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Skulptur Judensau erzählt von Ausgrenzung

In Zerbst existiert eine Judensau-Sandsteinplastik an der Nicolaikirche. Zugleich ruht im Museum ein Zierbalken mit dem gleichen Motiv.

Von Daniela Apel 13.10.2016, 03:00

Zerbst l „Das Motiv der ,Judensau‘ zu entfernen, hieße, einen Teil der Geschichte zu entfernen und die Augen vor dem zu verschließen, was geschehen ist“, sagt Agnes Almuth-Griesbach. Vielmehr sollte man sich mit der Thematik aktiv auseinandersetzen, meint die Leiterin des Zerbster Museums.

„Es handelt sich um eine Verhöhnung der Juden, dem müssen wir uns stellen“, findet Bürgermeister Andreas Dittmann. Aber auch er spricht sich deutlich für den Verbleib des plastischen „Zeitdokuments“ aus. Die Skulptur abzudecken, wäre seiner Meinung nach Geschichtsklitterung. Stattdessen sollte die provokative und verunglimpfende Darstellung Anlass sein zu überlegen, wie mit dem in der Gesellschaft tief verwurzelten Antisemitismus umzugehen ist.

Unterdessen fordert Oberkirchenrat i.R. Dietrich Franke eine historische Einordnung der im Mittelalter weit verbreiteten Abbildung der „Judensau“. An etwa 30 Orten in Mitteleuropa sind solche Reliefs heute noch zu finden und zwar hauptsächlich an Kirchen.

Gleich zweimal existiert das Motiv in Zerbst. An einem Außenpfeiler von St. Nicolai hat es selbst den Bombenangriff auf die Stadt am 16. April 1945 unbeschadet überstanden. Die Sandsteinskulptur stammt aus dem 15. Jahrhundert. Zu sehen sind ein Schwein und Juden, die an den Zitzen der Sau trinken. „Es ist eine Diffamierung der Juden, für die das Schwein nicht koscher, also unrein, ist“, erläutert Agnes Almuth-Griesbach. Wie Franke wirft sie einen Blick in die Geschichte der Juden, die von Vertreibung und Verfolgung geprägt ist.

Bei den Menschen des Mittelalters gelten die Juden als Christusmörder. „Da gab es von Anfang an Reibereien zwischen Juden und Christen“, erklärt der Oberkirchenrat i.R. Und nicht nur durch ihre Fremdartigkeit – ihre Speisegebote und Reinigungsregel – stellten sie eine besondere Bevölkerungsgruppe dar.

Agnes Almuth-Griesbach erzählt von der Kammerknechtschaft der Juden im 12. Jahrhundert, als sie für ihren Schutz Steuern zahlen und Abgaben leisten mussten. „Auch die Kleiderordnungen fallen in diese Zeit“, berichtet die Historikerin. Diese galten jedoch für alle Schichten. So war einzig dem Kaiser vorbehalten, Hermelinpelz zu tragen. „Leichte Damen, die es ebenfalls in Zerbst gab, erkannte man beispielsweise an orange-gelb-roten Bändern“, bemerkt sie.

Den Juden war das Tragen eines spitzen gelben Hutes vorgeschrieben, zumindest mussten sie einen gelben Fleck auf der Kleidung besitzen. Und sie mussten in besonderen Stadtbereichen leben. In Zerbst erinnert unter anderem die Jüdenstraße daran. „Im Mittelalter sind die Juden aktiv ausgegrenzt worden“, sagt Agnes Almuth-Griesbach. Sie durften allein als Pferdehändler und Geldverleiher tätig sein und Trödel betreiben.

Ab dem 13. Jahrhundert grassierte die Pest und forderte unzählige Todesopfer. „Da suchte man Schuldige und warf den Juden vor, die Brunnen vergiftet zu haben“, erzählt Dietrich Franke. Pogrome folgten, die Juden wurden aus den Städten verbannt. „Für mich ist die ,Judensau‘ ein Bannstein, der sagt, hier dürfen sich die Juden nicht aufhalten“, erklärt er und blickt hinüber zum Nicolaipfeiler. „Wenn man über das Entfernen des Reliefs nachdenkt, denkt man an den Holocaust, aber nicht an seinen mittelalterlichen Ursprung“, bemerkt Franke.

„Eine erklärende Tafel wäre möglich“, überlegt er. Man könne die Skulptur kommentieren, aber nicht aus der Geschichte löschen. In Wittenberg hält er das für gelungen. Unter der „Judensau“ an der Stadtkirche wurde 1988 ein in den Boden eingelassene Gedenkplatte für die Opfer des Holocaust enthüllt.

An der Stadtkirche predigte Reformator Martin Luther, auf dessen antijüdische Schriften sich die Nationalsozialisten später bezogen. „Sie haben bloß abschreiben müssen“, kann sich Franke Luthers Hass auf die Juden nicht wirklich erklären. „Aber Luther ist eben ein Kind seiner Zeit gewesen.“

Und das war eben auch jener Kaufmann in Zerbst, der auf einem Zierbalken der Fassade seines Hauses direkt am Markt neben weiteren allegorischen Motiven wie dem eitlen Pfau oder dem Affen, der sich einen Spiegel vorhält, ebenfalls eine „Judensau“ ins Holz hat schnitzen lassen. „Der Balken befand sich unter Putz“, schildert Agnes Almuth-Griesbach, wie er erst 1988 freigelegt wurde.

Seit seiner Restaurierung ruht er im Museum der Stadt. „Soweit ich weiß, handelt es sich um die einzige erhaltene ,Judensau‘ an einem profanen Gebäude“, sagt sie. „Interessant ist, wenn ich Schülern das Motiv zeige, erkennen sie darin meist immer Romulus und Remus, die von einer Wölfin gesäugt werden“, schildert die Museumsleiterin die erste Assoziation der Kinder mit der römischen Mythologie.