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Oberlandesgericht München vergibt heute Pressebänke für den NSU-Prozess Los entscheidet über Plätze-Hickhack

29.04.2013, 01:21

Hunderte Anfragen sollen es sein. In dem neuen Akkreditierungsverfahren für den NSU-Prozess haben sich weit mehr Medien um einen Platz beworben als im ersten. Die genauen Zahlen will das Münchner Oberlandesgericht (OLG) heute bekanntgeben. Dann entscheidet das Los. Vier Plätze bekommen türkische Medien, sechs gehen an weitere ausländische Medien, die übrigen sind ausgeklügelt nach Mediengruppen aufgeteilt. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird ein Notar die Ziehung vornehmen; der frühere SPD-Spitzenpolitiker Hans-Jochen Vogel kontrolliert als Zeuge den korrekten Ablauf.

Nach der Empörung nicht nur der türkischen Medien, die beim ersten Wettrennen um feste Plätze leer ausgegangen waren, folgt nun der Unmut der Tagespresse: Für rund 370 Zeitungen gibt es acht Plätze. "Damit macht das Oberlandesgericht München das Verfahren endgültig zur Farce", schrieb die FAZ. "Willkommen bei der Münchner Presselotterie!" Die Zeitung "Hürriyet" fand, vier Plätze für türkische Medien seien zu wenig - acht von zehn Mordopfern waren türkischstämmig. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland verlangte Reservierungen auch für den türkischen Botschafter und Religionsgemeinschaften.

Am zentralen Problem ändert sich nichts: Der Saal A101 ist zu klein für den Andrang in dem spektakulären Verfahren, das zu den wichtigsten in der deutschen Nachkriegsgeschichte zählt. Es gibt nur 50 Presseplätze - und gut 50 weitere für die übrige Öffentlichkeit.

Mehrfach wurde eine Übertragung in einen zweiten Saal verlangt - aber daraus wird wohl nichts. Der Senat lehnt dies ab, weil er einen Revisionsgrund fürchtet. Und ein Versuch von Nebenklägern, eine Übertragung per Verfassungsbeschwerde zu erzwingen, ist gescheitert.

In dem Plätze-Trubel scheinen die Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" in den Hintergrund gerückt. Untersuchungsausschüsse, die Ermittlungspannen aufzuarbeiten versuchen, bekommen weit weniger Echo.

Plötzlich begann alles wieder von vorne.

Nur kurz schafften es Berichte über neue V-Mann-Details in die Schlagzeilen. Dass Deutschland am vergangenen Donnerstag im UN-Menschenrechtsrat in Genf auch angesichts fehlerhafter Ermittlungen in Sachen NSU zu mehr Anstrengungen im Kampf gegen Rassismus aufgerufen wird, zeigt, wo das eigentlich brisante Thema liegt.

Aber das Plätze-Hickhack bestimmt seit Wochen die Debatte. Das Bundesverfassungsgericht verdonnerte auf Klage der türkischen Zeitung "Sabah" Richter Manfred Götzl zu Nachbesserungen. Der verschob kurzerhand den Prozess und startete das ganze Vergabeverfahren neu.

Dabei hätte es einfacher sein können. Mindestens drei Plätze für türkische Medien von den Zuschauerplätzen abzwacken - fertig. Diesen Weg hatte Karlsruhe Götzl aufgezeigt - aber der beschritt ihn nicht. Es gibt eine Reihe guter juristischer Argumente für Götzls Schritt - aber es hätte auch gute Gründe gegeben, die Sache weniger aufwändig zu regeln. Die "Schockwellen seines Temperaments" hätten die Öffentlichkeit erreicht, schrieb die "Süddeutsche Zeitung", als das Gericht die Verlegung des Prozesses bekanntgab.

Götzls Mitarbeiter müssen hunderte Bewerber auflisten, Mediengruppen zuordnen und Doppelbewerbungen aussortieren - alles fehlerfrei. In einem Vermerk hatte Götzl Fehler seiner Pressestelle als Mitgrund für die Notwendigkeit des Neustarts nach dem Klageerfolg der "Sabah" genannt. Neue Klagen sind indes nicht ausgeschlossen. Ein Journalist mit zunächst festem Sitzplatz hat schon angekündigt, sich notfalls an das Bundesverfassungsgericht zu wenden.

Die meisten Prozessbeteiligten, vor allem die Nebenkläger, hoffen allerdings eines: Dass der Prozess am 6. Mai endlich beginnt. Für die Angehörigen sind der Streit und die Verschiebung eine massive Belastung. Sie mussten Flüge stornieren und Hotels umbuchen. Und sie müssen sich noch einmal neu auf den Moment einstellen, in dem sie erstmals Beate Zschäpe gegenübersitzen. Sie soll aus rassistischem Hass die Morde mitgeplant haben - an Menschen, die sie nicht kannte, die aber ihren Nächsten schmerzlich fehlen.