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Kultur am Tropf Zerbster Eventtechniker und Musiker weiter im Würgegriff des Coronavirus

Von Thomas Kirchner 26.04.2021, 16:17
Fabian Niese, Inhaber der Zerbster Firma Eventfabrik Veranstaltungstechnik Zerbst und Lukas Bergholz, Schlagzeuger bei der Band The Artcores.
Fabian Niese, Inhaber der Zerbster Firma Eventfabrik Veranstaltungstechnik Zerbst und Lukas Bergholz, Schlagzeuger bei der Band The Artcores. Foto: Thomas Kirchner

Zerbst

Die gesamte Veranstaltungsbranche ist schwer getroffen. Seit mehr als einem Jahr herrscht Stillstand. Das Virus hat die Veranstaltungstechniker und Kulturschaffenden fest im Würgegriff – und das nicht selten im wahrsten Sinne des Wortes. Das betrifft auch Zerbster. „Die Stadtfeste, Konzerte – die Veranstaltungen in Gänze fehlen. Das Publikum fehlt“, kommentiert Fabian Niese, der in Zerbst die Firma Eventfabrik-Veranstaltungstechnik betreibt, die aktuelle Situation.

Finanziell träfe es ihn nicht ganz so hart wie seine Kollegen. „Ich arbeite noch Vollzeit in der Firma meines Vaters, habe also mein Einkommen“, sagt Niese. Das sei bei den Kollegen natürlich anders. „Viele Angestellte bei den Eventfirmen sind ausgestiegen, haben sich andere Jobs gesucht“, weiß Niese. Dies könne natürlich beim Wiederanlaufen der Kultur- und Veranstaltungsszene zum Problem werden. „Wir hoffen natürlich, dass das sehr bald sein wird, auch wenn dies derzeit noch eine Fiktion zu sein scheint“, so Niese.

Ganz untätig waren Fabian Niese und sein Mitstreiter Florian Straube allerdings nicht. „Wir haben neue Ideen umgesetzt, wie die Balkonkonzerte, die Eventwiese oder das digitale Youtube-Projekt Kulturpäuschen. Das reale Publikum ersetzen die digitalen Formate natürlich nicht“, so Niese.

Die Zerbster Band „The Artcores“

 „Wie viele andere auch, können wir unserem Hobby – unserer Leidenschaft – nicht mehr nachgehen, Musikmachen. Ein wichtiger Teil des Lebens fehlt, im Sinne der Kontaktreduzierung aber absolut verständlich“, sagt Florian Straube, Keyboarder bei der Band „The Artcores“. Bis auf einen sehr kurzen Zeitraum im Sommer 2020 habe sich die Band seit März 2020 auch nicht zum Proben treffen können. „Seit wir denken können, hat es keine Zeit wie diese gegeben, wo wir als gesamte Gruppe nicht proben oder auftreten konnten“, ergänzt Schlagzeuger Lukas Bergholz.

Die Zukunftsaussichten seien weiterhin ungewiss. „Wir haben zwar viele Auftrittsanfragen für den Sommer in diesem Jahr, aber kein Veranstalter kann momentan sicher planen. Je näher die Auftrittstermine rücken, desto mehr wird natürlich abgesagt.  Wir brauchen dann natürlich auch ein Proben-Vorlauf“, sind sich die beiden Musiker einig.

Frank Faßbutter, Fassi & Friends

„Seit über einem Jahr sind wir nun ohne Live-Musik und Kunst. Vielen ist in dieser Zeit bewusst geworden, welchen Stellenwert Kultur dann doch im täglichen Leben hat“, ist Frank Faßbutter überzeugt. Sie bringe Entspannung und Freude – sei ein angenehmer Ausgleich zum Alltag. „Wenn man das so sagen darf, ist den Leuten das in dieser Zeit als Effekt der Beschränkungen etwas klarer geworden. Faßbutter ist mit seinem Bruder Ralf und befreundeten Musikern als „Fassi & Friends“ unterwegs, weiß also, wovon er spricht.

