagen. Daraus erwächst eine Anzeige. Wir laden zum Anhörungsgespräch, die Eltern sind dabei. Wir zeigen Möglichkeiten zur Veränderung der Situation auf, orientieren auf Beratungsstellen oder das Jugendamt. Dann warten wir ab, ob ein Effekt eintritt. Schwänzt der Schüler weiter, gibt es eine Rücksprache und anschließend wird ein Zwangsgeld verhängt."
Ein anderer Fall handelt von einem zehnjährigen Förderschüler, dessen alleinerziehende Mutter "am Problem nicht mitarbeitete". Nach Zwangsgeld wurde der Schüler eine Zeitlang der Schule zugeführt, was ihn nicht davon abhielt, umgehend wieder stiften zu gehen. Die Familienhilfe konnte nicht helfen, daraus erwuchs die "letzte Konsequenz: Heimunterbringung. Der Schüler geht jetzt regelmäßig zur Schule", so Merklein. Unlust, Sorgerechtsstreit, soziale Probleme in Familie und Umfeld, mit anderen Schülern – das sind die Gründe.
Marina Hinze (Linke), selbst Lehrerin, wünscht sich Rückinformationen, wenn Schulschwänzer angezeigt wurden. "Wir halten engen Kontakt zu den Schulen, allerdings unter Beachtung des Datenschutzes", meinte Frau Adler. Worauf Hinze erklärte, dass eine Information über den Fortgang für die Klasse des Schulschwänzers einem hohen erzieherischen Effekt habe. Dem stimmte Jugendamtsleiter Peter Grimm zu. Er kündigte an, "künftig gewisse Infos an die Beteiligten in den Schulen geben" zu wollen, sehr wahrscheinlich dem Schulsozialarbeiter.
Wie hoch die Erfolgsquote der Verfahren sei, wollte Günter Herder (Linke) wissen. "Oft tauchen nach und nach alle Kinder einer Familie als Schulverweigerer auf", erklärte Adler. "Mehr als 70 Prozent werden rückfällig". Zwangsgeld zu setzen, habe begrenzten Erfolg, denn die Summe kann häufig nicht beigetrieben werden. Zum anderen könne man kein Kind vier Wochen lang zur Schule bringen. "Man kann es auch nicht dort festbinden." Die Maßnahmen seien als Denkzettel zu betrachten.
Katrin Simon vom Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Jugendamtes appelliert insbesondere an die Schulen, Verweigerer zügig zu melden. "Im Mai wurde ein Mädchen gemeldet, das seit September 2010 die Schule schwänzt." Simon berichtete, die Bummelanten-Karriere beginne häufig bereits in der Grundschule. Der ASD betrachte gegebenenfalls das Familiengefüge näher. Ist das Kind morgens allein? Gibt es Lob für Leistung? "Die Ursachenforschung in der Familie ist ganz wesentlich." Hilft ein Schulwechsel? Oder sonderpädagogische Förderung? Oder Erziehungsbeistand? Der besteht in einem Tagesgruppen-Besuch am Nachmittag. "Es ist paradox: Die Kinder haben die Schule geschwänzt, aber Punkt 13 Uhr stehen sie vor der Tür der Tagesgruppe."
Familiengerichte sehen es immer öfter als Gefährdung des Kindswohles an, wenn Eltern die Bummelei ihrer Kinder mit Entschuldigungen überspielen oder sich erst gar nicht um den Schulbesuch des Kindes kümmern. Diese Eltern werden vom Gericht zuerst beauflagt. Kommen sie den Auflagen nicht nach, wird ihnen das Sorgerecht entzogen.