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Seuchen Schon Zarin kämpft gegen Epidemien

Schon Katharina die Große von Anhalt-Zerbst wurde in ihrem riesigen Reich mit dem Ausbruch der Pest oder den Pocken konfrontiert.

Von Annegret Mainzer 02.05.2020, 23:01

Zerbst l Seit Menschengedenken zählen Epidemien zu den Geißeln auf unserer Erde. Früher waren es die Pest, die Pocken, das Fleckfieber oder der Englische Schweiß. Diese wurden begünstigt durch schlechte hygienische Wohn- und Lebensverhältnisse oder Kriege, die ganze Städte oder Armeen ausrotteten. Und die die Menschen als eine Strafe Gottes ansahen. Doch in unseren Tagen ist es das Coronavirus.

Häusliche Quarantäne, Verbot von Versammlungen und Gottesdiensten, Einschränkung von Bestattungsriten, Schließung öffentlicher Einrichtungen und Behörden in Zeiten flächendeckend grassierender Epidemien sind keine Erfindung unserer Tage. Im Kampf gegen die Pocken und Pest griff im 18. Jahrhundert auch die aus dem Hause Anhalt-Zerbst stammende Zarin Katharina II. von Russland zu derartigen Maßnahmen. Anlässlich ihres heutigen 291. Geburtstages (laut Gregorianischem Kalender) sei an ihre Verdienste um die Einrichtung eines staatlichen Gesundheitswesens im Russischen Reich erinnert.

Schrecklich war es für die Menschen an Pocken zu erkranken, denn egal, ob arm oder reich, hatte man diese Krankheit überlebt, behielt man Narben im Gesicht zurück, fühlte sich entstellt. Deshalb galt im 18. Jahrhundert fehlende Pockennarben im Gesicht als ein wichtiges Erkennungsmerkmal steckbrieflich Gesuchter. Im Oktober 1768 ließ sich Zarin Katharina II. als Erste in Russland vom englischen Arzt Thomas Dimsdale gegen Pocken impen. Der Arzt impfte ihr Krankheitserreger ein, um sie zu immunisieren.

Eine ziemlich riskante Angelegenheit mit ungewissem Ausgang. Jedoch nach knapp einer Woche war die Zarin wieder genesen und aus diesem Anlass wurden im Land Dankgottesdienste abgehalten. Somit hatte Katharina II. ihren Untertanen ein positives Beispiel gegeben, das ihnen die Furcht vor einer Schutzimpfung nehmen sollte. Danach ließ die Zarin ihren Sohn, der Thronfolger Pawel Petrowitsch, impfen. Der Zarin Getreuen – die Grafen Orlow, die Fürsten Potjomkin und Rasumowski – und weitere 140 Adlige folgten ihrem Beispiel.

Bereits 1762 hatte Katharina II. einen Erlass zur Einrichtung von „besonderen Häusern für gefährlich Erkrankte“ an der Peripherie der Städte herausgegeben. Zudem war es den an Pocken Erkrankten verboten, Kirchen und andere öffentliche Einrichtungen zu betreten. Einige Zeit später konnten sich die Menschen kostenlos gegen Pocken impfen lassen, dafür erhielten sie einen Silberrubel mit dem Porträt der Zarin. 1780 zählte man im Zarenreich bereits 20.000 Geimpfte. Für die Kadetten staatlicher Militärkorps und die Schülerinnen des weltbekannten Smolny-Institutes bestand sogar Impfpflicht.

Der Arzt Dimsdale, der die Impfung bei der Zarin vornahm, wurde von ihr hoch geehrt: Er bekam neben einer lebenslangen jährlichen Rente von 500 Pfund Sterling, Land zugesprochen und den Titel eines Barons. Aber auch der Spender des Krankheitserregers, der Bauernsohn Alexander Markow, wurde in den Adelsstand erhoben und bekam dazu 3000 Rubel. Noch im Jahr 1768 führte der aus Thüringen stammende Arzt Johann Philipp Hagen (1734-1792) erfolgreich eine Impfkampagne gegen Pocken in Mitau (heute: Jelgava/Lettland) durch. Ab 1801 wurde in Russland flächendeckend die Pockenimpfung durchgeführt.

Zu noch drastischeren Maßnahmen musste Katharina II. im Jahr 1771 greifen, als die Beulenpest in Moskau ausbrach, eingeschleppt vom russischen Heer. Dieser Seuche fielen 11 000 russische Soldaten und ein großer Teil der Zivilbevölkerung zum Opfer. Zu deren Eindämmung ordnete die Zarin eine 30 Kilometer Sperrzone um Moskau an. Durchreisende und Zugereiste mussten sich einer sechs wöchigen häuslichen Quarantäne unterziehen.

