1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Debatte um Hartz-IV-Regelsätze bleibt schwer verdaubare Kost

Geschacher um die Hartz-IV-Reform immer undurchsichtiger / Viele sprechen von einem Kuhhandel Debatte um Hartz-IV-Regelsätze bleibt schwer verdaubare Kost

Von Karl-Heinz Reith und Günther Voss 08.02.2011, 04:24

Eigentlich geht es um die Neuberechnung des Hartz-IV-Regelsatzes und um das Bildungspaket für bedürftige Kinder von Langzeitarbeitslosen. Für beides hat das Verfassungsgericht vor fast genau einem Jahr dem Gesetzgeber eine Frist bis Ende 2010 gesetzt. Die Neuregelung ist also überfällig.

Doch seit der Bundesrat kurz vor Weihnachten dem Vorhaben die Zustimmung verweigerte, liegt die Hartz-IV-Neuregelung auf Eis. Rund 4,7 Millionen erwachsene Hartz-IV-Empfänger müssen seither auf die geplante Erhöhung des Regelsatzes um 5 auf 364 Euro warten. Das gleiche gilt für die Leistungen aus dem Bildungspaket für etwa 2,5 Millionen Kinder.

Verfahren überfrachtet

Doch die Opposition will nicht einfach einem Gesetz zustimmen, das man für unzulänglich hält. Auch nach mehrwöchigem Verhandeln sehen SPD und Grüne die Zugeständnisse von Schwarz-Gelb als völlig unzureichend an. Und der Linken passt ohnehin die ganze Richtung bei Hartz IV nicht.

SPD und Grüne berufen sich auf das Urteil des Verfassungsgerichts und wollen die Berechnung der Regelsätze "gerichtsfester" machen, das Bildungspaket weiter ausbauen, einen Mindestlohn sowie die gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit für Leihbeschäftigte durchsetzen.

Union und FDP sprechen von "Maximalforderungen", mit denen die Verhandlungen im Vermittlungsverfahren von Bundestag und Bundesrat "überfrachtet" worden seien. Manche hegen auch den Verdacht, damit solle ein Kompromiss aus taktischen Gründen bis auf die Zeit nach der Hamburg-Wahl am 20. Februar hinausgezögert werden. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) warnte die Kritiker denn auch vor "Taktieren und Verzögern". Aber auch die FDP hat kein Interesse daran, vor den Landtagswahlen ihrem Wirtschafts-Klientel ein Signal zu geben, dass man in Sachen Mindestlohn innerhalb der Koalition doch zu Zugeständnissen bereit ist.

Bei dem jüngsten, fast zehnstündigen Verhandlungsmarathon in der Nacht zum Montag präsentierte die Koalition der Opposition ein Koppelgeschäft nach dem Motto: Stimmt Ihr unserem Hartz-IV-Paket zu, entlasten wir die klammen Kommunen bis 2015 um insgesamt zwölf Milliarden Euro bei der Grundsicherung für arme Rentner. Das Geld für den Deal will sich der Bund aus der Kasse der Bundesagentur für Arbeit holen: Durch Halbierung der Zuwendungen aus dem Mehrwertsteuertopf.

Das bringt vier Milliarden Euro – von denen allerdings die Länder über 40 Prozent selbst beigesteuert haben, weil sie am Mehrwertsteueraufkommen beteiligt sind. Die BA sei auf das Geld – das ihr die große Koalition in Notzeiten zur Vermeidung eines noch tieferen Defizits bewilligte – im Aufschwung nicht mehr voll angewiesen, argumentiert von der Leyen. Doch Kritiker sprechen von einem "Kuhhandel", andere gar von einem "Bluff" oder "Taschenspielertrick".

Denn Bundesfinanzminster Wolfgang Schäuble (CDU) hatte den Kommunen bereits im November vergangenen Jahres angeboten, künftig für die Grundsicherung der armen Rentner allein aufzukommen – völlig unabhängig von der Hartz-IV-Reform. Mit seiner Offerte wollte Schäuble den sich sträubenden Kommunen eine Neuordnung der Kommunalfinanzen im Sinne der Bundesregierung schmackhaft machen.

Verhandlungsauszeit?

Dass Schäuble dieses Pfund nun für die Hartz-IV-Reform aus der Hand geben könnte, alarmierte denn auch prompt die Finanzexperten der Unionsfraktion. Denn wenn das Geld einmal für Hartz IV weg ist, kann es nicht mehr für die weitere Reform der Gemeindefinanzen eingesetzt werden – auch nicht mehr als Ausgleich für Abstriche an der Gewerbesteuer, die die FDP am liebsten ganz abschaffen möchte.

Gering sind die Hoffnungen, dass es in dieser Woche noch zu einer Einigung über Hartz IV kommt. In knapp zwei Wochen wird in Hamburg gewählt, im März stehen gleich drei weitere Landtagswahlen (Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz) an. Mancher hält eine Verhandlungsauszeit bis nach den Wahlen inzwischen für sinnvoller als jetzt in weiteren Nachtsitzungen eine Entscheidung übers Knie zu brechen. (dpa)