„Keine Live-Konzerte, keine Open-Air-Veranstaltungen, kein Theater, keine Museen, kein Heimatfest – ich persönlich vermisse das schmerzlich und habe zusammen mit vielen anderen gemerkt, wie kostbar Musik und Kunst sind“, sagt Faßbutter. Obwohl sie als „Fassi & Friends“ nicht hauptberuflich Musik machen, sei es doch ein ziemlicher Einschnitt und eine ziemliche Ernüchterung, sein liebgewordenes Hobby nicht mehr ausüben zu dürfen.

Eine Sache habe die Pandemie gezeigt: Man müsse sich in neuen Formen der Darbietung von Musik und Kunst probieren, wie Livestreams, Onlinekonzerten und anderen Auftrittsformen. „Nichts ist jedoch schöner für einen Musiker als ein Livekonzert mit direktem Feedback des Publikums, denn der Applaus ist das Brot des Künstlers“, so Faßbutter.

Schlagersänger Martin „Zimmi“ Zimmermann

Genauso sieht das Martin "Zimmi" Zimmermann. „Ich empfand das vergangene Jahr schon als sehr belastend. Nicht nur mangelnde Auftritte, sondern auch die fehlenden Feste und Feiern zehren doch sehr“, sagt der Schlagersänger. Kultur, besonders Konzerte, sind dazu da, die Menschen aus ihrem Alltag zu reißen und für zwei, drei Stunden mal alle Sorgen zu vergessen – das fehlt“, weiß der Zerbster. Die Situation habe sich durch Corona verschärft.

Es gebe so viele Menschen, die in eine ungewisse Zukunft schauen und oftmals nicht wissen, wie lange sie diese Situation noch aushalten können. „Es geht um viele Existenzen.  Solidarität ist in schweren Zeiten besonders wichtig“, betont der Sänger. Es habe 2020 aber auch Lichtblicke gegeben, die Eventwiese, die Balkonkonzerte oder die digitalen Formate. „Nicht zuletzt bin ich dankbar, dass mein Debütalbum trotz erschwerter Umstände erscheinen konnte und ich meine zwei Präsentationsveranstaltungen durchführen konnte“, so der Sänger.

Zimmi: „Ich denke, dass wenn die voranschreitende Impfkampagne eine Herdenimmunität bringt und so die Gastronomen und Kulturschaffenden wieder beschränkungsfrei arbeiten dürfen, dass die Menschen auch wieder Lust und Laune auf Kultur haben – vielleicht nach Corona stärker als zuvor.“

Angela Köcher, Chorleiterin im Zerbster Gymnasium Francisceum und des Kammerchors

„Unser letzter Termin, bei dem wir mit einem Chor öffentlich singen durften, war am 7. März 2020. Das war im Rahmen der Kulturfesttage, zum 40. Geburtstag des Kammerchores, bei dem auch einer der beiden Schulchöre beteiligt war – ein ganz tolles Erlebnis“, erinnert sich Angela Köcher. Sie leitet den Chor der 9. bis 12. Klassen sowie den Kammerchor. Im Francisceum gibt es einen weiteren Chor, den der 5. bis 8. Klassen, der von Christine Pfeiffer geleitet wird.

Nach und nach sei dann aufgrund von Untersuchungsergebnissen das Singen in Gruppen grundsätzlich untersagt worden. Es gebe demzufolge kein Singen im Musikunterricht, kein Singen im Schulchor, kein Singen im Kammerchor. „Wenn man überhaupt noch singt, dann wohl eher allein unter der Dusche, allein zur Radiomusik im Auto, allein in der Wohnung beim Saubermachen, aber auch das wird immer weniger“, sagt die Chorleiterin.

