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Weihnachten Heiligabend für viele schwierige Zeit

Dieses Jahr ist alles anders - auch zu Weihnachten. Pfarrer Albrecht Lindemann spricht in einem Gastbeitrag über diese schwierige Zeit.

Von Albrecht Lindemann 24.12.2020, 06:00

Vorfreude – haben Sie es geschafft? Sind Sie in Weihnachtsstimmung gekommen? Bahn frei für das aus Sicht der meisten Menschen in unserem Land emotionalste aller Feste? Emotional, das ist es, jetzt schon. Die einen sorgen sich, die anderen regen sich auf, was wiederum die Besorgten ärgert. Menschen kämpfen um ihr Leben, andere bestreiten die Bedrohung und wittern Verrat, dritte wünschen sich ihren Alltag zurück. Die Weihnachtszeit 2020 steht unter schwierigen Vorzeichen.

Es wäre so einfach gewesen, ein Krippenspiel zu schreiben, angefüllt mit Pandemie-Anspielungen. Aber die schönsten Wortspiele sind nicht witzig, wenn zugleich Menschen um ihr Leben kämpfen. Zudem geht die Dauerpräsenz des Themas wohl allen ungeheuer auf die Nerven. Wie kommen wir in Weihnachtsstimmung? Was ist die Weihnachtsbotschaft für unsere Tage?

Auch in unserer nicht übermäßig frommen Gegend ist Weihnachten ein Fest der Boten. Die vom Paketdienst haben endlich etwas Ruhe. Aber die himmlischen haben Hochkonjunktur, Gottes Boten, besser bekannt unter ihrem lateinischen Namen: Engel, sind omnipräsent, überall tauchen sie auf, hübsch und beflügelt. Sie gehören zur Weihnachtsgeschichte und sind doch längst nicht an die Hirten und den Stall von Bethlehem gebunden.

Wenn man sich die Engelgeschichten der Bibel ansieht, die in aller Regel nichts mit Flügeln zu tun haben, fällt eines auf: Diese Boten treffen immer ihren Adressaten und die Botschaften kommen auch immer pünktlich an. Warum? Weil Engel ihr Gegenüber wahrnehmen und verstehen. Sie beginnen das Gespräch nicht mit: „Also, eins will ich Dir mal sagen!“ oder „Jetzt hör mal gut zu!“ Der erste Satz der Engel ist: „Fürchte dich nicht!“

Das klingt gut, oder? Ob Jungfrau Maria, Josef oder Hirte auf dem Feld, dieser Satz öffnet die Herzen und sorgt für die richtige Gesprächsatmosphäre. Die ist auch nötig, denn ganz einfach sind die Botschaften ja nicht zu verkraften, die da überbracht werden. Maria erfährt von ihrer wunderbaren Schwangerschaft. Auch Josef muss diese Nachricht verarbeiten. Er schafft es. Uns deutlich näher sind die Hirten.

Wozu braucht man die eigentlich? Was machen Hirten im Geburtshaus? Sie sind die ersten Zeugen der Weihnachtsstimmung. „Fürchte dich nicht!“ ist nur der Anfang, der dafür sorgen soll, dass die Hörer nicht entsetzt das Weite und später ihre Schafe suchen. Die eigentliche Botschaft kommt danach: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren!“ Wer?

Den Hirten musste das keiner erklären. Ihr Leben war durch scheinbar ausweglose Probleme geprägt, prekär, wie man heute sagen würde, keine Aussicht auf Verbesserung der Lage und damit waren sie nicht allein. Das Volk Israel war in der Sackgasse und die römische Besatzung war nur eines der Probleme, wenn auch ein bedrückendes.

Die Botschaft vom Kind in der Krippe hilft ihnen auf. Sie machen sich auf den Weg, um den zu sehen, der einen neuen Weg zeigen soll, jenen herbeigesehnten Heiland, der alle Not zum Ende führen soll. So eilten die Hirten zum Kind und danach sprudelte die Weihnachtsfreude aus ihnen heraus, ansteckende Begeisterung. Sie gehen los und verbreiten mit frohen Herzen Weihnachtsfreude.

Können wir einander helfen, in Weihnachtsstimmung zu kommen? Was wäre zu tun, um wie der Engel oder wenigstens wie die Hirten anderen Freude zu schenken? Schritt eins: Wahrnehmen und Verstehen. Versuchen wir eine Pause vom Überzeugenwollen. Hören wir einander zu um zu verstehen, nicht um den besten Punkt zum Widersprechen zu finden. Wir werden nie alle einer Meinung sein. Es ist auch nicht erforderlich, dass jeder jedem seine Meinung sagt. Wie wäre es, Zurückhaltung zu üben, nicht aus Angst, sondern aus Interesse am Gegenüber und aus Fürsorge? Verständigung beginnt mit dem Willen, den Anderen wahrzunehmen und mit freundlichem Entgegenkommen. („Fürchte dich nicht!“ würde vermutlich heute eher verwirren.)

Vielleicht haben wir etwas ganz Wichtiges aus dem Blick verloren: Wir brauchen Kommunikation, die uns Interesse aneinander signalisiert. Ein Gespräch, das nichts anderes bezweckt, als zu sagen: Ich freue mich, Dich zu sehen! Und es ist mir wichtig zu erfahren, wie es dir geht. Wir sind als Menschen auf Gespräche angewiesen, auch wenn es nicht jeder zugeben mag.

„Früher saßen wir im Betrieb gestapelt in der Teeküche, heute frühstückt jeder allein an seinem Arbeitsplatz.“ Prima! Könnte man sagen, mehr Platz und Ruhe, weniger Gerüche. Wir brauchen aber Nähe. Solange es gute Gründe gibt, damit vorsichtig zu sein, ist es immerhin möglich, sich dessen bewusst zu werden. Es ist eine alte Bibelweisheit und bleibt wahr: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein! Die Haut wird dünner, immer dünner, je länger wir uns nicht „normal“ gegenüber treten können.

Entscheidend ist dabei nicht die ausgefallene Weihnachtsfeier. Das alltägliche entspannte Miteinander fehlt. Diese Erfahrung ist schmerzhaft und zugleich ist die gewonnene Erkenntnis wertvoll und sollte nicht in Vergessenheit geraten. Wir sind füreinander erstaunlich wichtig. Es lohnt sich, nach Wegen zu suchen, dies auch zu zeigen. Manche tun dies in diesen Tagen mit großer Kreativität. Kostümiert mit Pferd und Wagen oder im geschmückten Schlepper geht es durch die Straßen. Häuser und Gärten verwandeln sich in leuchtende Weihnachtsgrüße. Karten und digitale Nachrichten werden verschickt, gefüllt mit guten Wünschen. Weiter so!

Zurück zu den Hirten. Sie liefen los und „breiteten das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.“ Das ist bis heute der Auftrag der Christen: Weihnachtsfreude verbreiten. Der Kern der Freudenbotschaft ist noch immer die Geschichte von dem Kind in der Krippe, von Gott gesandt, klein und schwach und doch die Liebe selbst, voller Kraft, die Welt zu verändern und Menschen Hoffnung zu schenken.

Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und ein gesegnetes Jahr 2021,

Ihr

Albrecht Lindemann