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200. Geburtstag des einstigen Reichskanzlers Bismarck hat uns noch etwas zu sagen

01.04.2015, 01:25

Große Männer leben zweimal, zuerst im Schaffen ihrer Erdentage, dann aber nach ihrem Tode. Und Bismarck, der tote Bismarck, hat eine große Aufgabe noch zu erfüllen." Wenn das Wort des Berliner Nationalökonomen Ludwig Bernhard von 1913 denn je stimmte, dürfte es gut einhundert Jahre später und 200 Jahre nach Bismarcks Geburt ein gehöriges Maß an Gültigkeit eingebüßt haben. Die Geschichte ist kein Kochbuch mit erprobten Rezepten, wir lernen allenfalls aus historischen Analogien. Gleichwohl hat uns Bismarck, der "Eiserne Kanzler", noch etwas zu sagen.

Seine fortdauernde Aktualität speist sich nicht zuletzt aus der zeitlosen Frage nach den Grenzen, die selbst dem fähigsten Staatsmann gesetzt werden, wie aus den großen Herausforderungen, die das wiedervereinigte Deutschland im großen Europa meistern muss. Auch heutige Politiker tun gut daran, sich seiner Kernmaxime bewusst zu bleiben, wonach die Politik die "Kunst des Möglichen" ist.

Die Halbwertszeit strategischer Planungen, dies verdeutlicht die Fülle globaler Verwerfungen der jüngsten Zeit, ist arg bemessen. Für Bismarck war die Politik wie eine Schifffahrt in unbekannten Meeren, bei der man nicht weiß, wie die Strömungen sein werden und welche Stürme man erlebt. "Der Mensch kann den Strom der Zeit nicht schaffen und nicht lenken", mahnte er, "er kann nur darauf hinfahren und steuern". Um sein Ziel zu erreichen, braucht der Kapitän weniger strategische, denn intuitive Fähigkeiten, insbesondere die, in neuen Situationen zu erkennen, wohin der richtige Weg geht.

Einer der Väter Europas
Durchaus zu Recht können wir Bismarck, wie der frühere Präsident der EU-Kommission Jacques Delors es jüngst formulierte, als einen der Väter des heutigen Europa würdigen, weil er das "europäische Modell" des Sozialstaats mitgeschaffen hat. Nicht vergessen sollten wir dabei, dass der Reichskanzler das Rentenalter auf 70 Jahre festlegen ließ.

Gewiss kein Vorbild kann Bismarck für uns bei der Gestaltung der Minderheitenpolitik sein. Politische Gegner zu Feinden zu stempeln und mit Ausnahmegesetzen zu bekämpfen, führt in die Irre. Anders mag es sich mit seiner Realpolitik verhalten, die man den westlichen Mächten in ihrem Kampf um globale Gefahren ans Herz zu legen geneigt ist. Wenn Michail Gorbatschow vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise den Wunsch nach einem neuen Bismarck äußert, der vor Kriegen mit Russland gewarnt habe, scheint jedoch Vorsicht geboten.

Allzu offen wird von interessierter Seite das Hohe Lied der Bismarck´schen Freundschaft zu Russland gesungen und dabei allzu gern ausgeblendet, dass er das autokratische Zarenreich mal als Partner bei der Abwehr einer "roten" Revolution, mal als militärische Bedrohung ansah.

Nicht an Wirksamkeit verloren hat das von Bismarck stets beachtete Spannungsverhältnis zwischen der Größe Deutschlands und der europäischen Friedensordnung. Die "Zentralmacht Europas" (Hans-Peter Schwarz) ist zu schwach, um den Kontinent zu dominieren, aber zu stark, um sich problemlos in das europäische Machtsystem einzufügen. Zur Befreiung aus diesem Dilemma mögen vielleicht zwei Kernsätze aus dem berühmten "Kissinger Diktat" von 1877 und einer nicht minder bekannten Reichstagsrede des Eisernen Kanzlers von 1878 dienen, sofern wir sie, behutsam umformuliert, in die Gegenwart transferieren: Bismarck schwebte eine "politische Gesamtsituation" vor, in welcher Deutschland der Vermittlung des Friedens wie ein "ehrlicher Makler" dient, "der das Geschäft wirklich zustande bringen will".

Dass ein "ehrlicher Makler" zu Beginn des 21. Jahrhunderts anders als die "dominante Figur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts" (Henry A. Kissinger) nur im europäischen Geleitzug und gemeinsam mit Frankreich operieren sollte, versteht sich von selbst.