Köcher: „In den letzten Wochen durften die Schüler auf der Lernplattform Moodle eine Audiodatei mit ihrem Liedvortrag hochladen, den jeder allein aufgenommen hat. Aber Möglichkeiten zum Singen in der Gruppe als Gemeinschaftserlebnis, gruppenbildende Maßnahme, psychologische Unterstützung oder einfach nur zur Freude gibt es seit über einem Jahr nicht mehr.“ Die jetzigen Schüler der 5. Klassen seien im gesamten ersten Jahr am Francisceum noch gar nicht im Schulchor zum Singen gekommen. „Alle spüren den seelischen Druck und die fehlende Lockerheit bei den Kindern, aber auch bei den Erwachsenen. Wir sind darüber sehr traurig. Es fehlt uns unendlich und es ist sehr schwer, unter diesen Umständen die Gruppen zusammenzuhalten“, so Köcher.

Sachlich mit kritischen Stimmen auseinandersetzen

Die Mitglieder des Kammerchores halten über die sozialen Medien Kontakt, aber das ersetzt natürlich das Singen in der Gemeinschaft nicht, was uns sonst seit vielen Jahren wöchentlich verbindet. „Für uns geht sehr viel Lebensfreude verloren und die Seele verhungert immer mehr auch wegen des Fehlens anderer kultureller Erlebnisse, die durch digitale Veranstaltungen nicht ersetzt werden können“, betont Köcher.

„Es wäre empfehlenswert, wenn man sich mit kritischen Stimmen sachlicher auseinandersetzt, als das bisher geschehen ist und lieber nach Lösungen auch für die „nicht systemrelevanten“ Bereiche der Gesellschaft sucht“, wünscht sich die Chorleiterin und Musiklehrerin.

In einem sind sich alle einig: „Ganz besonders betroffen sind ja die Künstler, die ihren Lebensunterhalt mit Musik und Kunst verdienen, nicht zu vergessen die Gastronomen und Veranstalter, die die Auftrittsmöglichkeiten für uns zur Verfügung stellen und denen momentan das Wasser oft buchstäblich bis zum Hals steht“, betonen die Zerbster Kulturschaffenden.

Chronologie: Ein Jahr ohne Kultur, Feste und Konzerte

Das Virus erreicht am 9. März 2020 auch Zerbst. Am 14. März 2020 werden alle öffentlichen Einrichtungen, Sportstätten, Schulen und Kitas in Zerbst geschlossen. Die Kulturfesttage werden abgebrochen. Der erste Lockdown wird beschlossen. Geschäfte, Gastronomiebetriebe und Kultureinrichtungen müssen schließen. Die allermeisten Veranstaltungen werden verboten.

Anfang April sagt der Verkehrsverein die Pferdemarktlotterie sowie das Spargel- und das Bollenfest ab. Nur wenige Tage später wird auch das Heimatfest abgesagt.  In Zerbster beginnen Anfang Mai 2020 die Balkonkonzerte, 15 insgesamt. Der Sommer bleibt ungewohnt stumm – keine Veranstaltungen, einzige Ausnahme ist die Eventwiese, die unter Auflagen Anfang August stattfinden darf.

Bei der bei „Night of Light“ machen Veranstalter und Künstler am 21. Juni 2020 auf Ihre Situation aufmerksam und lassen Event-Locationen in Signalrot erstrahlen – auch die Stadthalle. Auch in der Adventszeit und zu Weihnachten finden keine Konzerte satt, einzige Ausnahme ein Open Air-Krippenspiel.

Auch 2021 werden die Kulturfesttage, die Fasch-Festtage, das Spargelfest und die Pferdemarktlotterie abgesagt. Ob das Heimatfest 2021 stattfinden wird, ist eher unwahrscheinlich.

Schlagersänger Martin Zimmermann
Schlagersänger Martin Zimmermann
Foto: Thomas Kirchner
Angela Köcher, Musiklehrerin und Chorleiterin
Angela Köcher, Musiklehrerin und Chorleiterin
Foto: Thomas Kirchner
Florian Straube, The Artcores
Florian Straube, The Artcores
Foto: Thomas Kirchner
Frank Faßbutter, Fassi & Friends
Frank Faßbutter, Fassi & Friends
Foto: Thomas Kirchner