1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. "Viele weinen, vor allem Alleinstehende"

Mitarbeiter und Geschäftsführer zu Einkommenskürzungen in Berendsen-Großwäscherei "Viele weinen, vor allem Alleinstehende"

Von Thomas Drechsel 22.11.2012, 01:12

Die Einkommenskürzungen in der Zerbster Großwäscherei der Berendsen GmbH lösen große Betroffenheit unter den Beschäftigten aus. Zugleich wird die Politik aufgefordert, auskömmliche Mindestlöhne vorzugeben.

Zerbst/Glückstadt l Sieben Euro Mindestlohn ist "ein Witz". Eine Zerbster Berendsen-Mitarbeiterin macht sich im Volksstimme-Gespräch Luft. Sie möchte ihren Namen nicht nennen. Sie erzählt von den Gefühlen der Kolleginnen und Kollegen, die ab Januar 2013 noch weniger Geld in der Tasche haben werden. "Viele weinen, vor allem die Alleinstehenden. Sie wissen jetzt schon nicht mehr, wie die steigenden Mieten und Kosten fürs Wohnen, Essen und Leben bezahlt werden sollen. Es ist schlimm." Andererseits habe man bei Berendsen einen "soliden, verlässlichen Arbeitgeber. Das erkennen wir an. Durchaus. Da gibt es nichts. Unser Geld war immer pünktlich da. Da hat man ja von woanders schon anderes gehört." Auch das Lohnniveau in der Zerbster Wäscherei sei "besser als anderswo gewesen." Selbst die Reduzierung liege über dem Branchen-Mindestlohn.

Es sei "Verschulden der Politik, wenn jetzt im Unternehmen die Löhne gesenkt werden müssen, um überhaupt noch Arbeit zu haben. Ich sag es nochmal: Der Mindestlohn von sieben Euro ist ein Witz. Damit kommt man nicht klar. Das bekommt man ja auch ohne arbeiten zu gehen vom Amt. Ich verstehe nicht, wie es geht, dass andere für noch weniger arbeiten."

Eine andere Mitarbeiterin erklärte, das Management habe praktisch nur übers Wochenende Zeit zum Überlegen gelassen. "Das ist doch nicht fair! Es kann sich ja niemand richtig informieren, ob das alles so stimmt!" Letzten Endes bliebe wohl aber kaum eine Wahl.

Unterdessen hat das Unternehmensmanagement sein Vorgehen gerechtfertigt und begründet, zugleich Darstellungen der IG Metall widersprochen. Geschäftsführer Jens Braasch erläuterte gegenüber der Volksstimme das künftige Entlohnungsmodell für die 179 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Zerbst. Vorgesehen sind der Wegfall von fünf Urlaubstagen, der Wegfall von Urlaubsgeld und Jahres-sonderzahlung sowie die Absenkung des Stundenlohnes in der Lohngruppe II - dies betrifft die meisten Beschäftigten in Zerbst - von 9,22 Euro auf 8,50 Euro. Der genannte Stundenlohn setzt sich aus 7,50 Euro plus für mindestens sechs Monate garantierte Erfolgsbeteiligung von 1 Euro zusammen. Zudem könne die Wochenarbeitszeit von bisher 35 Stunden auf bis zu 40 Stunden erhöht werden. Dieses Detail hatte die IG Metall anders beschrieben: Dort hieß es, die Wochenarbeitszeit erhöhe sich von 40 auf 45 Stunden.

Braasch erklärte ferner, das Unternehmen werde davon absehen, Leiharbeiter zum Ausgleich von Urlaubs- und Krankheitszeiten einzusetzen. So sei der Aufbau von Stunden durch die Mitarbeiter möglich. Hintergrund: Bislang entstehen bei schlechter Auslastung Minusstunden, die später bei vorhandenem Arbeitsvolumen zusätzlich zu den obligatorischen Arbeitsstunden abgeleistet werden müssen. "Im Gesamtpaket bedeutet dies eine durchschnittliche monatliche Einkommensminderung von 67 Euro netto bei 35 Wochenstunden. Das ist ein Minus von 6,2 Prozent. Bei einer Arbeitszeit von 40 Wochenstunden kann jedoch auch eine Einkommenserhöhung von 87 Euro netto erreicht werden."

Berendsen unterbreitet aktuell seinen rund 750 Mitarbeitern an den sieben Unternehmens-Standorten Einzelverträge. "Seit Jahren sind wir mit wettbewerbsverzerrenden Tarifbedingungen im Bereich Textilservice für das Gesundheitswesen konfrontiert. Unsere wichtigsten Wettbewerber zahlen überwiegend lediglich den gesetzlichen Mindestlohn. Bei Berendsen dagegen lagen die Löhne bislang um rund ein Drittel höher", erklärt der für Finanzen zuständige Berendsen-Geschäftsführer. "Aufträge im Gesundheitswesen werden heute aber primär über den Preis entschieden."