Es erfolgten das Verbot von Lumpenhandel und allgemeinen Versammlungen sowie die Schließung öffentlicher Bäder. Leichenzüge und Bittprozessionen innerhalb der Stadt wurden untersagt. Pestspitäler entstanden in den am Stadtrand gelegenen Klöstern. Das dort arbeitende medizinische und Pflegepersonal musste sich mit Weinessig und frischem Wasser desinfizieren, Mundschutz, Handschuhe und Schutzkleidung tragen, die nach Gebrauch auszukochen waren. Die Kleidung der Verstorbenen wurde verbrannt, Fabriken, Behörden und Garnisonen geschlossen. Der Adel flüchtete aufs Land.

Von der orthodoxen Kirche nicht autorisierte Geistliche riefen zu Gottesdiensten, das heißt zu größeren Menschenansammlungen auf, bei denen es zum Küssen der Ikonen seitens der unwissenden Gläubigen kam, was natürlich die Gefahr eine Ansteckung immens erhöhte. So schickte die Zarin schlussendlich unter der Leitung von Fürst Grigori Potjomkin vier Regimenter nach Moskau, um ihre Anordnungen durchzusetzen.

Dies ging jedoch nicht immer gewaltlos vonstatten. Gab es im Oktober 1771 in Moskau noch 18 000 Pesttote, waren im März 1772 nur noch 30 zu beklagen. Zahlen, die für sich sprechen. Des Weiteren schuf Katharina II. sogenannte Vorposten an den Stadtgrenzen, deren Aufgabe es war, den Personen- und Warenverkehr strenger zu kontrollieren.

Aber die Herrscherin des russischen Riesenreiches hatte nicht nur Pest und Pocken den Kampf angesagt: Wenig bekannt ist, dass die Zarin in Not geratenen Frauen erlaubte, in speziellen Krankenhäusern anonym, das heißt unter einer Maske und ohne Nennung des Namens, ihre Kinder zu gebären, die dann in die Obhut staatlicher Findelhäuser kamen und nicht ausgesetzt werden mussten.

Zum anderen wurden unter Katharina II. erste Krankenhäuser für psychisch Kranke eingerichtet. Während ihrer Regierungszeit erfolgte in Petersburg und Moskau der Bau von jeweils zwei Krankenhäusern, zu denen auch Mittellose Zugang hatten. Im Zuge ihrer Verwaltungsreform kam es zum Bau von weiteren Krankenhäusern auch in anderen Städten des Zarenreiches, in denen oft Ärzte deutscher Herkunft angestellt waren. Zu ihnen gehörten auch Carl Andreas Rauchfuss, Friedrich Ziehm, Johann Friedrich Windisch, sein Bruder Johann Simon Windisch und Friedrich Wilhelm Alfred Treffkorn aus Anhalt-Zerbst.

Besonders der Kinderarzt Rauchfuss hatte sehr schnell erkannt, dass infektiöse und nicht infektiöse Kranke räumlich voneinander zu trennen waren, was auch in den westeuropäischen Kinderkrankenhäusern nicht immer der Fall war. Deshalb drang er auf die Einführung von Isolierstationen in den von ihm geleiteten Kinderhospitälern in Moskau und St. Petersburg. Damit vor allem an Diphterie, Scharlach, Masern und Windpocken erkrankte Kinder voneinander getrennt untergebracht werden konnten und somit der ungehinderte Ausbruch von Epidemien verhindert wurde.

Des Weiteren befürwortete Rauchfuss als einer der ersten Mediziner überhaupt das Tragen von weißen Kitteln seitens der Ärzte und des Pflegepersonals. Aus diesem Grund setzte er sich sehr engagiert für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Ärzte und des Pflegepersonals sowie für die Verbesserung der Situation stationär aufgenommener Patienten in den damaligen russischen Hospitälern ein.

Die gebürtige Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst richtete in ihrem Reich lokale Medizinalbehörden – die Vorläufer der Gesundheitsämter – ein. In jeder Provinz gab es einen staatlich angestellten approbierten Arzt, einen Wundarzt nebst zwei Gehilfen und zwei Lehrlinge, zu deren Aufgaben der Schutz vor Seuchen, die Durchführung notwendiger Schutzmaßnahmen sowie die kostenfreie medizinische Versorgung der Ärmsten gehörten.