Berliner Freimaurer Karl-Heinz Bannasch über Freimaurer-Grundsätze und Goethes Zwänge des täglichen "Regierungslebens" War der Genius und Dichterfürst Goethe ein miserabler Freimaurer?
Zerbst l Ein wenig unverschämt ist sie schon, die These von Karl-Heinz Bannasch. Der Berliner stellt Goethe in Frage, speziell sein Handeln als Freimaurer der Weimarer Loge Anna Amalie auf der einen, als Geheimer Rat des Weimarer Herzogs Karl August auf der anderen Seite.
Goethe, der Dichterfürst, der Genius, der neben Faust, Farbenlehre und alldem auch maßgebliches Wort- und Liedgut der Freimaurerei erschuf, im täglichen Regierungshandeln ganz konträr zu Freimaurer-Leitsätzen? Diese These hatte Bannasch am Freitagabend im Veranstaltungsraum "Tonne" des Zerbster Museums 30 interessierten Gästen zu erläutern und zu begründen. Im Museum läuft noch bis 27. Januar die Sonderausstellung "230 Jahre Freimaurerei in Anhalt". Sie war Anlass und Rahmen für den Vortrag.
Grundsätze verletzt
Karl-Heinz Bannasch ist selbst Freimaurer. Seit 23 Jahren schon. Zugleich ist der FDP-Politiker auch gern Historiker, arbeitet in Berlin-Spandau an der Geschichtsforschung mit und hat eben auch Interesse an Goethe. Bannasch findet, ohne es auszusprechen, Goethe in seinem Freimaurer-Wirken mindestens scheinheilig. Der Geheime Rat Goethe, mit 27 Jahren zum Vertrauten des Weimarer Herzogs Karl August avanciert und so Regierungsmitglied des damaligen rund 100 000-köpfigen Herzogtums, bat 1780 um Aufnahme in die Loge. Aber auf welche Art! Der Titel des Geheimrates habe bislang gefehlt, schrieb er dem damaligen Meister vom Stuhl. Er wolle ähnlich Betitelten näher kommen und "dieses gesellige Gefühl" miterleben dürfen. Bannasch sagt: Freimaurerei schaut nicht auf Titel, alle Logenmitglieder sind gleich. Und Logenarbeit hat nichts mit Geselligkeit zu tun. "Mit einer solchen Begründung kommt eigentlich keiner in eine Loge."
Meinte es Goethe hier ehrlich? Oder war die Mitgliedschaft im Geheimen Bund ein Ziel der eigenen Eitelkeit? Bannasch stellt eine weitere Konstellation vor. Während Goethe die Loge einerseits häufig mit Dichtkunst bedachte, vollzog er nachweislich sein Regierungsamt mit aller Härte und unter Ausblendung so manchen Freimaurer-Grundsatzes. So unterschrieb er "dienstlich" ein Todesurteil gegen eine Kindsmörderin und ließ es vollstrecken. Letzteres hätte selbst Karl August nicht verlangt. "Es nicht vollstrecken zu lassen, hätte ihm nicht geschadet. Es war auch kaum noch üblich, die Todesstrafe zu vollstrecken. Er tat es dennoch. Weshalb?"
Ein weiteres Beispiel: Soldatenhandel mit Landeskindern nannte Goethe "barbarisch", ließ aber zugleich Handwerksgesellen auf Wanderschaft wegfangen und als Soldaten verkaufen. "Auf Wanderschaft waren sie Niemandes Landeskinder", erklärte Bannasch.
Im Amt gefangen
Der Dichterfürst war ganz offenbar ein Gefangener seines Amtes. Die Kluft zwischen freimaurerischen Worten und regierenden Taten war tief. Bannasch erzählte gar von Zensur. Er habe seinen Sohn, ebenfalls Logenmitglied, als Spion benutzt. Selbst betrieb er keine aktive Logenarbeit mehr, wollte jedoch über sämtliche Reden, Diskussionen und mutmaßliche Regungen der Logenbrüder unterrichtet sein.
Den Vortrag beendet, ließ sich Bannasch gern ausfragen. Ob denn die geheimen Zusammenkünfte der Freimaurer nicht ohnehin zu wirtschaftlichen Absprachen führten? "Keinesfalls. Geschäftsmaurerei wird gebrandmarkt. Wer dies tut, wird weltweit ausgeschlossen. Freimaurerei schließt Politik und Religion von Vornherein aus. Die Logenbrüder diskutieren Themen der grundsätzlichen Geisteshaltung, um zu besseren Menschen zu werden. Sie sind unendlich tolerant."
Es mag an dieser Toleranz liegen, dass Goethe seinerzeit trotz der Konflikte Freimaurer bleiben konnte und sich Bannaschs Fragestellungen selbst heute auf offiziellen Darstellungen zur Freimaurerei nicht finden lassen. Bannasch selbst urteilte - ganz Freimaurer - natürlich auch nicht.