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Bundeswehrverbands-Chef Oberst Ulrich Klein sprach in Magdeburg über die Zukunft der Bundeswehr Jeder Soldat hat mehr verdient als nur freundliches Desinteresse

12.11.2010, 04:15

Von Gerald Semkat

Verraten und verkauft. Das klingt hart – wäre aber eine Überschrift zu Befindlichkeiten von Bundeswehrangehörigen, kommt denn die Rede auf politische Entscheidungen etwa zur Wehrpflicht und zu Auslandseinsätzen.

Was im Politik-Sprech "Aussetzung der Wehrpflicht" heißt, ist im Grunde deren Abschaffung. Was in Afghanistan verschwiemelt "nicht internationaler, bewaffneter Konflikt" genannt wird, ist mit dem Wort "Krieg" treffender beschrieben. Aber es sind nicht allein solche verhüllenden Umschreibungen, die Leute, die Geradlinigkeit bevorzugen, auf die Palme bringen.

Einer von ihnen ist der Bundesvorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch. Er war am Mittwochabend der Einladung der Magdeburger Sektion der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik gefolgt, über seine Gedanken zur Zukunft der Bundeswehr zu sprechen.

Der Bundeswehrverband ist so etwas wie eine Soldatengewerkschaft. So hörten neben Zivilisten viele Soldaten zu – etliche von ihnen gehören zum Burger Logistikbataillon, das Truppen in Afghanistan stellt.

Kirsch verhehlte nicht seine Enttäuschung darüber, dass die CSU, die sich selbst stets als Partei der Wehrpflicht angepriesen hatte, auf ihrem jüngsten Parteitag für die Aussetzung der Wehrpflicht stimmte – nach einer 12-minütigen Rede von Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg und ohne Diskussion zur Wehrpflicht, wie Kirsch bedauerte. Und wenn am kommenden Montag auch die CDU auf ihrem Parteitag über die Aussetzung der Wehrpflicht abstimmt, erwartet Kirsch die "sang- und klanglose Beerdigung der allgemeinen Wehrpflicht".

Eine Tatsache ist: Aus der Wehrpflichtarmee Bundeswehr werden Streitkräfte mit 163 500 bis 185 000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie mit 7000 bis 15 000 freiwillig Wehrdienstleistenden.

Dieses Unternehmen steht auf dem Arbeitsmarkt in Konkurrenz zu anderen Mitbewerbern um ausreichend gutes Personal. Und das wird wegen der demografischen Entwicklung immer knapper. Um da bestehen zu können, tritt der Bundeswehrverband mit einer "Attraktivitätsagenda" auf. In ihr fasst er seine Forderungen zu den sozialen Rahmenbedingungen zusammen, die "mit Blick auf die Einsatzbereitschaft und Durchhaltefähigkeit der Streitkräfte... von überlebenswichtiger Bedeutung" sind.

Debatte verpasst

Kirsch meint, die Bundeswehr müsse attraktiver werden. Er weiß auch, dass sich Attraktivität nicht erschöpft in Führerscheinen, Bonuspunkten und möglicherweise auch einer Öffnung der attraktiven Bundeswehruniversitäten für breitere Kreise. So kann man Soldaten nicht abspeisen, die so nah mit dem Thema Tod und Verwundung konfrontiert sind wie keine andere Berufsgruppe.

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Bundeswehrsoldaten nicht allein in Afghanistan, sondern auch in Bosnien, im Kosovo, am Horn von Afrika und vor der libanesischen Küste Dienst tun.

Tod und Verwundung sind Teil der Bundeswehreinsätze, denen das Parlament mehrheitlich zugestimmt hat. Die Angehörigen der Bundeswehr folgen also einem Beschluss vom Volke gewählter Parlamentarier und erwarten von ihnen den entsprechenden Rückhalt.

"Das Parlament muss seiner Verantwortung gerecht werden gegenüber einer Parlamentsarmee", fordert Kirsch. So ist es. Wer schon seine Haut zum Markte trägt, muss bestens abgesichert sein – sozial, technisch, mit guter Ausbildung und juristisch.

Wie aber muss einem Soldaten zumute sein, der verwundet aus dem Krieg kommt und dessen Familie für diesen Fall sozial nicht ausreichend abgesichert ist? Wer steht einer Familie bei, dessen Vater, Mutter, Sohn oder Tochter nicht aus dem Krieg zurückkommt? Warum fehlt es an Fachpersonal, das vom Kriege psychisch schwer angeschlagene Soldaten betreut?

Welches Vertrauen soll ein Soldat in Politik haben, wenn er sich Teile seiner Ausrüstung selbst beschaffen muss, um seinen Dienst bestmöglich leisten zu können?

Und auf der juristischen Seite bestehen die Unsicherheiten in der Frage der "persönlichen Strafbarkeit bei der Auftragserfüllung in Einsatzsituationen, für die das Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes (noch) nicht festgestellt ist...", heißt es in der "Attraktivitätsagenda".

Kirsch sagt, man müsse vom Einsatz her denken. Und fügt hinzu: "Ich habe aber den Eindruck, dass in der Politik dazu die Bereitschaft fehlt." Die Afghanistandebatte sei im Grunde im Bundestag nicht geführt worden, kritisiert der Oberst.

Und bei der Bundeswehrreform sieht er die Kanzlerin in der Verantwortung. Schließlich sei diese tiefgreifende Umwälzung nicht allein Angelegenheit des Verteidigungsministeriums. Beteiligt seien auch Innen-, Justiz- und Finanzministerium. Ohne die Regierungschefin werde das Zusammenwirken wenig erfolgreich sein, meint Kirsch und fordert: Angela Merkel müsse ihre Möglichkeiten als Kanzlerin nutzen, wenn es um die Reform der Streitkräfte geht.

Kirsch schwant wohl, dass in der Reformdebatte etliche Untiefen einfach ausgeblendet werden könnten.

Die Bundeswehrreform wird nämlich viel Geld kosten – zugleich aber ist die Bundesregierung auf Sparkurs. So ist denn wohl nicht nur Kirsch gespannt, ob "die Entscheidung zur Reform letztlich mit aller Konsequenz durchgehalten wird".

Freie Handelswege?

Und was haben Zivilisten davon? Heftig diskutiert wird gerade Guttenbergs Verknüpfung von wirtschafts- und sicherheitspolitischen Interessen. Auch das sicherheitspolitische Weißbuch der schwarz-roten Bundesregierung von 2006 bezeichnet die Energie- und Rohstoffversorgung sowie freie Handelswege als Interessen Deutschlands. Darüber muss man offen sprechen.

Kirsch hat ein Beispiel parat. Unter Verweis auf den Anti-Piraten-Einsatz der Marine am Horn von Afrika argumentiert er, dass offene Seewege und jede verhinderte Kaperung eines Handelsschiffs auch dazu beitragen, dass höhere Frachtkosten nicht mit steigenden Preisen ausgeglichen werden müssen.

Man sollte Auslandseinsätze der Bundeswehr durchaus kritisch sehen. Dennoch: Das Schicksal eines jeden Soldaten, der seinen Dienst in dieser Parlamentsarmee tut, darf keinen gleichgültig lassen. Jeder von ihnen hat mehr verdient als nur "freundliches Desinteresse". Auch das gehört zur Diskussion über die Reform der Bundeswehr.