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Virus Corona-Krise fordert Opfer

Die Coronakrise fordert momentan von jedem Opfer. Über die derzeitige Lage hat sich der Zerbster Bürgermeister Andreas Dittmann geäußert.

18.03.2020, 23:01

Volksstimme: Geschlossene Schulen, Kitas, Freizeiteinrichtungen, ein weitestgehendes Veranstaltungsverbot und jetzt sind auch noch zahlreiche Geschäfte, Kneipen sowie Spielplätze geschlossen. Was macht das mit Ihnen als Bürgermeister, wenn Sie das gesellschaftliche Leben der Stadt nahezu lahmlegen müssen?
Andreas Dittmann: Von nahezu kann inzwischen keine Rede mehr sein. Natürlich verursacht das mehr als ein flaues Gefühl im Magen. Dazu kommt, dass ich wie jeder andere auch, von den Informationen lebe, die gerade verfügbar sind. Nur dass ich mit meinem Team versuchen muss, mögliche Entwicklungen abzusehen und Regelungen zu finden, die nachvollziehbar und umsetzbar sind. Anders als beim Hochwasser 2013 ist das, wogegen wir ankämpfen, nicht sichtbar, nicht greifbar, nicht räumlich begrenzt und auch in der Zeit nicht absehbar. Auch deswegen ist die derzeitige Situation eine Herausforderung, wie sie die Bundesrepublik Deutschland noch nicht erlebt hat. Ältere denken heute vermutlich an die Strukturen der Zivilverteidigung zu DDR-Zeiten zurück. Ich bin froh, dass wir bereits nach meiner Wahl 2012 angefangen haben, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Ausbildung in der Stabsarbeit für große Schadenslagen nach Heyrothsberge zu schicken. Dadurch sind wir zwar nicht auf die Coronakrise vorbereitet, aber haben zumindest aktivierungsfähige und handlungsfähige Strukturen. Das hilft uns nun.

Die Schließungen und Verbote, wie soll das kontrolliert werden, ob sich die Leute daran halten, und wie werden Verstöße geahndet?
Hier appelliere ich einmal mehr an den gesunden Menschenverstand. Es wird niemand ein Kind aus dem Sandkasten ziehen. Wir werden zunächst versuchen, im Rahmen der Kontrollgänge aufzuklären und zu belehren. Aber natürlich wird irgendwann auch über Bußgelder zu reden sein, wenn die Maßnahmen nicht greifen.

Es gibt regelmäßig Krisensitzungen im Rathaus. Wie muss ich mir das vorstellen?
Ganz unspektakulär. Der Sitzungsraum im Rathaus wurde zum Stabsraum umfunktioniert. Zunächst kam ich am Freitag letzter Woche mit der Stadtwehrleitung, meiner Stellvertreterin und dem Ordnungsamt zusammen. Sonnabend traf sich dann der von mir gebildete Krisenstab, an dem die Amtsleiter und Sachgebietsleiter teilnehmen. Wenn möglich kommt eine Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes des Landkreises dazu und bei Erfordernis werden per Telefonkonferenz weitere Vertreter hinzugezogen. Das erfolgt täglich, da ja auch täglich neue Aufgaben auf uns zukommen. Als das Sozialministerium am Freitagnachmittag die Schließung der Schulen und Kindertagesstätten verfügt hat, galt es, die Notversorgung über das Wochenende zu regeln, denn natürlich gab es jede Menge Fragen und Sorgen der Eltern, die wir ernst nehmen.

Es gibt sicher weitere Institutionen mit denen Sie regelmäßig in Kontakt stehen?
Natürlich, es gibt einen regelmäßigen telefonischen Austausch mit der Leitung der Helios Klinik. Seit Sonnabend gibt es wöchentliche Beratungen aller Bürgermeister und Oberbürgermeister mit dem Landrat und dessen Stab. Dazu kommt der kollegiale Austausch unter den Bürgermeistern per Whatsapp. So konnte auch eine einheitliche Handhabung der Notversorgung in den Kindertagesstätten geregelt werden. Ich begrüße es sehr, dass der Landrat und sein Stab hier dem Vorschlag der Bürgermeister gefolgt sind, das in die Hände der Gemeinden zu legen. Wir sind vor Ort, kennen die Einrichtungsleiterinnen und können auf kurzem Weg entscheiden. Hilfreich ist es auch, dass wir durch die Landtagsabgeordneten Holger Hövelmann, Rüdiger Erben und Dietmar Krause unmittelbar mit Veröffentlichungen und Erlassen der Landesregierung versorgt werden, noch bevor diese über die formellen Kanäle bei uns ankommen. Das ist zwar unkonventionell, aber Zeit ist kostbar.

Wie ist die Lage bei der Notbetreuung? Zeigen die Eltern Verständnis und wie viele Kinder werden in den Einrichtungen notbetreut?
Wir werten täglich die Belegungszahlen der Kitas aus. Natürlich ist das für die Eltern eine Herausforderung. Am Montag wurden 186 Kinder im Stadtgebiet betreut, am Mittwoch waren es noch 59 Kinder. Das zeigt, dass das Ziel der Landesregierung, die Betreuung auf das notwendigste Maß zu reduzieren, funktioniert. Diese Zahlen dürfen uns aber nicht darüber hinweg täuschen, dass sich dahinter viele Härten und persönliche Schicksale verbergen.

Was haben wir noch zu erwarten, eine Ausgangssperre wie beispielsweise in Frankreich?
Die Frage kann ich nicht beantworten, auch nicht, wie lange diese Krise anhalten wird. Wenn ich die Entwicklung um Deutschland herum ansehe, gehe ich davon aus, dass wir leider noch weitere Einschränkungen vor uns haben werden. Vielleicht hat die Ansprache der Bundeskanzlerin am Mittwochabend auch schon Teile dieses Interviews überholt.

Was sagen Sie den Menschen in der Einheitsgemeinde?
Ich wünsche uns vor allem, dass wir möglichst gesund durch diese Zeit kommen. Wir brauchen jetzt vor allem den Blick für den Menschen neben uns. Nachbarschaftshilfe und Verständnis sind gerade jetzt gefragt. Es muss sich nur jeder ausmalen, was beispielsweise der Besucherstopp in Pflegeheimen bedeutet. Jeder und jede von uns macht sich Sorgen. Dass in unserem Stadtgebiet aktuell noch keine bestätigten Coronafälle vorliegen, ist eine Momentaufnahme, die jederzeit vorbei sein kann. Gerade darum soll mit der Schließung von Einrichtungen die Infektionsgeschwindigkeit verlangsamt werden. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn in sozialen Netzwerken die teils drastischen Maßnahmen in Österreich begrüßt und von den selben Kommentatoren die Maßnahmen in Deutschland als überzogen beschimpft werden. Zu den Sorgen um die Gesundheit kommen ganz viele Sorgen um die wirtschaftliche Existenz, um den Arbeitsplatz dazu. Wer wegen der Kinderbetreuung zu Hause bleiben muss, macht sich selbstverständlich Sorgen, was das für Folgen hat. Soziale Netzwerke haben jetzt die Chance, ihrem Namen gerecht zu werden. Nutzen wir sie doch einfach, um Hilfe zu organisieren und zu ermöglichen, Trost zu spenden und ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln. Wir müssen mit unseren Sorgen und Ängsten nicht allein sein, die wir natürlich haben. Und wir dürfen trotz allem auch lachen und unseren Humor nicht verlieren, das macht vieles leichter.